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David Cronenberg in Berlin
Wie ein Kind im Sandkasten...
Interview: Willkommen in David Cronenbergs Psyche
Man sollte Menschen nicht danach beurteilen, ob sie Köpfe explodieren lassen. Das gilt zumindest für David Cronenberg. Obwohl er in Filmen wie "Scanners" schon mal den einen oder anderen Schädel zerbersten lässt, erweist er sich im Leben als überaus angenehmer Gesprächspartner. Im Interview mit Filmreporter.de spricht der Regisseur über sein Psychoanalyse-Drama "Eine dunkle Begierde". Dabei nimmt er uns mit auf eine Reise in seine Gedankenwelt, in der Erwachsene in imaginären Sandkästen spielen, Tiere keine Engel werden können und Lars von Trier der Zutritt verwehrt bleiben dürfte.
erschienen am 9. 11. 2011
Universal Pictures (UPI)
Eine dunkle Begierde
Ricore: Kennen Sie den deutschen Titel Ihres Films?

David Cronenberg: Ja, "Eine dunkle Begierde". Es ist sehr interessant, dass die Verleiher beim Originaltitel "A Dangerous Method" besorgt sind, dass er auf Deutsch sehr klinisch klingt. Das tut er auf Englisch auch. Was soll daran schlimm sein? Am Ende muss man dem Publikum vertrauen und ich kenne das deutsche Publikum nicht so gut wie sie. Doch auf Englisch ist "Eine dunkle Begierde" ein schrecklicher Titel, es klingt wie ein romantischer Roman für Mädchen. Die Übersetzung des Originaltitels wäre mir lieber gewesen, doch es ist wie es ist.

Ricore: Warum haben Sie sich bei Ihrem Film auf die Dreiecksgeschichte zwischen Carl Gustav Jung, Sabina Spielrein und Sigmund Freud konzentriert?

Cronenberg: Das liegt am Drehbuch von Christopher Hampton. Einfach einen Film über Freud zu machen, bringt in kreativer Hinsicht nichts, da es viel zu viel Material über ihn gibt. Christopher hat eine Struktur gefunden, indem er sich auf fünf Charaktere konzentriert - wenn man Otto Gross und Emma Jung dazu zählt - und neun Jahre einer turbulenten Geschichte auf 100 Minuten komprimiert hat.

Ricore: Inwiefern lässt sich dieser Film in Ihr bisheriges Werk einordnen?

Cronenberg: Ehrlich gesagt habe ich mir während der Realisierung dieses Films keine Gedanken über meine anderen Werke gemacht. Wenn ich einen Film drehe, ist es so, als ob ich nie einen anderen gemacht hätte. Demnach gibt es kein Muster, das ich einer neuen Arbeit auferlege, damit es sich wie ein Cronenberg-Film anfühlt oder die Fans meiner Horrorfilme zufrieden stellt. Ich sehe das nicht so, weder in positiver, noch in negativer Hinsicht. Bei diesem Projekt hatte ich eine klare Vorstellung. Ich höre dem Film zu, er erzählt mir, was er braucht und ich gebe es ihm. Manche gingen davon aus, dass ich die Träume, über die meine Charaktere sprechen, auf eine extremere Art zeigen würde. Doch schon die Theatervorlage heißt "The Talking Cure", hier dreht sich alles ums Sprechen. Die Figuren kommunizieren miteinander, indem sie sich auf komplexe Weise miteinander unterhalten. Darum geht es für mich auch beim Film - um das Sprechen. Dementsprechend will ich den Traum nicht sehen, sondern davon hören.

Ricore: Wie sind Sie auf die Theatervorlage aufmerksam geworden?

Cronenberg: Ich hatte gehört, dass Ralph Fiennes - den ich sehr schätze und der in meinem Film "Spider" mitgespielt hatte - in einem Stück von Christopher Hampton als Carl Jung zu sehen war. Über die Jahre habe ich viele Stücke von Hampton gelesen. Ich konnte das Stück nicht sehen, da ich nicht in London war, aber ich konnte es lesen. Einen Film hatte ich zunächst gar nicht ins Auge gefasst.
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David Cronenberg auf der Premiere von "Eine dunkle Begierde"
Ricore: Wie haben Sie Ihre Faszination für die Psychoanalyse, die dunklen Begierden der menschlichen Seele entdeckt?

