TOBIS Film
Ramón Sampedro (Javier Bardem) wünscht sich einen würdigen Tod
Liebe, Leben, Tod und Sex
Interview: Der gefangene Poet - Javier Bardem
"Mir gefällt weder meine Stimme noch mein Gesicht, deshalb bin ich Schauspieler geworden. Während Javier Bardem das ausspricht huscht ein bezauberndes Lächeln über sein Gesicht, das seine Augen zum Strahlen bringt. In "Das Meer in mir" von Alejandro Amenábar spielt er Ramòn Sampedro. Seit einem Badeunfall ist der gelähmte Ramòn ans Bett gefesselt. Heute wünscht er sich nur eins: er will sein Leben endlich beenden dürfen. Bardem spielt seine Rolle mit viel Emotion und Hingabe. Mit Ricore Medien sprach der preisgekrönte Spanier über Ramòn Sampedro und die große Herausforderungen dieser außergewöhnlichen Rolle gerecht zu werden.
erschienen am 15. 03. 2005
TOBIS Film
Seit einem Badeunfall vom Hals abwärts gelähmt: Ramón Sampedro (Javier Bardem)
Ricore: Warum haben Sie sich für diese Rolle entschieden?

Javier Bardem: Mir gefiel Ramòns Unbefangenheit, mit der über die wichtigen Dinge im Leben redet: Liebe, Leben, Tod und Sex. Er konnte sich von diesen Themen weise distanzieren, da er gefesselt an sein Bett ausführlich darüber nachdenken konnte.

Ricore: Sind sie glücklich, dass Sie für den Part bereits einen Preis gewonnen haben?

Bardem: Es gibt keinen Preis, der den Beifall des Publikums ersetzten könnte. Ich war glücklich darüber, dass den Zuschauern der Film so sehr gefallen hat.

Ricore: Fiel es ihnen schwer Fiktion und Realität voneinander zu trennen?

Bardem: Wenn man eine reale Person spielt, hat man immer Angst, ihr nicht gerecht werden zu können. Ramòn war eine starke Persönlichkeit. Seine Bücher bieten wichtige Erkenntnisse über das Leben, den Tod, die Beherrschung des eigenen Körpers und den Unterschied von selbstsüchtiger Liebe - die gleichzusetzen ist mit Habgier - und selbstloser Liebe. Wenn man als Schauspieler mit einem derartigen Charakter konfrontiert wird, muss man seine eigene Person zurückstellen. Man sollte gleichermaßen ein Medium werden, durch das dieser andere Mensch spricht. Für die Rolle musste ich meine persönlichen Konflikte vergessen. Dass war sehr schwer für mich, da ich vor dem Tod Angst habe - ganz im Gegenteil zu Ramòn.

Ricore: Haben Sie auch nachdem Sie diese Rolle gespielt haben Angst vor dem Tod?

Bardem: Mein Verhältnis zum Tod ist ähnlich wie bei den meisten Menschen. Ich betrachte ihn als einen natürlichen Vorgang des Lebens.
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"Er war ein Mann des Meeres", so Javier Bardem über Ramón Sampedro
Ricore: Was hat Ihnen an Ramòn am besten gefallen?

Bardem: Dass er ein ganz einfacher, zur selben Zeit aber auch ein tiefsinniger Mensch war. Er war ein Mann des Meeres. Er hat sich seinen intellektuellen Geist allein durch seinen starken Willen gebildet. Wegen seiner Behinderung war es für ihn schwer zu lesen oder zu schreiben. Er besaß intellektuellen Scharfsinn, aber auch Bodenständigkeit.

Ricore: Welchen Stellenwert hat das Meer in seinem Leben?

Bardem: Durch seine Behinderung war er gefangen und sehnte sich doch nur nach Freiheit. Das Meer war sein Leben und symbolisierte für ihn absolute Freiheit. Ramòn war eine außergewöhnliche Person. Immerzu lag er im Bett, konnte nicht gehen, sich nicht bewegen. Aber trotzdem verführte er die Frauen. Viele Menschen liebten ihn. Er war ein Mann, der weise und sensibel war, einen guten Sinn für Humor besaß, gut aussah, liebevolle Augen hatte, aber hilflos im Bett lag - wahrscheinlich der Traum vieler Frauen. Die Dreiecksbeziehung im Film ist sehr stark, da sie Ramòns wirklichen Bezug zum Leben würdigt.

Ricore: Fiel es Ihnen schwer wie Ramòn mit dem Mund zu schreiben?

