Carlos Corbelle/Ricore Text
Nicolas Winding Refn
Zwischen Himmel und Hölle
Interview: Nicolas Winding Refns Visionen
Obwohl Nicolas Winding Refn von der Schauspielakademie in New York fliegt, gelingt dem dänischen Regisseur im Alter von 24 Jahren dennoch sein Durchbruch mit "Pusher". Seinen damaligen Hauptdarsteller Mads Mikkelsen konnte er auch für sein neuestes Werk "Walhalla Rising" verpflichten. Im Interview mit Filmreporter.de erzählt uns der 40-jährige Winding Refn, wie er mit Erfolg umgeht und wie er zu Gewalt steht. Außerdem verrät er, was er als Kind werden wollte.
erschienen am 12. 11. 2010
Sunfilm
Walhalla Rising
Ricore: Wie kamen Sie auf die Idee zu "Walhalla Rising"?

Nicolas Winding Refn: Ich wollte den Film machen, seit ich 17 bin. Ich wusste nur nicht wie. Nach "Bronson" kam mir die Idee für ein gutes Konzept. Es geht um einen stummen Mann, der in den Bergen lebt, durch das Heilige Land reist und dann nach Amerika kommt. Das hat einige Jahre gedauert. Ich habe ein paar Ideen von "Walhalla Rising" bereits bei "Bronson" umgesetzt.

Ricore: Warum haben Sie sich dafür entschieden, dass die Hauptfigur stumm ist?

Winding Refn: Das habe ich geträumt. Ich glaube, es war im Halbschlaf. Wenn ich fest schlafe, erinnere ich mich an nichts mehr. Aber wenn ich mich zwischen Himmel und Hölle befinde, kommen die interessanten Ideen.

Ricore: Der Film beschäftigt sich mit dem Glauben und dem Christentum. Soll das unsere heutige Gesellschaft widerspiegeln?

Winding Refn: Alles, was wir tun ist eine Art Abbild. Ich wollte keinen politischen Film machen, aber Religion und Glaube spielt in unserem Leben eine große Rolle. Meiner Meinung nach haben alle Menschen einen Glauben. Über die Religion lässt sich streiten.

Ricore: Wie stehen Sie zur Religion?

Winding Refn: So etwas Mächtiges wie Religion braucht immer die nötige Verantwortung. Da sehe ich die Schwierigkeiten. Aber das hat nichts mit dem Glauben zu tun. Der macht uns zu einem menschlichen Wesen.

Ricore: Die Beziehung zwischen dem Jungen und One-Eye ist interessant. Wie schwer war es, den richtigen Schauspieler für die Rolle des Jungen zu finden?

Winding Refn: Das hat lange gedauert. Maarten Steven war ein Naturtalent. Wir mussten ihm nicht viel sagen, er hat es sofort verstanden.
Sunfilm
Mads Mikkelsen in "Walhalla Rising"
Ricore: Sie haben schon mehrfach mit Mads Mikkelsen zusammengearbeitet. Ist er der richtige Schauspieler für Ihre Visionen?

Winding Refn: Er ist sehr gut darin, mich zu spielen.

Ricore: Das heißt, Ihre Charaktere sind ein Abbild Ihrer selbst?

Winding Refn: Letzen Endes sind sie das.

Ricore: Wo sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen Ihnen und One-Eye?

Winding Refn: Das herauszufinden, wäre etwas für Seelenklempner und Psychologen.

Ricore: Könnten Sie uns einen Hinweis geben?

Winding Refn: Das würde mehrere Stunden dauern.

Ricore: Ihre Filme enthalten immer sehr viel Gewalt. Wie wichtig ist Ihnen dieses Element?

Winding Refn: Ich glaube nicht, dass meine Filme mehr Gewalt zeigen, als die meisten Sachen im Fernsehen. Aber meine Filme können auf emotionaler Ebene sehr gewaltsam sein. Gewalt ist ein Teil meiner Kunst.
Sunfilm
Mads Mikkelsen in "Walhalla Rising"
Ricore: Warum glauben Sie, sind die Menschen so fasziniert von Gewalt im Fernsehen und Kino?

Winding Refn: Vielleicht ist es die Erleichterung, Begeisterung oder Spannung. Es ist Fiktion und der Tod hat immer etwas Heimtückisches. Vor allem, wenn du ihn überlebst.

