Pandora Film
Anh Hung Tran am Set von "Naokos Lächeln"
Inspiration ist alles
Interview: Spontaner Anh Hung Tran
Der vietnamesische Regisseur Anh Hung Tran hat sich den millionenfach verkauften Roman "Naokos Lächeln" vorgenommen. In Haruki Murakamis Geschichte erzählt Toru Watanabe, wie er als junger Mann den Tod eines Freundes verkraften muss. Im Interview mit Filmreporter.de erläutert Tran, weshalb er die Perspektive der Geschichte veränderte. Außerdem erklärt er, wie ihn Rinko Kikuchi überzeugte, sie als Naoko zu besetzen. Nicht zuletzt erfahren wir, weshalb er so wenig Filme realisiert.
erschienen am 29. 06. 2011
Pandora Film
Naokos Lächeln
Ricore Text: Weshalb ist Ihre Ehefrau Nu Yên-Khê Tran in jedem Ihrer bisherigen Filme zu sehen, jedoch nicht in "Naokos Lächeln"?

Anh Hung Tran: Sie spielt nicht mit, weil sie keine Japanerin ist.

Ricore Text: Demnach sind alle Schauspieler in "Naokos Lächeln" japanischer Herkunft?

Tran: Genau. Allerdings hat meine Frau das Produktions- und Kostüm-Design des Films übernommen.

Ricore Text: Wie reagierte Haruki Murakami, als er das erste Mal von Ihrem Wunsch hörte, seinen Roman zu adaptieren?

Tran: Er hat mich vermutlich in Tokio getroffen, weil er meine bisherigen Filme interessant fand. Er hat zwei Bedingungen gestellt, um meinem Projekt endgültig zuzustimmen. Zum einen wollte er das Drehbuch lesen, zum anderen wollte er über das Budget des Films informiert werden.

Ricore Text: Welche Änderungen hat Herr Murakami an Ihrem Drehbuch vorgenommen?

Tran: Zum ersten Drehbuchentwurf hat er viele Anmerkungen gemacht. Das waren jedoch keine konkreten Veränderungsvorschläge, die eine bestimmte Richtung vorgaben, sondern eher generelle Hinweise, von denen er glaubte, dass sie hilfreich für den Film sein könnten. Einige seiner Tipps habe ich ins Drehbuch mit aufgenommen, so etwa bei den Dialogen.

Ricore Text: Weshalb haben Sie die Geschichte in der filmischen Gegenwart und nicht wie im Buch als Rückschau angelegt?

Tran: Mir gefiel die Struktur der Rückblende nicht, weil es für die Zuschauer ein zu bekanntes filmisches Mittel ist. Außerdem hätte es mir nicht genügend interessante filmische Möglichkeiten geschaffen, da im Buch in der Gegenwart gar nichts passiert. Man hätte nur einen älteren Mann gehabt, dessen Gesicht man sieht und der einfach nur in die Vergangenheit schaut.
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Wahre Liebe in "Naokos Lächeln"?
Ricore Text: Im Film gibt es viele Szenen, die fast ohne Dialoge auskommen. Welche Bedeutung haben die Dialoge für Sie?

Tran: Ich weiß es nicht. Wenn es nicht unabdingbar ist, dass Menschen im Film sprechen, ist es besser, dass es still bleibt. Wenn dann gesprochen wird, kommt dem umso mehr Bedeutung zu. Figuren des Sprechens Willen sprechen zu lassen, halte ich für falsch. Wenn man ständig Stimmen hört, gewöhnt man sich zu sehr daran und es ist nicht mehr interessant, zuzuhören.

Ricore Text: Haben Sie die Figuren des Films alleine oder mit den Schauspielern ausgearbeitet?

Tran: Natürlich habe ich mit den Schauspielern zusammengearbeitet. Man kann nichts alleine kreieren. Wir haben viel über die Charaktere gesprochen. Am Tag des Drehs habe ich die Darsteller gebeten etwas zu spielen, auf dessen Basis man weiterarbeiten kann.

Ricore Text: Was hat Sie trotz anfänglicher Skepsis davon überzeugt Rinko Kikuchi als Naoko zu besetzen?

