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Tom Schilling in "Mein Kampf"
Hungern für Hitler?
Interview: Tom Schillings eiserner Kampf
Da ist er schon überrascht: Eines Tages liegt in Tom Schillings Briefkasten das Drehbuch zu "Mein Kampf", mit der Bitte es auf die Rolle Hitlers hin zu lesen. Schilling sagt zu und verkörpert in der Verfilmung von George Taboris Stück den späteren Diktator als jungen, psychisch labilen und physisch fragilen gescheiterten Künstler. Für die Rolle hat der 27-jährige Schauspieler stark abgenommen, um eine Distanz zu der Figur zu bekommen. Im Interview verriet uns Schilling auch, dass er sich gegenüber Götz George, der Schlomo Herzl spielt, seinen eigenen Raum erkämpfen musste.
erschienen am 3. 03. 2011
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Tom Schilling in "Mein Kampf"
Ricore: Haben Sie sich jemals vorgestellt Hitler zu spielen?

Tom Schilling: Nein, natürlich nicht. Das kam einigermaßen unvermittelt.

Ricore: Kam man auf Sie zu?

Schilling: Ja, das war ganz klassisch. Es kam Post von der Agentur mit dem Drehbuch und einem Anschreiben der Produktion, dass es bitte auf die Rolle Hitlers hin gelesen werden sollte. Das fand ich dann doch sehr lustig und überraschend.

Ricore: Was glauben Sie, aus welchem Grund man ihnen die Rolle angeboten hat? Gibt es Ähnlichkeiten mit Hitler, äußerlicher oder innerlicher Natur?

Schilling: Ich weiß nicht. Wir haben dunkle Haare und blaue Augen...

Ricore: Aufgrund ihrer körperlichen Statur verleihen Sie der Figur eine große Fragilität. Gibt es da Parallelen zu Hitlers psychischer Labilität?

Schilling: Das weiß ich nicht. Warum man mit der Rolle auf mich zugekommen ist, wäre eher eine Frage an die Produktion. Ich denke, man hat einen deutschsprachigen Schauspieler gesucht, der dieses Alter spielen kann und da kam ich mit meinen 27 Jahren in Frage. Ich habe natürlich auch versucht, die Körperlichkeit herzustellen
ZDF/Graeme Hunter
Tom Schilling in Ken Folletts "Eisfieber"
Ricore: Sie haben für die Rolle stark abgenommen.

Schilling: Das war aber auch eine Entscheidung, mit der Rolle nicht zu nahe bei mir selbst zu kommen. Man muss sich als Schauspieler ja auch selber glauben, dass man jemand anderes ist. Gerade bei dieser Figur kann es hinderlich sein, wenn man in den Spiegel guckt und sich denkt: das ist Tom Schilling mit einem angeklebten Bart. Ich wollte eine körperliche Veränderung vollziehen, die dann auch zu einer geistigen Veränderung geworden ist. Das hatte auch damit zu tun, dass ich ziemlich viel abgenommen habe. Man ist dann ein bisschen labiler, was sich gut gefügt hat und es hat mir wahnsinnig geholfen, die notwendige Distanz zu schaffen. Aber auch für die Optik fand ich etwas Abgemagertes, Asketisches wichtig. Hitler hatte das auf vielen Fotos, auf denen er fragil und total eingefallen aussieht.

Ricore: Wie haben Sie sich sonst auf die Rolle vorbereitet?

Schilling: Mit vielen Büchern. Mit den Biographien von [Joachim] Fest und [Ian] Kershaw. Es gibt ein wunderbares, hilfreiches Buch, "Hitlers Wien" von Brigitte Hamann, das konkret Hitlers Jahre in Wien thematisiert. Auch mit Filmen habe ich mich vorbereitet sowie mit Helmut Qualtinger, der aus "Mein Kampf" liest. Es ist toll sich auf so eine Rolle vorzubereiten, weil es so unendlich viel Material gibt und man sich das zusammensuchen kann, was man meint, dafür zu brauchen.

Ricore: Wichtiger Aspekt der Figur Hitlers ist seine rhetorische Stärke. Haben Sie lange vor dem Spiegel gestanden, um das hinzukriegen?

Schilling: Es gibt ein paar Szenen in denen er vor dem Spiegel steht und die Gesten die er sich bei Schlomo Herzl, gespielt von Götz George, abgeschaut hat, einzustudieren und für sich zu benutzen. Die sind stark an die Fotos von Hitler in Redepose angelehnt. Diese Posen habe ich vor dem Spiegel geübt.