Ricore: Und für Sie persönlich?

Winding Refn: Darüber habe ich nie nachgedacht. Wenn du stirbst, ist es vorbei. Also bleib solange wie möglich am Leben.

Ricore: Es ist also eine Erleichterung, sich anhand eines Films mit dem Tod auseinanderzusetzen?

Winding Refn: Ja, ich denke das gehört dazu.

Ricore: In Horrorfilmen wie "Hostel" oder "Saw" wird Gewalt und Folter sehr explizit dargestellt. Was halten Sie davon?

Winding Refn: "Hostel" habe ich nicht gesehen. "Saw" fand ich ziemlich clever, wenn man den Film von einer anderen Seite betrachtet. In der westlichen Welt haben wir noch nie so in Frieden gelebt, wie wir es momentan erleben. Dafür muss es einen Grund geben.

Ricore: Glauben Sie, es besteht eine Verbindung zwischen dem Ausdrücken von Gewalt mit Kunst und dem Frieden im wirklichen Leben?

Winding Refn: Ja, ich glaube das ist so eine Art Yin und Yang.
Sunfilm
Mads Mikkelsen in "Walhalla Rising"
Ricore: Wie wichtig ist es Ihnen, in ihren Filmen zu experimentieren?

Winding Refn: Ich finde es bei Filmen wichtig, bei einem neuen Projekt etwas anderes zu machen, als zuvor. Es ist uninteressant, sich zu wiederholen, vor allem für das Publikum.

Ricore: Wie unterscheidet sich "Walhalla Rising" von anderen Filmen?

Winding Refn: Wo würden Sie die Unterschiede sehen?

Ricore: Ich finde, dass der Film eine ganz spezielle Atmosphäre besitzt. Wie würden Sie das beschreiben?

Winding Refn: Das überlasse ich Ihnen. Aber was Sie gesagt haben, ist schon richtig.

Ricore: Haben Geschichtenerzähler eine moralische Verantwortung im Hinblick auf das Thema Gewalt?

Winding Refn: Jeder, der in irgendeiner Weise Kunst macht, hat eine gewisse Verantwortung. Du musst dir im Klaren sein, dass das, was du tust, Reaktionen hervorruft. Du kannst dich nicht zurücklehnen und es ignorieren.

Ricore: Glauben Sie, dass das bei den Medien der Fall ist?

Winding Refn: Viele Künstler sagen, dass sie keine Meinung haben und nur ihre Werke zeigen wollen. Das ist ziemlich heuchlerisch, denn wenn du etwas veröffentlichst, dann hast du auch eine Meinung dazu. Die Medien sagen immer nur: "Wir geben dem Publikum, was sie wollen." Die Zurschaustellung in einem Medium bringt auch immer eine große Verantwortung mit sich. Das ist wie mit McDonalds. Alle sagen es ist ungesund, aber die Menschen gehen trotzdem hin.
Kinowelt Home Entertainment
Bronson
Ricore: Die Farbe Rot ist in "Walhalla Rising" ein wiederkehrendes Motiv, ähnlich wie in "Bronson".

Winding Refn: Das liegt daran, dass ich farbenblind bin. Rot ist die einzige Farbe, die ich noch ganz gut von den anderen unterscheiden kann.

Ricore: Weshalb drehen Sie Ihre Filme immer chronologisch?

Winding Refn: Weil es für mich ein Weg ist, den Film zu verstehen und zu sehen, wie er sich entfaltet. Ich weiß, wo immer mich dieser Weg auch hinführt, es wird der richtige Ort sein.

Ricore: Ist das logistisch gesehen ein Problem? Wenn Sie öfters die Schauplätze wechseln müssen, wird es doch teurer.

Winding Refn: Nein, ich produziere meine Filme selbst. Ab morgen könnte ich da eventuell ein Problem bekommen. Ich fliege nach Los Angeles und drehe "Drive" mit Ryan Gosling.

Ricore: Was für ein Film ist das?

Winding Refn: Es geht um einen Mann, der tagsüber als Stuntman und am Abend als Fluchtfahrer arbeitet.

Ricore: Woher bekommen Sie Ihre Inspiration als Geschichtenerzähler?