Tran: Am Anfang habe ich in der Tat gedacht, dass Sie nicht die Richtige für Naoko sei. Deswegen habe ich mich zunächst auch geweigert, sie für die Rolle vorsprechen zu lassen. Am Ende des Casting-Prozesses habe ich es ihr doch noch erlaubt und sie hat mir sofort sehr gut gefallen. Es war klar, dass ich Rinko für diese Figur besetzen muss.

Ricore Text: Was hat Ihnen an ihr gefallen?

Tran: Wie sie Naoko porträtiert hat, war besonders gelungen. Sie wirkte sehr zerbrechlich und wahrhaftig.
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Dreiecksbeziehung in "Naokos Lächeln"
Ricore Text: Weshalb haben Sie nach Ende Ihrer kreativen Pause 2008 keine vietnamesischen Filme gedreht?

Tran: Es liegt wie immer an der Finanzierung. Ich kann nicht selbst entscheiden welchen Film ich als nächstes mache. Ich schlage Produzenten verschiedenes vor und entweder sie mögen es, oder eben nicht. Es dauert lange, bis sich das Passende ergibt. Während ich am Schnitt von "Cyclo" saß, hatte ich unterschiedliches im Blick, auch nicht-vietnamesisches. Doch "Ein Sommer in Hanoi" war schließlich das Projekt, welches den Zuschlag bekam. Es ergab sich ganz zufällig, dass ich damals drei vietnamesische Filme hintereinander drehte. Es hätte auch ganz anders kommen können.

Ricore Text: Welche Zutaten muss eine Geschichte haben, damit Sie einen Film machen möchten?

Tran: Ich weiß es nicht. Ich weiß das erst, wenn ich die Geschichte lese.

Ricore Text: Würden Sie gerne mehr Filme drehen?

Tran: Ja. Am liebsten würde ich jedes Jahr einen Film umsetzen. Doch es kommt auf die Produzenten an. Schlage ich einen schwierigen und teuren Film vor, sagen sie nein. Würde ich eine kostengünstige Komödie machen wollen, würden sie ja sagen.

Ricore Text: Also realisieren deshalb so wenige Filme, weil Sie keine leichte Komödien drehen wollen?

Tran: Nein, daran liegt es nicht. Ich suche mir nie ein Thema aus, das Thema sucht mich aus. Ich stoße zufällig auf Dinge und entscheide mich einen Film daraus zu machen. Wenn etwas nicht zufällig in mein Erscheinungsfeld tritt, kann daraus auch kein Film-Projekt entstehen.
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Anh Hung Tran am Set von "Naokos Lächeln"
Ricore Text: Würden Sie in Zukunft gerne mehr französische Projekte machen? Sie sind ja in Frankreich aufgewachsen und leben dort.

Tran: Alles ist möglich. Ich könnte auch etwas in Irland oder der Türkei machen. Auch Hollywood ist vorstellbar. Wenn es ein interessantes Projekt ist, werde ich es machen. Mir wurden schon viele Drehbücher für einen Hollywood-Film geschickt, doch bisher war nichts dabei, das gut genug war. Deswegen habe ich noch nichts mit Hollywood gemacht.

Ricore Text: Was hat Ihnen an den Drehbüchern nicht gefallen?

Tran: Sie waren in filmischer Hinsicht nicht interessant genug. Es gab nichts, wo ich die Filmkunst zum Einsatz hätte bringen können. Einige hatten zwar eine tolle Geschichte, das alleine ist jedoch nicht genug.

Ricore Text: Visuelle Aspekte sind für Sie also von hoher Wichtigkeit?

Tran: Der visuelle Aspekt spielt erst ganz am Ende eine Rolle, wenn man die Szene selbst dreht. Man tastet sich Schritt für Schritt voran und sieht, was sich richtig anfühlt. Man plant es nicht vorher oder hat eine bestimmte Idee. Das Bild ist etwas, dass erst im letzten Moment entsteht.

Ricore Text: Ich hätte vermutet, dass die beeindruckenden visuellen Szenen Ihrer Filme, wie auch die in "Naokos Lächeln", einer detaillierten Planung bedürften.