Cronenberg: Für dunkle Begierden habe ich mich schon vor der Psychoanalyse interessiert. Ich denke, dass im 20. Jahrhundert jeder von Sigmund Freud und dem Konzept der Psychoanalyse beeinflusst wurde. Es ist selbstverständlich, dass die Leute darüber sprechen, dass sie Dinge unbewusst machen. Man spricht über Minderwertigkeitskomplexe und das Ego. Das sind alles freudianische Ideen. Mein erster Film war "Transfer". Er dauert sieben Minuten und handelt von einem Psychiater und seinem Patienten. In gewisser Weise kehre ich also wieder zu dem Thema zurück. Freunde von mir studierten Psychologie und erzählten mir davon. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass vor Freud keine Beziehung zwischen Psychiater und Patient existiert hatte. Es ist eigentlich ein sehr merkwürdiges Verhältnis, eine Beziehung, die erfunden wurde und nun als selbstverständlich betrachtet wird.

Ricore: Zu Freuds Zeit war das alles andere als selbstverständlich...

Cronenberg: Damals war es revolutionär, dass man an einem sicheren Ort über Dinge sprechen konnte, die man seiner Familie nicht mitteilen konnte, obwohl man sie sich von der Seele reden musste. Man konnte sich einem Menschen anvertrauen, zu dem man keine persönliche Beziehung hatte und von dem man nicht verurteilt wurde. Er war neutral und hörte zu, was man zu sagen hatte. Das war einzigartig. Gleichzeitig war es sehr intim, da man nicht nur über seine Träume, sondern auch über seine Sexualität reden sollte. Für einen Dramaturgen ist das sehr interessant.

Ricore: Was halten Sie von Freuds These, dass die Verdrängung unserer Instinkte die Grundlage für jede Zivilisation sei?

Cronenberg: Ich denke, dass seine These durch den Ersten Weltkrieg bestätigt wurde. Als viele Dinge nicht mehr verdrängt wurden, weichte die Zivilisation der Barbarei. Heute ist es schwer sich vorzustellen, wie schockierend der Erste Weltkrieg war. Seitdem gab es viele Kriege und wir haben eine zynische Sicht auf die menschliche Natur und den Nationalismus. Zu jener Zeit dachten die Leute aber, dass sich Europa zu einer wundervollen Zivilisation entwickeln würde und dass wir unsere tierische Natur hinter uns lassen würden. Die Rationalität sollte alle Probleme lösen. Und dann kam Freud und sagte, dass das alles eine Illusion sei. Es sei bloß eine dünne Oberfläche, unter der destruktive Kräfte schlummern, die wir uns eingestehen und verstehen müssten. Andernfalls könne man leicht der Barbarei verfallen. Die Vorstellung, dass sich die Menschheit vom Tier zum Engel entwickeln würde, wurde durch den Ersten Weltkrieg zerstört. Freud war einer der ersten, der davor gewarnt hat.

Ricore: Hat das Filmemachen für Sie eine befreiende Wirkung?

Cronenberg: Ich denke nicht. Ich betrachte Kunst im Allgemeinen nicht als Therapie. Es sind zwei verschiedene Dinge. Wobei Psychoanalyse und Kunst manchmal dasselbe tun. Wir werden von einem Patienten oder der Gesellschaft mit einer Realität konfrontiert und fragen uns, was sich dahinter befindet. Was geht da wirklich vor sich? Welche Dinge liegen im Verborgenen und bleiben unausgesprochen? Nichtsdestotrotz habe ich Kunst nie als Therapie betrachtet. Es geht darum auszuloten, was es bedeutet, menschlich zu sein. Doch im Gegensatz zur Kunst geht es in der Psychoanalyse darum, ein bestimmtes Problem im Leben eines Menschen zu lösen.
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Fährt David Cronenberg seine Krallen aus?
Ricore: Haben Sie jemals einen Therapeuten aufgesucht?