Winding Refn: Ich wache nicht jeden Morgen auf und gehe inspiriert zur Arbeit. Ich habe keine bestimmte Technik. Ich bewundere Menschen, die das können.
Sunfilm
Mads Mikkelsen in "Walhalla Rising"
Ricore: Wie sind Sie Regisseur geworden?

Winding Refn: Ich hatte Glück und habe für die Verwirklichung von "Pusher" von einem dänischen Filminstitut 500.000 Euro bekommen.

Ricore: Wie kam es dazu?

Winding Refn: Das wird nicht wieder passieren. Ich glaube, dem dänischen Filminstitut war es damals nicht wichtig, wem sie das Geld geben und in welches Projekt sie investieren. Das Kino war nichts Besonderes. Sie haben nur gesagt: "Das klingt ganz nett, hier hast du das Geld." Mittlerweile hat sich das geändert. Das würde heute nicht mehr passieren.

Ricore: Sie sind aus der New Yorker Akademie für Schauspielkunst geflogen.

Winding Refn: Ja, ich habe während des Unterrichts einen Tisch zerstört.

Ricore: Danach sind Sie nach Dänemark gegangen. Worin sehen Sie den Unterschied zwischen dem europäischen und amerikanischen Film?

Winding Refn: Da besteht kein großer Unterschied. Ich glaube, wenn ich wieder in Hollywood arbeite, habe ich mehr Menschen um mich herum bei der Arbeit. Aber das heißt nicht, dass sie mich nicht auch unterstützen werden. In Amerika ist das Filmemachen ein Geschäft. Auch wenn die Beteiligten Künstler sind, ist das Medium selbst nur ein Werbemittel. In Europa hingegen ist es eine Mischung aus Geschäft und Kunst. Ich bevorzuge es, in Europa zu arbeiten.

Ricore: In "Pusher" waren Sie auch als Darsteller zu sehen. Der Film wurde damals unerwartet erfolgreich. Wie war das für Sie?

Winding Refn: Das war wie ein Monster. Ich war damals 24 und ich war grauenhaft. Danach habe ich meine Karriere nochmals überdacht. Natürlich war es damals toll, einen Film zu machen. Davor habe ich noch nicht einmal einen Kurzfilm gedreht. Als Regisseur, Drehbuchautor, Darsteller und Produzent gleichzeitig zu arbeiten, war eine gute Erfahrung, aber Erfolg zu haben, wenn man noch jung ist, ist keine gute Sache. Das habe ich gelernt.
Sunfilm
Mads Mikkelsen in "Walhalla Rising"
Ricore: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Erfolg in jungen Jahren gemacht?

Winding Refn: Man versteht das alles nicht wirklich. Du denkst wie ein Teenager und dass sich die ganze Welt nur um dich dreht. Dann erst realisierst du, dass es nicht so ist.

Ricore: Wie groß war der Druck nach dem Erfolg von "Pusher"?

Winding Refn: So kann man das nicht sehen. Natürlich musst du danach etwas Besseres schaffen, aber du bist immer noch dein eigener Herr.

Ricore: Sie haben bereits drei Auszeichnungen für Ihr Lebenswerk erhalten, ist das nicht seltsam in so jungen Jahren solche Preise zu bekommen?

Winding Refn: Ja, als würde man sagen, jetzt ist alles vorbei.

Ricore: Was würden Sie machen, wenn Sie nicht Regisseur geworden wären?

Winding Refn: Ich würde Spielzeug entwickeln. Vielleicht asiatische Spielzeuge oder Roboter. Als ich klein war, wollte ich das immer machen.

Ricore: Sie könnten einen Animationsfilm wie "Toy Story" machen.

Winding Refn: Ja, vielleicht, ich liebe "Toy Story". Pixar ist momentan eines der interessantesten Studios der Welt.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 12. November 2010
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Nicolas Winding Refn wird am 29. September 1970 im dänischen Kopenhagen als Sohn des Filmemachers Anders Refn geboren. Im Alter von acht Jahren zieht er mit seinen Eltern nach New York. Dort besucht er nach dem Schulabschluss die Pusher" seinen ersten Spielfilm, der ihm und Hauptdarsteller Mads Mikkelsen zu internationaler Bekanntheit verhilft. "Fear X" wird 2003 sein erster englischsprachiger Film. Die wachsende Fangemeinde von "Pusher" veranlasst ihn dazu, seinen erfolgreichen Debütfilm zu..
Walhalla Rising (Kinofilm)
2024