Heiko Thiele/Ricore Text
Katharina Böhm bei der Premiere von "Russisch Roulette"
"Alles, nur nicht Schauspielerin werden!"
Interview: Katharina Böhm denkt politisch
Katharina Böhm wollte eigentlich nicht den Beruf ihres berühmten Vaters Karlheinz Böhm ergreifen. Weshalb sie dennoch Schauspielerin wurde, erläutert sie im Gespräch mit Filmreporter.de. Außerdem spricht Böhm anlässlich der Fernsehproduktion "Russisch Roulette" über ihre polnischen Wurzeln sowie ihr politisches Engagement. So erfahren wir, weshalb sich Böhm sehnlichst den verstorbenen CSU-Politiker Franz Josef Strauß zurückwünscht, obwohl sie sich selbst eher links einordnet.
erschienen am 2. 01. 2012
ARD Degeto/Graf Film/Vaclav S. Sadilek
Merab Ninidze und Katharina Böhm in "Russisch Roulette"
Ricore: In "Russisch Roulette" greifen Sie zur Waffe. Hatten Sie im echten Leben schon mal eine Pistole in der Hand?

Katharina Böhm: Glücklicherweise nicht. Aber ich habe gerade "Die Polizistin" gedreht. Da musste ich auch ziemlich viel schießen. Ich finde das immer noch unangenehm. Das hat was von Räuber-und-Gendarm-Spielen. Über diese Brücke hinweg kann ich damit umgehen. Aber grundsätzlich habe ich es gar nicht mit Waffen.

Ricore: Könnten Sie sich dennoch vorstellen, im echten Leben eine Waffe einzusetzen, etwa um Ihr Kind zu beschützen?

Böhm: Das ist mir ein zu großer Konjunktiv. Ich hoffe, dass ich nie in diese Lage geraten werde. Und ich möchte mich damit auch ehrlich gesagt nicht wirklich auseinandersetzen. Man zieht Sachen an, über die man zu lange nachdenkt.

Ricore: Im Film möchte Ihr Sohn wissen, wo sein Vater herkommt. Auch in Ihrem Leben lebt Ihr Kind vom Vater getrennt. Welche Gemeinsamkeiten gab es noch?

Böhm: Darüber rede ich nicht, tut mir Leid. Das ganze Thema Mann müssen wir leider beiseite legen. Mein Sohn hat Kontakt zu seinem Vater, mehr sage ich dazu nicht.

Ricore: "Russisch Roulette" ist sehr kritisch in Bezug auf die russische Justiz und Polizei im Umgang mit Polen. Inwieweit stimmen die gezeigten Praktiken mit der Realität überein?

Böhm: Das ist eine schwierige Frage. Ich habe mich viel damit befasst. Ich habe eine polnische Mutter - vielleicht sagt das schon alles. Ich habe mich viel mit ihr darüber unterhalten, dass ich es nicht richtig finde, dass ein solcher Konflikt zwischen Polen und Russen besteht.
ARD Degeto/Graf Film/Vadim Grischko
Katharina Böhm und Emil Kafitz in "Russisch Roulette"
Ricore: Indirekt kritisiert der Film auch Präsident Putin und seine Verflechtungen mit der Polizei. Denken Sie, dass das auch in anderen Ländern der Fall ist?

Böhm: Ich denke, dass wir mit den ganzen neuen EU-Gesetzen aufpassen müssen. Wir kriegen gar nicht mehr mit, was die Politiker mit uns machen. Wenn man den neuen EU-Vertrag durchliest, darf man keine Party mehr feiern.

Ricore: Haben Sie ihn denn durchgelesen?

Böhm: Nicht die ganzen 1.000 Seiten. Aber über eine Freundin habe ich Auszüge bekommen. Da habe ich schon verstanden, warum die Iren und die Polen so lange Nein gesagt haben.

Ricore: Woher kommt Ihr Interesse für Politik?

Böhm: Ich wurde sehr politisch erzogen. Ich hatte schon immer eine linke Mama.

Ricore: Würden Sie sich auch als politisch links bezeichnen?

Böhm: Das ist heute sehr schwer zu sagen. Ich würde mich eher Sozialistin nennen als etwas anderes. Wobei Sozialismus für mich kein realer Begriff ist. Das ist eine nicht wirklich existente Sache. Ich bin sozial und damit automatisch politisch veranlagt.
ARD Degeto/Graf Film/Vadim Grischko
Heinz Hoenig und Katharina Böhm in "Russisch Roulette"
Ricore: Engagieren Sie sich politisch?

Böhm: Ich habe mich bis tief in meine Zwanziger hinein politisch stark engagiert. Mittlerweile mache ich das nicht mehr. In Deutschland könnte ich mich nur schwer einbringen, da ich Österreicherin bin. Ich glaube, es ist notwendig, dass man miteinander darüber redet, was in der Welt passiert. Die Folge davon sind dann Demonstrationen oder Bankenbesetzungen. Das halte ich für eine sehr gesunde Form des Protests. Es ist im Menschen selbst verankert, sich dagegen zu wehren, was der Staat mit einem macht. Ich bin aufgewachsen mit Politikern wie Willy Brandt, Herbert Wehner und Hans-Dietrich Genscher. Ich hätte nie gedacht, dass ich mir Franz Josef Strauß zurückwünsche. Gegen den bin ich damals noch auf die Straße gegangen. Heute würde ich sagen: Der Mann würde uns gut tun, weil er wenigstens eine Meinung hat.