Cronenberg: Nein, denn ich habe keine Probleme.

Ricore: Angesichts Ihrer Filme nehmen manche Leute wohl an, dass es anders sein müsse.

Cronenberg: Man muss verstehen, dass Filme spielerisch sind. Egal, wie düster ein Film ist, er beinhaltet immer ein Element kindlichen Spielens. An meinem Set geht es humorvoll zu, wir sind wie Kinder, die im Sandkasten spielen. Wir kostümieren uns, tragen falsche Schnurrbärte und geben vor, jemand anderes zu sein. Es ist eine spielerische Kreativität. Der Grund, warum Leute Kunst als Therapie betrachten, ist Freud, denn er hat in Werken vergangener Zeit, bei Shakespeare, Ödipus und griechischen Dramen Belege für seine Ideen gefunden. Manche denken vielleicht, ich würde zum gemeingefährlichen Wahnsinnigen werden, wenn ich keine Filme machen würde [lacht]. Als kreativer Mensch würde ich natürlich das Bedürfnis haben, stattdessen einen Roman zu schreiben oder zu malen. Aber ich denke nicht, dass mich das Ausbleiben dieser Möglichkeiten zum gefährlichen Wahnsinnigen machen würde.

Ricore: Wie persönlich ist "Eine dunkle Begierde"?

Cronenberg: Er ist insofern persönlich, als dass ich ein großes Interesse an den Figuren verspüre. Ich fühle mich ihrer Kreativität und der Leidenschaft für ihre Ideen verbunden. In deren Augen waren das keine abstrakten Ideen. Man kann bei Sabina deutlich sehen, dass sie diese Ideen wirklich in ihr Leben integrieren wollte.

Ricore: Wie hat Keira Knightley reagiert, als Sie ihr die Rolle der Sabina Spielrein angeboten haben?

Cronenberg: Für sie war es angsteinflößend und reizvoll, was für einen Schauspieler perfekt ist. Man will nicht, dass sich ein Schauspieler zu wohl fühlt. Wenn es zu einfach ist, läuft irgendetwas falsch. Jeder Schauspieler ist verletzlich, selbst wenn er keine Nacktszenen dreht. Viggo machte sich Sorgen, ob er Freud überzeugend spielen könne. Es gilt also nicht nur für Keira, alle machen sich Sorgen. Aber sie wusste, dass es eine großartige Rolle ist. Ich denke, sie machte sich keine Sorgen hinsichtlich ihres Talents. Nacktszenen sind für eine junge Schauspielerin aber natürlich immer ein Problem. Man macht sich Sorgen, ob Szenen aus dem Film im Internet verbreitet würden. Doch wir sprachen sehr offen darüber, wie ich diese Szenen drehen würde.
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David Cronenberg und Michael Fassbender auf der Premiere von "Eine dunkle Begierde"
Ricore: Waren diese Szenen ebenfalls spielerisch?

Cronenberg: Sie waren sehr spielerisch. Wir machten viele Witze über Keira - auch sie machte Witze darüber [lacht].

Ricore: Auch bei den Züchtigungs-Szenen?

Cronenberg: Ja, nach dem Film hat sie mir ein SM-Paddel mit der Inschrift "Danke für die Erfahrung" geschenkt. Humor befreit die Leute vom Druck. Ich mag diesen humorvollen Ton an meinem Set.

Ricore: In der Presse wurden Sie mal als "provokativster und schamlosester Regisseur nach Lars von Trier" bezeichnet. Was halten Sie von dieser Charakterisierung?

Cronenberg: Ich habe nicht jeden Film von Lars von Trier gesehen, doch ich denke, dass wir sehr, sehr verschieden sind. Er ist offensichtlich ein interessanter Filmemacher, doch wir sind verschiedene, wirklich sehr verschiedene Menschen [lacht].

Ricore: Welche Rolle spielt der Aspekt der Provokation bei Ihnen?