Tran: Wir haben viele Dinge geplant. Beispielsweise die Farben und die Stofflichkeit des Bildes. Das ist für mich jedoch nichts Visuelles. Visuell ist für mich die exakte Aufnahme einer Szene und die Frage wie man Charaktere ins Bild setzt.

Ricore Text: Wie gestaltet sich in diesem Zusammenhang Ihre Arbeit mit Schauspielern?

Tran: Ich habe eine präzise Vorstellung davon, wie ein Schauspieler sein sollte und wie er sich während eines Filmdrehs mir gegenüber zu verhalten hat. Ebenso muss ich auf die Darsteller eingehen, damit alles funktioniert.
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Szene aus "Naokos Lächeln"
Ricore Text: Wie ist Ihre Vorstellung eines Schauspielers?

Tran: Er sollte nie versuchen, mich aggressiv zu überzeugen, so wie man es oft in Amerika macht. Ich muss die Möglichkeit haben, Emotionen reflektieren zu können. Außerdem sollen Sie keinen Charakter spielen, sondern eine Person sein. Deshalb müssen sie voller Selbstzweifel an den Set kommen und dürfen ihre Figuren nicht zu präzise ausgearbeitet haben. Sind sie zu präzise, sieht man einen geplanten, unnatürlichen Charakter und das ist nicht gut.

Ricore Text: Lässt sich zwischen dem Schmerz in vielen Ihrer Filme und Ihrer Kindheit in Vietnam eine Verbindung herstellen?

Tran: Nein, es gibt immer nur Beziehungen zur Geschichte selbst. Eine Verbindung zu meiner Zeit in Vietnam habe ich nie hergestellt.

Ricore Text: Sie sind ja als Teenager nach Frankreich emigriert. Wie haben Sie sich dort gefühlt?

Tran: Ich fühle mich heute überall als Ausländer. Es ist nicht sonderlich komfortabel, aber ich mag es. Ich finde es gut, nicht gänzlich zu etwas zugeordnet werden zu können.

Ricore Text: Wie fühlen Sie sich heute in Vietnam? Kehren Sie oft zurück?

Tran: Ja natürlich. Ich reise viel, um jeden Winkel kennenzulernen. In der Zukunft werde ich zudem sicherlich weitere Filme in Vietnam verwirklichen.
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I Come with the Rain
Ricore Text: Was beeinflusst Ihr Filmschaffen mehr: Ihre Kindheit in Vietnam oder das Aufwachsen in Frankreich?

Tran: Ich weiß es nicht. Ich lebe einfach an einem Ort. Alles um mich herum könnte interessant sein. Ich könnte auch auf eine Frau treffen und mich unsterblich in sie verlieben, um mit ihr ein Film zu machen. Das hat nichts mit dem Land zu tun in dem ich lebe. Wenn ich mit dem Zug von Oslo nach Bergen fahre und die Berge sehe, kann es sein, dass daraus ein Film entsteht. Meine Erlebnisse kreieren immer etwas in meinen Gedanken.

Ricore Text: Inspiration ist also Ihr größter Antrieb als Filmemacher?

Tran: Genau. Es gibt mir ein Gefühl, was ich dem Publikum näher bringen möchte. Erst später muss man eine Geschichte finden und einen Film machen. Das Wichtigste ist jedoch stets, was man im Leben fühlt, was einen im Leben voranbringt.

Ricore Text: Was bringt Sie im Leben voran?

Tran: Es kommt immer darauf an. Alles kann dich im Leben voranbringen.

Ricore Text: Welche Filme bevorzugen Sie, wenn Sie ins Kino gehen?

Tran: Ich sehe mir alle Arten von Filmen an. Seitdem ich Kinder habe, sehe ich vermehrt Kindergeschichten. Es macht wirklich viel Spaß. In Flugzeugen sehe ich auch Action-Filme und dumme Filme. Auch die sind wirklich unterhaltend.
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Szene aus "Naokos Lächeln"
Ricore Text: Haben Sie Lieblingsregisseure?