Ricore: Sie halten den politischen Betrieb also für verwaschen?

Böhm: Ja. Sehr viele Leute sind mehr darauf bedacht, ihr Gesicht zu wahren und haben keine eigene Meinung mehr.

Ricore: Wenn Studenten Hörsäle besetzen, was sagen Sie dann zu jenen, die einfach weiter ihren Unterricht besuchen wollen?

Böhm: Diejenigen, die sich durch solche Proteste behindert fühlen, werden dazu gezwungen, sich zu positionieren. Darum geht es ja. Wenn man friedlich demonstriert, zwingt man andere zur Positionierung. Es geht darum, Menschen zu einer Meinung zu zwingen und das ist der friedlichste Weg dahin.

Ricore: Sie haben unter anderem in Deutschland und Italien gedreht. Sind die Mentalitäten beim Dreh sehr unterschiedlich?

Böhm: Sehr. In Italien geht es am Set sehr viel hierarchischer zu. Es gibt einen Oberbeleuchter, der im Anzug zum Dreh kommt und keine Lampen schwenkt. Der Chefkameramann schwenkt nicht, sondern gibt nur die Anweisungen. Trotz dieser Hierarchie ist es in Italien viel chaotischer und lauter am Set. Ich könnte mich nicht entscheiden, was mir besser gefällt. Das eine macht mehr Spaß, das andere ist einfacher zum Arbeiten.
Heiko Thiele/Ricore Text
Heinz Hoenig, Katharina Böhm und Wolf Roth bei der Premiere von "Russisch Roulette"
Ricore: Stimmt es, dass in Italien Drehzeiten strikt eingehalten werden, also keine Überstunden gemacht werden?

Böhm: Als ich einmal in Italien gedreht habe, gab es eine sechswöchige Arbeitsniederlegung von allen Filmschaffenden, weil die meisten damals sehr ausgebeutet wurden. Es wurden keine Überstunden bezahlt, in diesen sauren Apfel musste jeder beißen. Schließlich gab es eine große Streikwelle. Jetzt gibt es neue Arbeitszeiten, die mit neun Stunden etwas knapp bemessen sind. Da kann man keinen Film drehen und so strikt wird das dann doch nicht gehandhabt. Das klingt auch eher nach einer deutschen Mentalität. Wobei man den Italienern manches gar nicht zutraut. Schließlich haben die auch als erstes aufgehört in Restaurants zu rauchen.

Ricore: Weil Italiener das Essen so schätzen?

Böhm: Ich weiß nicht, ob das etwas damit zu tun hat. Schließlich haben sie auch in öffentlichen Gebäuden nicht mehr geraucht. Früher haben sich die Italiener schon im Bus zwischen Flugzeug und Gebäude eine Zigarette angezündet. Ich finde es lustig, dass das so sang- und klanglos hingenommen wurde.

Ricore: Schätzen Sie das Lockere an der italienischen Art?

Böhm: Locker ist das falsche Wort. Italiener sind sehr lebendig. Es wird sehr viel diskutiert und artikuliert. Das mag ich sehr gerne.

Ricore: Sie bezeichnen sich oft als ungeduldig. Wie kommt man während Dreharbeiten damit zurecht?

Böhm: (Macht ein meditatives "Om"-Geräusch) Nein, ich omse nicht vor mich hin. Man muss das einfach herunterwürgen. Wir haben inzwischen Drehverhältnisse, die nicht mehr wie vor ein paar Jahren sind. Heute müssen wir an einem Tag so viele Minuten drehen, dass so schnell keine Ungeduld aufkommt.
MDR/Rowboat/Maria Krumwiede
Katharina Böhm am Set von "Am Ende der Lüge"
Ricore: Liegt das am Sparzwang?

Böhm: Definitiv. Wir bekommen immer weniger Tage vom Sender, weil es immer weniger Geld gibt. Trotzdem soll die gleiche Leistung erbracht werden.

Ricore: Es wird also wirtschaftlicher gedacht?

Böhm: Das würde ich nicht wirtschaftlicher nennen. Da wird nur noch in Minuten gerechnet. Als ich angefangen habe als Schauspielerin zu arbeiten, waren zweieinhalb Minuten normal. Bei "Das Erbe der Guldenburgs" haben wir vier Minuten gedreht und das war unfassbar viel. Das war 1986. Inzwischen sind sieben Minuten normal. Da rennt fast jeder am Set. Man ist am Abend auch körperlich müde, weil alles so schnell gehen muss.

Ricore: Sieben Minuten klingen gar nicht so lange. Was zieht sich da so lange hin?