Ricore: Können Sie nachvollziehen, dass so viele Menschen damals der Verführungskraft Hitlers wegen seines rhetorischen Talents erlegen sind? Hat ihre Rolle das unterstrichen?

Schilling: Es war eine sehr spezielle Zeit, in der viele unglückliche Umstände zusammen kamen und in denen es eine große Unsicherheit und Armut gab. Die antisemitischen Tendenzen hat es schon vor Hitler gegeben. In seiner Figur hat sich dann alles kulminiert. Er hatte diese Fähigkeit, zu verführen und das war sicherlich sein größtes Talent.
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Tom Schilling in "Mein Kampf"
Ricore: Hatten Sie Angst, diese Rolle zu spielen und warum?

Schilling: Ja, natürlich. Weil es zahlreiche Filme gibt, die nicht gut sind. Und weil die Leute bei diesen Filmen besonders hinschauen und bei diesem Thema viel erklärt bekommen möchten, zu diesem größten und exemplarischsten Genozid der Menschheit. Man möchte dabei so viel als möglich verstehen und eben auch die Figur Hitlers. Viele Filme können diesen Erkenntnisgewinn nicht liefern und das Publikum geht umso kritischer mit einem Film um, dem das nicht gelingt. Meiner Meinung nach gibt es nicht viele Filme, die das geschafft haben. "Der große Diktator" ist wahrscheinlich der schönste und beste. Deswegen ist die Latte hochgelegt und viele sind gescheitert. Aber das Scheitern gehört zu meinem Beruf. Ich wäre schön blöd, wenn ich sagen würde: 'ich trau mich nicht, weil ich Angst hab, dass die Leute hinterher sagen könnten: Na, das hat er aber schlecht gemacht.' Das gehört dazu.

Ricore: Hatten Sie Bedenken, dass Sie durch die Rolle emotional beeinflusst werden könnten?

Schilling: Nein. Das einzige was mich noch beschäftigt hat, war der Fasten-Prozess, bei dem es noch eine Weile dauert, bis man da aussteigen kann.

Ricore: Bei der Darstellung Hitler besteht immer die Gefahr der Verharmlosung.

Schilling: Ich habe versucht der Figur und dem Menschen gerecht zu werden. Wenn ich so eine Figur spiele, wäre ich auf dem Irrweg wenn ich die Vermenschlichung ablehnen würde. In der Schauspielerei geht es ja gerade darum, zu Vermenschlichen, darum etwas fassbar zu machen und zum Leben zu erwecken. Und natürlich war Hitler ein Mensch. Ich finde auch, dass Bruno Ganz es ganz hervorragend gemacht hat. Meine Aufgabe als Schauspieler ist es nicht, Geschichte zu spielen, sondern eine Figur zu spielen. Und da spiele ich einen zutiefst verunsicherten, gekränkten, verhätschelten jungen Mann, der zwischen Größenwahn und Depression oszilliert.

Ricore: Gibt es genug Hitlerfilme?

Schilling: Ich finde, dass es keinen Film zu viel über dieses Thema gibt und dass jede Auseinandersetzung damit richtig ist. Wenn ich von Jüngeren höre: "Ach hör mir auf mit diesem Thema", habe ich dafür eigentlich kein Verständnis. Ich will es verstehen. Und dafür muss man sich immer wieder damit beschäftigen. Genozide gibt es überall. Das war einfach nur der größte, perfideste und furchtbarste von allen und ein industriell durchgeplanter. Exemplarisch hieran kann man sehen, was Menschen dazu bringt, andere Volksgruppen auszurotten.
Constantin Film
Tom Schilling und Robert Stadlober in: "Verschwende deine Jugend"
Ricore: Man hat den Eindruck, der Film psychologisiert nicht, er erklärt nicht, wer Hitler ist, sondern zeigt ihn eher.

Schilling: Das kann sein.

Ricore: "Mein Kampf" ist alles andere, als ein realistischer Film, er ist eine poetische Verdichtung, eine Burleske, eine Groteske, ein humoristischer Film. Viele Filme wählen bei diesem Thema den komödiantischen Weg. Sie erwähnten "Der große Diktator", zu nennen wäre auch Roberto Benignis "Das Leben ist schön". Ist das die einzig mögliche Form, das Grauen der Hitlerzeit darzustellen?

Schilling: Irgendwie schon, zumindest für den Film. Für das Andere gibt es die Wissenschaft und die Historiker. In der Kunst bietet es sich an, einen anderen Ansatz zu haben. Trotzdem finde ich auch, dass "Der Untergang" seine Berechtigung hat, der versucht die Schriften Fests zu rekonstruieren und filmisch zu machen.