Cronenberg: Ein Unterschied zwischen uns liegt darin, dass er gerne provoziert - ich nicht. Provokation kommt mir nicht mal in den Sinn. Wenn ich jemanden provoziere, dann mich selbst und nicht jemand anderen. Er hat das psychologische Bedürfnis, das zu tun und positioniert sich selbst als Provokateur. Ich tue das nicht. Wenn alle über meinen Film bloß sagen, dass sie ihn mögen, wäre ich froh. Ich brauche nicht zu hören, dass mein Film jemand schockiert hat. Er braucht das. So scheint es zumindest in den Interviews, persönlich habe ich ihn nie getroffen. In seinen Pressekonferenzen schockiert er offensichtlich auch gerne. Ich bin lieber witzig, als zu schockieren.
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David Cronenberg auf der Premiere von "Eine dunkle Begierde"
Ricore: Aber Ihre Filme schockieren.

Cronenberg: Wenn ja, dann ist es eben so. Wie im Falle von "Crash", da waren wir über die extremen Reaktionen sehr überrascht, speziell in England. Es handelte sich schließlich um einen 20 Jahre alten Roman von J.G. Ballard, der gut aufgenommen wurde und bekannt war. Wir hatten wirklich nicht gedacht, dass der Film schockieren würde.

Ricore: Sie sagten, dass Sie nie einen Therapeuten gebraucht hätten. Demnach hatten Sie wohl auch eine glückliche Kindheit.

Cronenberg: Ja, ich hatte eine sehr glückliche Kindheit. Die Beziehung zu meinen Eltern war wundervoll. Sie waren sehr kreativ und künstlerisch. Meine Mutter war Pianistin, mein Vater Schriftsteller und sie haben mich sehr unterstützt. Es gibt also keine Traumata. Das bestätigt erneut, dass man kein Trauma in seiner Kindheit erlebt haben muss, um furchteinflößende Filme zu machen. Die Beziehung zwischen einem Künstler und seiner Kunst ist sehr komplex. Wenn man romantische Komödien macht, bedeutet das nicht, dass man ein romantischer, witziger Mensch ist. Tatsächlich sind Komiker für gewöhnlich furchtbare Menschen. Sie sind gemein und nachtragend [lacht].

Ricore: Bevor Sie Künstler wurden, haben Sie Naturwissenschaften studiert.

Cronenberg: Ja, ich war in naturwissenschaftlichen Fächern sehr gut. Ich war und bin nach wie vor sehr interessiert daran und lese gerne wissenschaftliche Bücher. Eine Zeit lang dachte ich, dass ich diesen Karriereweg einschlagen würde.

Ricore: Auch in Ihren Filmen spielt Naturwissenschaft eine wichtige Rolle.

Cronenberg: Ich mag wissenschaftliche Konzepte und finde es interessant, dass Freud und Jung als Wissenschaftler betrachtet werden wollten und nicht als Philosophen oder Künstler. Doch das Problem bei der Psychoanalyse ist, dass es keine wirkliche Naturwissenschaft sein kann, weil man in der naturwissenschaftlichen Methodologie in der Lage sein muss, ein Experiment durchzuführen, das überall wiederholbar ist. Wenn man dieselben Bedingungen in New York und Peking schafft, sollte man dieselben Resultate erhalten. Doch wie soll man das bei Menschen machen? Man hat einen individuellen Analytiker und einen individuellen Patienten und man kann es nicht mit anderen Leuten wiederholen. Daher denke ich, dass das Wesen der Psychoanalyse zum Teil Philosophie und zum Teil Kunst ist.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 9. November 2011
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David Cronenbergs Drama basiert auf dem 2002 uraufgeführten Theaterstück "Die Methode" von Christopher Hampton. Diesem liegt wiederum eine wahre Begebenheit aus dem Jahre 1914 zugrunde. Der von Michael Fassbender gespielte Psychiater Carl Gustav Jung leitet zu der Zeit eine Klinik in Zürich. Als er die Patientin Sabina Spielrein (Keira Knightley) behandeln soll, verliebt sich der verheiratete Mediziner in die attraktive Russin und gerät in eine Krise. Daraufhin bittet er den Psychoanalytiker..
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