Kinowelt Filmverleih
Daniel Stamm
Exorzismus als politisches Statement?
Interview: Daniel Stamms Antichrist
Daniel Stamm gilt seit "Der letzte Exorzismus" in seiner Wahlheimat USA als German Wunderkind. Der gebürtige Hamburger debütiert mit dem Film im Horror-Genre. Ihm war wichtig, keine Aussage über die Religion zu treffen, sondern die Frage zu stellen, ob ein Dialog zwischen Wissenschaft und Religion möglich ist. Im Gespräch in München erläutert uns Stamm seine Idee und gibt Auskunft darüber, warum Lars von Triers Filme für ihn Horrorfilme sind.
erschienen am 30. 09. 2010
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Daniel Stamm
Ricore: Stimmt es dass Sie sich bei "Der letzte Exorzismus" an Lars von Trier orientiert haben?

Daniel Stamm: Lars von Triers Filme handeln meist von menschlichen Abgründen und spiegeln eine tiefe Düsternis wieder, deswegen bezeichne ich seine Filme als Horrorfilme. Er erschafft eine Spannung, die mit der eines Horrorfilms vergleichbar ist. Er spart explizite Gewalt aus, weil es ihm um die Charaktere geht nicht um Effekthascherei. An das musste ich denken, als das Drehbuch las. Eli Roth repräsentiert eigentlich genau das Gegenteil, aber er fand die Idee gut und hat mich unterstützt.

Ricore: Wie war die Zusammenarbeit mit Eli Roth?

Stamm: Es lief sehr gut, weil Roth neben seiner Tätigkeit als Produzent selbst auch Regisseur ist und somit Verständnis für mich hatte. Zudem hat er Horrorfilme inszeniert - im Gegensatz zu mir. In der Vorbereitung und nachher im Schnitt hat er sich toll eingebracht. Während der Dreharbeiten war er nicht anwesend, das war wichtig, weil ich versucht habe, eine intime Atmosphäre zu schaffen.

Ricore: Warum haben sie einen dokumentarischen Stil gewählt?

Stamm: Das war im Drehbuch so angelegt. Die Drehbuchautoren wollten ursprünglich selbst Regie führen und sind auf Fake-Dokumentarfilme spezialisiert. Für einen Horrorfilm funktioniert dieser Stil gut, weil er die vierte Wand, die den Zuschauer vom Geschehen trennt, einreißt. Die Schauspieler blicken direkt in die Kamera und der Kameramann wird zum Repräsentanten des Zuschauers. Dadurch erzeugt man eine tolle Grundspannung.
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Daniel Stamm
Ricore: Ist es nicht auch ein geringerer technischer Aufwand?

Stamm: Aus technischer Sicht vereinfacht dieser Stil die Dreharbeiten enorm. Durch die Zeit, die man einspart, kann man eine Atmosphäre erschaffen, in der die Schauspieler sich wohlfühlen und zu experimentieren beginnen. Für das Projekt war das besonders wichtig, weil wir die Wirklichkeit nachstellen, ohne artifiziellen Beigeschmack. Das macht den Zuschauer noch kritischer und heißt für die Schauspieler, dass sie alles gelernte wieder verlernen müssen.

Ricore: Wie haben sie mit den Schauspielern gearbeitet, um diesen Effekt zu erzielen?

Stamm: Wir haben die Charaktere nach den Schauspielern benannt, damit sie keine Chance haben sich eine Figur zu konstruieren. Sie sollten reagieren, nicht agieren, und aufhören nachzudenken. Ab dem 20. Take tritt Erschöpfung ein, ab Take 30 setzt dann Wut und Verzweiflung, weil sie sich hilflos fühlen. Auf der Leinwand sieht man diese Verzweiflung in den Augen, das kann man nicht spielen.

Ricore: Was ist ihnen beim Casting der Schauspieler am wichtigsten?

Stamm: Am meisten achte ich auf die Persönlichkeit eines Schauspielers. Denn darauf greifen sie in Momenten in denen sie nicht weiterkommen oder erschöpft sind, immer wieder zurück. Ich habe dafür einen Trick entwickelt, ich setzte mich unter die Wartenden und kann sie ungestört kennen lernen. Ashley Bell, die Protagonistin, hat zum Beispiel versucht, mir die Nervosität zu nehmen.
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Der letzte Exorzismus
Ricore: Wie sind sie mit der Frustration der Schauspieler umgegangen?

