Paramount Pictures
Gore Verbinski bei der Premiere von "Rango" in Berlin
"Niedlich ist langweilig"
Interview: Gore Verbinski postmodern
Mit "Fluch der Karibik" hat Gore Verbinski dem totgesagten Genre des Piratenfilms neues Leben eingehaucht. Nun wagt sich der 46-jährige Regisseur zum ersten Mal an einen Animationsfilm. Auch bei "Rango" arbeitet er mit Johnny Depp zusammen und lässt ihn ein Chamäleon sprechen, das im Wilden Westen landet. Im Interview mit Filmreporter.de spricht Verbinski über die Entstehung des Animationsabenteuers und seine Vorliebe für postmoderne Western. Zudem erzählt er, warum ihn der Erfolg seiner Piratenfilmreihe genervt hat.
erschienen am 1. 03. 2011
Paramount Pictures
Rango
Ricore: Was war zuerst da: Die Geschichte oder die Idee, einen Animationsfilm zu machen?

Gore Verbinski: Ich wollte schon länger einen Animationsfilm drehen. Schon im Jahr 2003 habe ich mich mit meinem Freund David Shannon darüber ausgetauscht. Damals hatten wir die Idee von einem Western mit Wüstentieren, die wir dann auf zwölf Seiten umrissen haben. Im Mittelpunkt stand das Chamäleon und seine Identitätskrise. Nach zwei weiteren "Fluch der Karibik"-Teilen habe ich dann beschlossen, das Projekt anzugehen.

Ricore: Der Film unterscheidet sich sehr von ihren bisherigen Arbeiten. Warum haben Sie sich für einen Animationsfilm entschieden?

Verbinski: Es ist ja nichts komplett Neues für mich. In meinen Actionfilmen haben wir viele Animationssequenzen gemacht. Die Zeit war einfach reif dafür. Nachdem wir die beiden "Fluch der Karibik"-Filme direkt nacheinander abgedreht hatten, war ich erschöpft. In drei Phasen haben wir uns dann diesem Film angenommen. Zunächst verbrachte ich mit sieben Künstlern anderthalb Jahre in einem Haus, ganz schlicht mit Bleistift und Papier, Mikrofonen und einem Computer. Wir haben dabei eine erste Fassung entworfen. Der ganze Film basiert auf Bleistiftskizzen. Darauf folgten 20 Tage mit den Schauspielern und im Anschluss anderthalb Jahre Bearbeitungszeit. Das Projekt hat sich also über dreieinhalb Jahre gezogen.

Ricore: Wenn man sich die teilweise doch surrealen Szenen anschaut, fragt man sich, ob nicht ein paar illegale Substanzen im Spiel waren, um auf diese Ideen zu kommen?

Verbinski: Die brauche ich nicht mehr. Ich vertraue nur noch auf natürliche Stoffe. [lacht]

Ricore: Normalerweise kommen die Synchronsprecher ins Studio, sprechen ihre Texte ein und verschwinden wieder. Bei Ihnen haben Sie jedoch wie bei einem Bühnenstück zusammengearbeitet. Warum haben Sie diesen Ansatz gewählt?

Verbinski: So arbeiten wir auch bei Realfilmen. Die übliche Prozedur bei Animationsfilmen klang in unseren Ohren einfach lächerlich. Wir wussten, dass wir mit Schauspielern arbeiten wollten. Es war notwendig, dass sie alle an einem Ort zusammenkommen. Dreieinhalb Jahre sind eine lange Zeit, in der wir immer wieder intuitiv reagieren mussten. Das ist einfacher zu bewerkstelligen, wenn man die Darsteller um sich hat. Dadurch entsteht eine besondere Energie, die es zu erhalten gilt.
Paramount Pictures
Gore Verbinski bei der Premiere von "Rango" in Berlin
Ricore: Wie hat sich der Prozess Ihrer Meinung nach auf das fertige Produkt ausgewirkt?

Verbinski: Nun, wir mussten immer wieder ein Gefühl für die Situation entwickeln, in der wir uns befanden. Ich zeichnete mit meiner Kamera immerhin ein Gespräch zwischen einem Chamäleon und einer Schildkröte auf. Obwohl jeder Moment unserer Fantasie entstammt, wollten wir ein möglichst realistisches Gefühl vermitteln. Unsere damalige Rohfassung kommt dem fertigen Film schon ziemlich nahe, wobei sie natürlich noch nicht ganz so detailliert war. Aber darin hatten Jim [James Ward Byrkit], John Logan und ich noch für die Stimmen gesorgt und das klang furchtbar. Erst durch die großartigen Leistungen der Schauspieler werden die Figuren zum Leben erweckt.

