Universal Pictures (UPI)
John Madden in Berlin zu "Eine offene Rechnung"
"Ich sollte die Interviews führen"
Interview: John Maddens offene Rechnung
Heiter und verspielt geht es in John Maddens bekanntestem Werk - "Shakespeare In Love" - zu. Ganz anders sieht das bei seinem neuen Thriller "Eine offene Rechnung" aus. Darin schildert er auf nervenaufreibende Weise den Versuch dreier Mossad-Agenten, in den 1960er Jahren einen untergetauchten Nationalsozialisten zu ergreifen. Im Interview mit Filmreporter.de beschreibt der Regisseur, was ihm bei der Aufarbeitung des schwierigen Themas wichtig war.
erschienen am 23. 09. 2011
Universal Pictures (UPI)
Eine offene Rechnung
Ricore: Wieso haben Sie "Eine offene Rechnung" nicht in Berlin drehen können?

John Madden: Ich wollte in Berlin und Israel drehen, da die Handlungsorte sehr wichtig für unsere Geschichte sind. Doch ich erkannte, dass ich Ostberlin nicht besonders gut kenne und dass sich in den letzten 25 Jahren so viel verändert hat. Es lag außerhalb der Möglichkeiten, die uns zur Verfügung standen, es dort wie in den 1960er Jahren aussehen zu lassen. Daher wählten wir Budapest als Ersatz, doch ich entschuldige mich dafür, falls es aus deutscher Perspektive nicht so authentisch wirkt [lacht].

Ricore: Ihr Werk basiert auf dem israelischen Film "Ha-Hov". Wie kam es dazu, dass Sie den Film adaptiert haben?

Madden: Der Agent von Matthew Vaughn war am Original beteiligt und hatte ihn darauf aufmerksam gemacht. Der Originalfilm hatte ein geringes Budget und wurde auf Hebräisch gedreht, so dass er außerhalb Israels nicht ins Kino kam. Der Film sollte einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden. Also adaptierten Vaughn und Jane Goldman das Drehbuch und schickten es mir zu. Daraufhin sah ich mir den Originalfilm und adaptierte deren Skript, um meine persönliche Sichtweise reinbringen zu können.

Ricore: Wie nah haben Sie sich an die Filmvorlage gehalten?

Madden: Die narrative Grundlage ist dieselbe. Es gibt allerdings einige Charaktere, die nicht im Original dabei sind, wie zum Beispiel die Tochter [von Helen Mirrens Charakter]. Zudem ist der Fokus etwas anders. Unser Film konzentriert sich vor allem auf die Offenlegung dessen, was den Charakteren in der Vergangenheit widerfahren ist. Die Struktur der Filme unterscheidet sich auch.
Walt Disney
Jessica Chastain auf der LA-Premiere 2011 zu "The Help"
Ricore: Für Jessica Chastains Rolle wollten Sie ursprünglich jemand Unbekanntes verpflichten.

Madden: Das habe ich auch [lacht]. Doch jetzt ist sie natürlich nicht mehr unbekannt. Sie ist eine außerordentliche Schauspielerin. Ich hatte Glück, sie zu finden. Ich wollte keine berühmte Schauspielerin für die Rolle, da mit Helen Mirren bereits eine sehr bekannte Darstellerin die ältere Version des Charakters spielt. Ich war der Ansicht, dass die Symbiose zwischen den beiden mit einer weniger berühmten Schauspielerin besser zur Geltung kommt. Inzwischen ist sie bekannt, doch sie ist so vielfältig, dass man sie in ihren verschiedenen Rollen kaum wiedererkennt. Ich habe mit Terrence Malick über sie gesprochen und er hat sie in den höchsten Tönen gelobt, was er nicht sehr oft macht. Er war wirklich beeindruckt von ihr.

Ricore: Warum haben Sie sich dafür entschieden, für die jüngeren und älteren Versionen der Charaktere jeweils andere Darsteller zu nehmen, anstatt durch Make-Up-Effekte ein und denselben Darsteller die Rolle in verschiedenen Altersstufen spielen zu lassen?