Ricore: Und dennoch hat "Der Untergang" damals eine große Kontroverse ausgelöst, gerade weil er diesen realistischen Ansatz hatte. Glauben Sie, dass "Mein Kampf", weil er einen anderen Weg gewählt hat, eine solche Debatte umgehen wird?

Schilling: Ich glaube nicht, dass der Film eine Kontroverse auslöst. An meiner Hitler-Darstellung wird man wahrscheinlich genauso rumkritteln, wie damals an Bruno Ganz, zu dem es damals hieß: Kann man Hitler so vermenschlichen? Bei mir wird die Frage sein: Ist der reif genug, Hitler zu spielen? Irgendwas wird sich immer finden, über das man sich ereifern kann.

Ricore: Sie gelten als intellektueller Schauspieler, lesen Literaturklassiker wie Hermann Hesse und Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Hat Sie an dem Film auch die literarische Vorlage von George Tabori gereizt?

Schilling: Ich kannte das Stück nicht. Ich habe viel gelacht als ich die Novelle gelesen habe. Gereizt hat mich dieses Thema aber vor allen, weil hier etwas verhandelt wird. Aus der Sicht des Schauspielers ist meine Rolle eine großartige Figur. Man sucht ja immer den Bruch und die Zerrissenheit, ich jedenfalls. Mir macht das Spaß, so etwas herauszuarbeiten. Eine Figur die total komplex-beladen ist, macht mir mehr Spaß, als beispielsweise der junge Liebhaber.
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Götz George und Tom Schilling in "Mein Kampf"
Ricore: Wie war es, mit Götz George zu arbeiten?

Schilling: Es war eine sehr herausfordernde Arbeit. Mit Götz George assoziiert man den Über-Schauspieler wie es schon sein Vater war. All das ist wahr und ist auch im Raum, wenn er anwesend ist. Er hat eine große Ausstrahlung und nimmt sich viel Raum. Da ist es dann wichtig, sich seinen eigenen Raum zu erkämpfen, wenn es die Figur verlangt. Wenn ich mich da klein gemacht hätte, hätte ich meine Rolle nicht gut spielen können. Insofern war es eine aufreibende Arbeit, was aber für die Beziehung der Figuren Schlomo Herzl und Hitler ganz zuträglich war.

Ricore: Haben Sie etwas von Götz George lernen können?

Schilling: Präzision würde ich sagen.

Ricore: Haben Sie sonst Vorbilder im Schauspielbereich?

Schilling: Ich hab natürlich meine Lieblingsschauspieler, die großen Darsteller der 1970er Jahre wie Robert De Niro und Al Pacino. Auch Daniel Day-Lewis mag ich gerne und Johnny Depp, der eine ganz andere Art vor Schauspieler ist, fast schon eine Art Charge. Aber auch in Deutschland gibt es großartige Schauspieler, Ulrich Noethen, Ulrich Tukur, Daniel Brühl und August Diehl.

Ricore: Können Sie schon etwas über ihr nächstes Projekt erzählen?

Schilling: Im Moment drehe ich einen Film mit dem Titel "Oh Boy", eine Geschichte über einen Mann, dem das Leben abhanden gekommen ist, eine Holden-Caulfield-Figur. Der Film ist im Prinzip ein Generationsportrait.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 3. März 2011
Zum Thema
Tom Schilling hat bereits eine steile Karriere gemacht. Im Gegensatz zu vielen anderen Jungstars startete Schilling seine Ausbildung auf der Bühne. Als Zwölfjähriger erwarb er sich bei "Im Schlagschatten des Mondes" erste Schauspielerfahrung beim Berliner Ensemble. Weitere Bühnenrollen folgten. Mit "Crazy" kam 2000 auch der Durchbruch auf der Leinwand. In der Rolle des Jakob zeigt Schilling, dass er nicht nur ein großes Talent hat, sondern auch die nötige Leinwandpräsenz hat.
Mein Kampf (Kinofilm)
Als der junge Adolf Hilter (Tom Schilling) aus der österreichischen Provinz nach Wien zieht, hat er nur den Wunsch, Künstler zu werden. Von der Kunstakademie der Metropole wird er jedoch abgelehnt. In einer Männerpension findet er Unterschlupf und lernt hier den Juden Schlomo Herzl (Götz George) kennen. Dieser schreibt an seiner Autobiografie mit dem Titel "Mein Leben". Als das Werk nach reiflicher Überlegung in "Mein Kampf" umgetauft wird, ist der psychisch labile Hitler hellauf begeistert...
2024