Ricore: Wie alle Western handelt auch dieser Film vom Konflikt zwischen Natur und Zivilisation, alt gegen neu. Was bedeuten diese Gegensätze heutzutage?

Verbinski: Ich war immer ein Fan von postmodernen Western. Als Kind habe ich Leone- und Peckinpah-Filme geschaut und erst viel später die Sachen von John Ford. In diesen Filmen wurde immer das Ende einer Ära thematisiert. Revolverhelden waren eine aussterbende Gattung und mussten sich dem Fortschritt beugen. Auch in unserem Film wird die bestehende Ordnung durch den Fortschritt ins Wanken gebracht. Die Figuren sind an den alten Westernhelden angelehnt, die mit der Pistole an der Hüfte wahllos dem Kampf um Leben und Tod ausgeliefert sind. Die Geschichten waren damals sehr einfach gestrickt. Als der Fortschritt kam, haben wir uns einfach von ihm mitreißen lassen und vergessen, wohin uns dieser Weg führt. Vielleicht wünschen sich die Leute eine einfachere Welt. Das Western-Genre erlaubt es, solche Geschichten zu erzählen. Diese Elemente sind allgegenwärtig und finden sich auch in "Star Wars" und "Fluch der Karibik" wieder.

Ricore: War von Anfang an klar, dass Johnny Depp die Hauptfigur spricht?

Verbinski: Ich habe mich mit Johnny 2004 zum ersten Mal darüber unterhalten. Er war von Anfang an begeistert. Die Figur haben wir dann nach seinem Vorbild entworfen.

Ricore: Johnny Depp dürfte Ihnen für "Fluch der Karibik" sehr dankbar sein.

Verbinski: Nun ja, eigentlich ist es Johnny, der Captain Jack erschaffen hat. Bei "Rango" haben wir ihm sozusagen die Hülle geliefert, den Anzug. Aber den Anzug von Jack Sparrow hat er selbst entworfen. Er hat der Figur seinen Stempel aufgedrückt.
Paramount Pictures
Gore Verbinski und Isla Fisher bei der Premiere von "Rango" in Berlin
Ricore: Haben Sie erwartet, dass die "Fluch der Karibik"-Reihe derart erfolgreich sein würde?

Verbinski: Nein, das haben wir überhaupt nicht geplant. Ich finde es schön, wenn Leute dich für verrückt halten und als Außenseiter betrachten - wenn sie alles kritisieren, was du machst und dich scheitern sehen wollen. Das ist einfach gesünder. Die Verantwortung bei den "Fluch der Karibik"-Fortsetzungen ging mir auf die Nerven. Wenn die Filme nicht 300 Millionen Dollar an den amerikanischen Kinokassen einspielen, gelten sie als Flop. Es ist befreiend, wenn die Erwartungen nicht ganz so hoch sind. Außerdem will das Publikum immer wieder etwas Neues sehen. Dass man damit auch mal scheitert, gehört zu diesem Beruf.

Ricore: Sie haben also nie in Erwägung gezogen, den vierten Teil zu inszenieren?

Verbinski: Ich wurde gefragt, aber ich habe keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr gesehen, auch für mich persönlich.

Ricore: Im Verlauf von "Rango" nimmt nicht nur die Schlange die Rolle des Bösewichts ein, sondern auch der Kapitalismus. War das ein Thema, das Sie in diesem Film bewusst erörtern wollten?

Verbinski: Das hatte ich mit der Idee des postmodernen Westerns gemeint. Sie beinhaltet, dass Fortschritt in all seinen Formen eine unausweichliche Kraft darstellt. Die klassischen Helden werden von ihr verschluckt. Ich fand diese alten Western immer sehr traurig - wenn am Ende die Eisenbahnlinie gebaut wurde, die Modernisierung gesiegt hat und es keine Cowboys und Indianer mehr gab. In einer solchen korrupten Welt bleibt kein Platz für Ehrlichkeit.

Ricore: In "Fluch der Karibik 3" gibt es Sequenzen, in denen Jack Sparrow verwirrt durch die Wüste wandert. Haben Sie die Parallelen zu "Rango" bewusst eingebaut?

Verbinski: An einer bestimmten Stelle wiederholt man sich immer irgendwann. Diese Szenen sind aber genauso an Sergio Leone angelehnt wie an "Fluch der Karibik" oder an John Ford, Shakespeare und Homer.
Buena Vista International
Gore Verbinski
Ricore: Die Eulen der Mariachi-Band kommentieren die Handlung wie ein Chor in einem klassischen Drama. Existierten sie bereits im Drehbuch?

Verbinski: Ja, sie waren von Beginn an so angelegt.