Stamm: Da wir uns persönlich sehr gut verstanden haben, wussten sie immer, dass es der Sache dienlich ist. Es war teilweise so anstrengend, dass Tränen geflossen sind. Aber es ging allen gleich, mich eingeschlossen und das hat das Team zusammen geschweißt.

Ricore: Würden sie sich selbst als Horror-Fan bezeichnen?

Stamm: Es gibt tolle Horrorfilme, "Der Exorzist", "Shining" oder "Psycho". Aber ich hab mich nie einem Genre zugeordnet. Ich suche nach guten Geschichten und wenn eine im Weltraum spielt, dann mach ich eben Science-Fiction. Horror ist verführerisch, weil man die Menschen ins Mark trifft und man cineastische Mittel gut anwenden kann. Trotzdem konzentriere ich mich auf die Geschichte und die Charaktere.

Ricore: Wie gefallen ihnen die aktuellen Horrorfilme?

Stamm: Der Vorwurf, dass die ganzen Fake-Dokus "Blair Witch Project"-Verschnitte wären, kann ich nicht bestätigen. Ich finde "[•REC]", "Cloverfield" und "Paranormal Activity" sind komplett unterschiedliche Filme, nur weil alle mit einer Handkamera gedreht worden sind, sind es keine "Blair Witch Project"-Verschnitte. Überhaupt ist Fake-Dokumentary ein irreführender Begriff. Es ist weder gefälscht, noch ist es eine Dokumentation. Mockumentary impliziert, dass es sich um etwas Lustiges handelt. Wir brauchen für diesen Stiel eine neue Bezeichnung.
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Daniel Stamm
Ricore: Neo cinema-vérité wäre vielleicht eine mögliche Bezeichnung.

Stamm: Zumindest besser als die bisherigen. Schon seit den 1960ern gibt es Fake-Dokumentary, "Nackt und zerfleischt" etwa. Es ist nicht so, dass ich "Blair Witch Project" nicht auch gut gemacht finde. Aber es ist einfach falsch, den immer als den großen Urvater zu sehen.

Ricore: Religion spielt in "The Last Exorcism" eine wichtige Rolle, welche spielt sie in ihrem Leben?

Stamm: Ich bin in einem atheistischen Haushalt in Hamburg aufgewachsen. Für mich hat Religion aber keine große Rolle in dem Film gespielt. Es war mir wichtig, Religion und Wissenschaft gegenüber zustellen. Wir wollten zeigen, dass zwischen ihnen kein Dialog möglich ist. Diese Metapher hat für mich nichts mit Religion zu tun, sondern mit der aktuellen politischen Lage in den USA, wo sich Republikaner und Demokraten erbittert bekämpfen. Darüber vergessen sie die Bürger und lähmen alles. Es kann zu Katastrophen kommen, die hätten verhindert werden können.

Ricore: Wollten sie einen religionskritischen Film drehen?

Stamm: Es war mir ganz wichtig kein Statement zur Religion abzugeben, deswegen habe ich das Ende offen gelassen. Das polarisiert natürlich. In den USA gibt es Leute, die mich per E-Mail bedrohen, andere lieben das Ende. In Amerika hab ich manchmal das Gefühl, die Kinobesucher erwarten durch den Kauf eines Tickets eine Erleuchtung, die ihnen das Chaos um sie herum erklärt. Dieser Film stellt dem Zuschauer aber eine Frage, mit der er sich selber beschäftigen muss. Dadurch nimmt er das Publikum ernst. Jetzt werden wir sehen wie das europäische Publikum reagiert. In London hat es schon funktioniert, jetzt bin ich auf Deutschland gespannt.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 30. September 2010
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Prediger Cotton Marcus (Patrick Fabian) wird vom schlechten Gewissen geplagt. Seine Teufelsaustreibungen waren nichts als Illusion. Für seinen letzten Exorzismus engagiert er darum ein Fernsehteam, das seine Praxis als Schwindel bloßstellen soll. Doch dann muss er feststellen, dass die Patientin tatsächlich vom Dämon besessen ist. "The Last Exorcism" ist ein Horrorfilm, der klassische Genre-Elemente mit Medienschelte vermischt.
Daniel Stamm wird 1976 in Hamburg geboren. Schon früh beginnt er sich mit Medien zu beschäftigen. Er moderiert eine Radiosendung und schreibt für ein Jugendmagazin. Bevor er als Friedensbotschafter ins irische Belfast geht, tourt er mit einer Theatergruppe und veröffentlicht ein selbstverfasstes Stück. Nach seiner Rückkehr studiert er Drehbuchschreiben an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Danach wandert Stamm in die USA aus und lässt sich in Los Angeles nieder. Dort schließt..
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