Madden: Ich denke, das hätte zu einer Künstlichkeit geführt, die nicht hilfreich gewesen wäre. Das erste Studio, das den Film realisieren wollte, hat uns gebeten, die Zeitspanne zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu kürzen, damit die Darsteller ihren Charakter in jeweils beiden Zeitabschnitten spielen könnten. Das war meiner Ansicht nach aber nicht der Punkt. Es geht darum, dass man 30 Jahre später auf sein Leben zurückblickt und denkt: "Ich kann nicht glauben, dass ich das getan habe." Herauszufinden, wie man die Person geworden ist, die man nun ist, ist eine sehr interessante Angelegenheit. Wahrscheinlich liegt es an meinen Theaterwurzeln, da die Dinge auf der Bühne nicht realistisch wirken müssen. Stattdessen überlässt man das der Vorstellungskraft. Durch die verschiedenen Darsteller für ein und denselben Charakter wird unterstrichen, dass sie zu anderen Personen geworden sind, da die Ereignisse ihr Leben verändert haben.

Ricore: In Ihrem Film spielt die Konstruktion und Dekonstruktion von Helden eine wichtige Rolle. Woran liegt es, dass die Idee des Helden in unserer Kultur so tief verwurzelt ist?

Madden: Auf gewisse Weise sehnen wir uns nach Vorbildern für unser Verhalten. In der Kinokultur ist die Vorstellung vom Heldentum zu einem Klischee geworden. Es gibt eine simple Aufteilung in Gute und Böse. Was mich bei dem Film interessierte, war die Frage nach dem Bedürfnis nach Helden. Es geht dabei aber nicht um die Darstellung von heroischem Verhalten. Ich denke, dass Geschichten nach solchen Figuren verlangen, daher beschäftigen wir uns immer wieder mit dieser Idee. Es ist schon merkwürdig, dass wir Helden fallen sehen wollen, nachdem wir sie zu Helden gemacht haben. Es scheint, als ob diese Zerrissenheit in der menschlichen Natur liegt: Einerseits hat man das Verlangen, jemanden bewundern zu können, andererseits will man sich dann dafür rächen, dass man diese bewundernswerten Qualitäten nicht selbst besitzt. Ich finde es sehr interessant, wie der Film dieses Verlangen auf den Zuschauer überträgt.
Universal Pictures (UPI)
Helen Mirren und John Madden am Set von "Eine offene Rechnung"
Ricore: Inwiefern haben Sie sich für den Film mit der realen Ergreifung von Nationalsozialisten wie Adolf Eichmann auseinandergesetzt?

Madden: Ich habe über die Ergreifung Eichmanns gelesen. Einiges davon ist in den Film eingeflossen, beispielsweise die merkwürdige Sorge um seine Frau, nachdem er gefangen genommen wurde. Ich denke, der Charakter in unserem Film verhält sich wütender und leistet mehr Widerstand, doch seine manipulative Art wurde ebenfalls durch die realen Ereignisse beeinflusst.

Ricore: Was ist das für ein Gefühl, so einen Film in Deutschland vorzustellen?

Madden: Ich wollte für den Film vor allem nach Deutschland und nach Israel, wo ich nächsten Monat sein werde. Ich kann diese Frage nicht beantworten. Der Film ist ein Thriller, ein Genre, das man normalerweise nicht mit ernsten, moralischen Fragen assoziiert. Mir und Peter Straughan - der mit mir am Drehbuch gearbeitet hat - war es sehr wichtig, das Thema ernsthaft zu behandeln. Gleichzeitig wollten wir die Geschichte möglichst fesselnd erzählen, so dass man emotional und intellektuell mitgerissen wird. Ich weiß nicht, was es aus deutscher Perspektive bedeutet, auf diese Zeit zurückzublicken. Daher ist es meine Aufgabe, zuzuhören. Eigentlich sollte ich hier die Interviews führen [lacht].

Ricore: Im Film kommt Simon Wiesenthals Ansicht zum Ausdruck, dass es nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit geht.

Madden: Ja, dem stimme ich vollkommen zu. Ich bin derselben Ansicht wie der Charakter des David, als er in einer Szene des Films sagt: "Wir werden ihn nach Israel bringen und der Welt zeigen, was er getan hat." Das ist der richtige Impuls. Alles andere, was im Film geschieht, ist weniger angemessen. Das ist der einzige Weg, um zivilisiert zu bleiben.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 23. September 2011
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Drei ehemalige Mitglieder des israelischen Geheimdienstes Mossad werden von ihrer Vergangenheit eingeholt. Eigentlich hätten Rachel (Helen Mirren), David (Ciarán Hinds) und Stefan (Tom Wilkinson) vor 30 Jahren einen NS-Kriegsverbrecher nach Israel ausliefern sollen. Ihre Mission lief jedoch schief. Der Thriller von John Madden ist das Remake des israelischen Films "Der Preis der Vergeltung". In weiteren Rollen sind Jessica Chastain und Sam Worthington zu sehen.
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