Ricore: Haben Sie Clint Eastwood gefragt, ob er die an ihn angelegte Figur sprechen wolle?

Verbinski: Nein, wir haben das von Beginn an als Parodie verstanden.

Ricore: Anders als in vielen Animationsfilmen sind Ihre Charaktere alles andere als niedlich.

Verbinski: Nun, ich finde 'niedlich' langweilig und zweidimensional. Für mich ist das Western-Genre voll von diesen Charaktertypen, die einem Toten die Stiefel von den Füßen ziehen. Auch die Nebenfiguren sind so gezeichnet, dass sich in ihren Gesichtern immer eine eigene Geschichte verbirgt. Das war mir wichtig, als wir etwa den Papagei mit einem Ohr erschaffen haben. Man fragt sich, wann er das andere Ohr verloren hat, erfährt es aber nie. Die Figuren sollen charakterliche Tiefe besitzen, auf ihre eigene Hintergrundgeschichte hinweisen. Ihre Gesichter sind vielleicht nicht symmetrisch, aber sie haben eine Daseinsberechtigung. Sie sollen nicht einfach nur nichtssagend mitten in der Geschichte auftauchen.

Ricore: Ist "Rango" deshalb kein Film für Kinder?

Verbinski: Doch, Kinder mögen doch eklige Sachen. [lacht] Generell ist er sowohl für Kinder, als auch Erwachsene gedacht. Der Humor ist jeweils ein anderer: Kinder lachen beispielsweise, wenn jemand eine Bratpfanne auf den Schädel bekommt. Eltern bringt man wiederum anders zum Lachen.
Paramount Pictures
Gore Verbinski bei der Premiere von "Rango" in Berlin
Ricore: In Japan gibt es Animationsfilme in allen Genres und alle Altersgruppen. Bei uns sind dagegen immer nur Kinder die Zielgruppe. Woran liegt das ihrer Meinung nach?

Verbinski: Zunächst würde ich sagen, dass unser Film für jedermann ist. Animation ist nur eine Technik, um eine Geschichte zu erzählen. Irgendwann sind Marketingleute auf die Idee gekommen, dass Animationsfilme für Kinder gemacht werden. So lassen sie sich verkaufen. Wenn wir mit diesem Film Erfolg haben, könnte das der Grundstein für weitere sein, die nicht allein auf Kinder ausgerichtet sind. Vielleicht macht auch jemand einen nicht jugendfreien Animationsfilm, der nur mit einem speziellen Publikum funktioniert.

Ricore: Werden Sie weiterhin Animationsfilme drehen?

Verbinski: Absolut. Zwar nicht direkt im Anschluss, aber wenn die Geschichte gut ist, warum nicht?

Ricore: Was halten Sie von 3D?

Verbinski: Ich mag 3D aus verschiedenen Gründen. Aber in diesem Film habe ich es nicht vermisst. Es wäre nur ein Kniff gewesen, um mehr Geld verlangen zu können. Ich mag es, wenn 3D interaktiv genutzt wird. Im Spielebereich fasziniert es mich, wenn man sich mit der 3D-Brille durch den Raum bewegen kann und das Geschehen kontrolliert. Wenn man 3D auf passive Weise nutzt, kann das zwar erfolgreich sein, wenn es beispielsweise um das Erforschen verschiedener Welten geht. Aber das müsste man schon konkret auf einen Film beziehen. Generell bin ich weder dafür noch dagegen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 1. März 2011
Zum Thema
Rango (Kinofilm)
Chamäleon Rango tauscht seine gewohnte Umgebung gegen eine Kleinstadt im Wilden Westen ein. Die tierischen Bewohner glauben jedoch nicht, dass der Neuzugang allzu lange überleben wird. Doch wie der Zufall es will, besiegt Rango einen riesigen Vogel und wird kurzerhand zum Sheriff erklärt. Kann er die Bewohner vor Banditen aber wirklich beschützen? Johnny Depps typische Bewegungen wurden auf das animierte Chamäleon übertragen. Regisseur Gore Verbinski ließ die Szenen hierfür im Studio..
Vor seiner Geburt siedelt Gore Verbinskis Familie von Polen nach Amerika. Dort wird er 1964 als Gregor Verbinski in Tennessee geboren. Schon im Teenageralter dreht er kleine Werke mit einer 8mm-Kamera. Nach dem Studium der Filmwissenschaft an der Mäusejagd". Die folgenden Arbeiten gehören verschiedenen Genres an. Mexican - Eine heiße Liebe" und danach für den Horrorfilm "Ring" (2002) verantwortlich. 2003 dreht Verbinski den ersten Teil der "Fluch der Karibik"-Reihe, die sich zu einem der..
2024