Böhm: Nehmen wir an, wir würden diese Szene hier drehen, also zwei Menschen an einem Tisch, die sich unterhalten. Die wird ja nicht nur aus einer Perspektive gedreht, sondern aus mehreren. Mal größer, mal kleiner. Jedes Mal muss der ganze Raum neu gemacht werden. Alles muss neu eingeleuchtet werden und alles aus dem Bild geräumt werden, was da nicht hingehört. Zudem sind die meisten Szenen nicht so statisch. Das macht es noch aufwendiger.

Ricore: Warum drehen Sie mit "Die Polizistin" und "Russisch Roulette" in letzter Zeit vermehrt Polizeistoffe?

Böhm: Das hat damit zu tun, dass im deutschen Fernsehen viele solche Filme laufen. Die Rolle in "Die Polizistin" hat mir großen Spaß gemacht, die ist ein bisschen anders.
ARD Degeto/Graf Film/Karel Kucera
Katharina Böhm und Heinz Hoenig in "Russisch Roulette"
Ricore: Sie können sich Ihre Rollen doch aussuchen und müssten daher nicht unbedingt Polizisten-Filme machen.

Böhm: Das stimmt. Aber gerade bei "Die Polizistin" hat mir gefallen, dass meine Figur eine Mischung aus Polizistin und Privatmensch ist. Es ist kein reiner Krimi, sondern zeigt auch viel von der Privatperson.

Ricore: Was interessierte Sie an "Russisch Roulette"?

Böhm: Auf jeden Fall Regisseur Joseph Vilsmaier. "Rama Dama" und "Herbstmilch" sind zwei meiner deutschen Lieblingsfilme.

Ricore: Was unterscheidet Vilsmaier von anderen Regisseuren?

Böhm: Er hat großartige, superschöne Filme gemacht. Und was ihn besonders macht, ist die Lebenslust, mit der er arbeitet. Man merkt ihm die Freude am Filmemachen an - er hat eine wahnsinnige Energie. Dazu kommt sein großartiger Humor und er isst sehr gerne. Letzteres färbt leider Gottes sehr auf mich ab.

Ricore: Das passt ja mit der italienischen Mentalität gut zusammen.

Böhm: Das Bayerische passt sowieso sehr gut mit dem Italienischen zusammen. Obwohl ich so ein Mischmasch aus Österreich, Schweiz und Polen bin, fühle ich mich schon sehr als Bayerin. Hier bin ich groß geworden und hier fühle ich mich Zuhause.
ARD Degeto/Graf Film/Vadim Grischko
Katharina Böhm in "Russisch Roulette"
Ricore: Kochen Sie gerne?

Böhm: Ich koche sehr gerne. Ob ich gut koche, müssen andere bewerten.

Ricore: Was kochen Sie besonders gerne?

Böhm: Ich mache eine abgewandelte Form von Spaghetti Bolognese, die auf einem Rezept meiner Mutter beruht. Die ist superlecker. Eigentlich ist das ein Ragoutgericht, wir nennen es nur Bolognese. Und ich mache richtig gute Suppen. Das ist die polnische Tradition.

Ricore: Besuchen Sie oft das Heimatland Ihrer Mutter?

Böhm: Meine Mutter liegt dort begraben. Aber ich bin nicht sehr oft dort. Ich wäre gerne öfter in Polen, aber im Moment ist das schwierig.

Ricore: Stimmt die Geschichte, dass Sie nur Schauspielerin wurden, weil Sie nicht Nein sagen konnten?

Böhm: Das stimmt. Ich war ein extrem schüchternes Kind. Ich war dabei, als mein Vater bei einer Produktionsfirma eine Rolle ablehnte. Eine Mitarbeiterin sprach mich an während ich wartete und forderte mich auf, bei einem Casting mitzumachen.

Ricore: Also hat Ihr Vater seine Finger gar nicht im Spiel gehabt?

Böhm: Nein. Das war damals eine extreme Zeit, die ich als Kind mitbekommen habe. Ich habe Fassbinder miterlebt. Das war nichts, wo ich hin wollte. Mein Vater hat viel Theater gespielt, das waren Grenzerfahrungen. Er war oft total am Ende. Ich wollte alles werden, nur nicht Schauspielerin.

Ricore: Wie haben Sie Ihre Schüchternheit letztendlich überwunden?

Böhm: Das kann ich nicht genau sagen. Da war ich ja erst zwölf. Der erste Drehtag musste nachsynchronisiert werden, weil ich keinen Ton herausgebracht habe. Aber nach fünf Tagen wusste ich, dass ich in meinem Leben nie mehr etwas anderes machen will. Was das ausgelöst hat, weiß ich nicht. Ich nehme an, die Zusammenarbeit in der Familie hat da viel geholfen.

Ricore: Haben Ihre Eltern Sie von Anfang an unterstützt?

Böhm: Sie haben gesagt: 'Wenn du etwas machen willst, dann mach es richtig.' Und als ich an die Schauspielschule ging, war klar, dass dies mein Weg ist. Bis ich dann Theater gespielt habe, habe ich mich aber nicht richtig als Schauspielerin gefühlt.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 2. Januar 2012
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2024