Bardem: Ich versuchte wie er mit dem Mund zu schreiben, aber das mir gelang nicht richtig. Ramòns Handschrift war wunderschön. Sie entwickelte sich über viele Jahre. Es bedarf unwahrscheinlich viel Muskelarbeit um mit dem Mund zu schreiben. Ramòn entschied sich nichts desto trotz fürs Schreiben. Seine Poesie war wunderbar.

Ricore: Welche Rolle spielte Musik in seinem Leben?

Bardem: Musik war wie ein Zufluchtsort für ihn. Sie half ihm dabei sich Geschichten auszudenken.

Ricore: Was war für Sie die größte Herausforderung bei den Dreharbeiten?

Bardem: Es war eine enorme körperliche Anstrengung für mich. Am meisten Schwierigkeiten hatte ich mit meiner Stimme. Ich habe eine schlechte Aussprache - mir selber gefällt meine Stimme nicht. Ich konnte nur meinen Nacken, Kopf und meine Augen bewegen. Das fiel mir schwer. Normalerweise drücke ich mich wenn ich spiele durch Körperbewegungen aus. Für diese Rolle musste ich lernen, mich auf andere Art und Weise auszudrücken - durch Gesten und meine Stimme, musste lernen, sie gezielt einzusetzen.
Jean-François Martin/Ricore Text
Javier Bardem
Ricore: Wie war es Ramons Tod zu drehen? Dass muss sehr schwer gewesen sein.

Bardem: Ich fühlte mich als ob ich Ramòns Schmerz fühlen würde und versuchte den Tod durch seine Augen zu sehen. Er soll nicht umsonst gelitten und gestorben sein. Der Film dient dazu, andere zu warnen, die seinen Todeskampf ignorierten. Ramòn wurde gezwungen allein und vergrämt zu sterben!

Ricore: Sahen Sie sich Ramòn Sampedros Video an, dass er 1988 bei seinem Tod aufnahm?

Bardem: Ich sah es mir gemeinsam mit dem Regisseur an und es fiel mir extrem schwer. Das Video ist das spirituelle Testament eines Mannes, der alleine unter Schmerzen sterben muss, weil die Gesetze und die sie interpretierenden Gerichte ihm keine andere Wahl ließ.

Ricore: Hat dieser Film ihr Leben auf irgendeine Art geändert?

Bardem: Ich möchte jeden Moment meines Lebens zelebrieren. Jetzt, morgen und für immer. Ich will das Leben in mich aufsaugen - wie Ramòn, der es so sehr liebte und gerade deswegen beschloss sein Leben mit einem großen Glass Gift zu beenden.

Ricore: Sie sind sehr bedächtig in ihrer Rollenwahl. Die letzten Jahre haben Sie nicht mehr als einen Film pro Jahr gemacht.

Bardem: Ich trachte danach gute Figuren zu spielen. Glauben Sie mir, heutzutage ist das gar nicht so leicht.
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Liebte das Leben: der charismatische Ramòn Sampedro (Javier Bardem)
Ricore: Was gefällt Ihnen am besten an Ihrem Beruf?

Bardem: Ich liebe die damit verbunden Herausforderungen. Ich versuche immer das zu tun was mir gefällt und das auf ehrliche Weise wie in "Das Meer in mir", aber auch "Before Night Falls" und "Carne Tremula". Ich spiele gerne Rollen von Charakteren, die sich "auf der anderen Seite befinden" - Individuen, die über physische oder psychische Grenzen gehen. All diese Charaktere haben etwas gemeinsam. Sie gehen im Leben Kompromisse ein.

Ricore: Sie haben bisher den Schritt nach Hollywood gemieden. Antonio Banderas hingegen ist längst ein erfolgreicher US-Star.

Bardem: Ich bewundere Antonio sehr, er besitzt Kampfgeist. Früher hatte er nicht viel Geld und heute ist er ein gefragter Hollywood Star. Ich will mich selber nicht unter Druck setzen. Ich habe kein Interesse daran, ein Star zu werden. In Madrid erkennt mich auf der Straße jeder, das gefällt mir auch. Aber wenn mich jeder auf der Welt kennen würde, wäre das für mich vielleicht ein Problem.

Ricore: In "Collateral" treten sie neben Tom Cruise in einer kleinen Rolle auf. Auch ein paar andere US-Projekte stehen an.

Bardem: In dem Film spielte ich mit, weil ich neugierig darauf war, wie es in Hollywood zugeht. Dort herrscht das wahre Chaos! Wenn ein spanischer Schauspieler in der amerikanischen Welt arbeiten möchte, muss er meist einen Latin Lover oder Drogendealer spielen. Ich habe beides schon hinter mir... Wir werden sehen, was als nächstes kommt.
erschienen am 15. März 2005
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2024