Tran: Ich mag Stanley Kubrick. Außerdem gefällt mir "The New World" von Terrence Malick. Das war wirklich ein Meisterwerk. "The Tree of Life" hat mir hingegen nicht gefallen, der war zu lang. Deswegen glaube ich nicht, dass Malick nochmal das Niveau von "The New World" erreichen kann.

Ricore Text: Wie würden Sie reagieren, wenn Ihre Kinder Sie bitten würden, einen Kinderfilm zu drehen?

Tran: Wenn ich eine Idee hätte, würde ich es sofort machen. Meine Kinder könnten mir als Inspiration dienen. Aber es ist schwer, einen guten Kinderfilm zu drehen.

Ricore Text: Weshalb?

Tran: Es ist schwer eine wirklich gute Geschichte zu finden.

Ricore Text: Was macht denn für Sie eine gute Kindergeschichte aus?

Tran: Das kann ich nicht sagen.
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Innige Umarmung in "Naokos Lächeln"
Ricore Text: Sie müssen doch eine ungefähre Ahnung haben, wenn Sie sagen, dass eine gute Geschichte wirklich wichtig sei.

Tran: Nein. Wenn ich eines Tages eine interessante Idee oder Buch entdecken sollte, wird es offensichtlich sein, dass ich einen Film daraus mache. Ich bin jedoch nicht auf der Suche nach einem passenden Stoff.

Ricore Text: Weshalb ist für Sie der Aspekt des Zufalls für das Entstehen eines neuen Filmprojekts so wichtig?

Tran: Wenn etwas zufällig geschieht, ist es eindeutig. Wenn man auf der Suche nach etwas ist, gibt es immer einen Aspekt, der einem nicht gefällt. Man versucht es zu modifizieren und schließlich wird es zu etwas fremdem. Man darf nicht zu sehr an etwas arbeiten, ansonsten wird es nichts.

Ricore Text: Welche Projekte haben Sie für die Zukunft in Planung?

Tran: Es sind momentan drei, von denen ich hoffe, dass zumindest eines finanziert wird. Eines ist japanisch, ein weiteres französisches und ein vietnamesisches. Aber über deren Inhalt kann ich noch nichts genaueres sagen.

Ricore Text: Was bedeuten Ihnen die vielen Auszeichnungen, die Sie für Ihre Filme erhalten?

Tran: Ich habe Sie ja sehr früh in meiner Karriere erhalten. Das ist sehr interessant, da ich zu keiner Zeit danach strebte, möglichst viele Auszeichnungen zu erhalten. Wenn es wie in meinem Fall früh passiert, öffnet das natürlich Türen. Ich weiß, dass es einige Regisseure gibt, denen Auszeichnungen wichtig sind, aber für mich ist das nicht der Fall. Das Einzige das für mich wichtig ist, ist gute Filme zu machen. Es kann sein, dass schlechte Filme viele Preise erhalten, gute jedoch gar keine.

Ricore Text: Vielen Dank für das Interview.
erschienen am 29. Juni 2011
Zum Thema
Anh Hung Tran wurde am 23. Dezember 1962 im vietnamesischen Da Nang geboren. Nach der kommunistischen Machtübernahme im Jahr 1975 emigriert er mit seinen Eltern nach Paris, wo er bis heute lebt. Verheiratet ist Tran mit Nu Yên-Khê Tran, die in vielen seiner Filme mitspielt. 2011 ist die Romanadaption "Naokos Lächeln" eine Ausnahme. Der Duft der grünen Papaya". Dieser wird unter anderem auf den Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Kamera für den besten Debütfilm..
Naokos Lächeln (Kinofilm)
Toru (Ken'ich Matsuyama) und Naoko (Rinko Kikuchi) müssen einen schweren Schicksalsschlag verkraften. Ihr gemeinsamer Freund Kizuki (Kengo Kora) hat sich das Leben genommen. Die beiden gehen unterschiedlich mit ihrer Trauer um, und dann geschieht ein weiteres Unglück. Die Adaption von Haruki Murakamis Weltbestseller "Naokos Lächeln" bietet gute Schauspielerleistungen und schöne Bilder. Dennoch überzeugt die Inszenierung von Tran Anh Hung ("Cyclo") nicht.
2024