Pascal Le Segretain/Getty Images
Luc Besson bei der Cinema-for-Peace-Gala 2012
Schmutzige Liebe
Interview: Luc Besson gegen Egoismus
Eigentlich wollte Luc Besson keine Filme mehr drehen. Nur zehn Kugeln wollte er verschießen und mit jeder einen Treffer landen. Eines schien er bei dieser Kalkulation vergessen zu haben: seine Leidenschaft fürs Kino. Nun hat er mit "The Lady - Ein geteiltes Herz" einen weiteren Film inszeniert und überrascht Fans wie Kritiker. Nicht nur hat er die Verfilmung der Lebens- und Liebesgeschichte der birmanischen Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi inszeniert. In dem Biopic gibt sich der Regisseur zudem so intim und romantisch, wie selten zuvor. Im Gespräch mit Filmreporter.de erklärt uns der 52-Jährige, warum "The Lady" dennoch ein typisches Besson-Werk ist.
erschienen am 6. 04. 2012
Universum Film
Luc Besson und Michelle Yeoh am Set von "The Lady - Ein geteiltes Herz"
Ricore: M. Besson, ist "The Lady - Ein geteiltes Herz" Ihr politischster Film?

Luc Besson: Ich denke, in erster Linie ist "The Lady" ein Film über die Liebe. Davon handeln alle meine Filme - mehr oder weniger. Sicher gibt es in "The Lady" einen politischen Hintergrund, aber er ist vor allem ein Liebesfilm. Er erzählt von der Qualität der Liebe. Unsere Gesellschaft ist heute mehr denn je von einer Ichbezogenheit geprägt. Mein Auto, mein Haus, meine Frau - das ist die Einstellung des modernen Menschen. Wenn das Auto nicht funktioniert, dann kaufe ich eben ein neues. Wenn es in der Beziehung kriselt, tausche ich den Partner aus. Der Liebe haftet heute etwas Schmutziges an.

Ricore: Inwiefern ist in "The Lady" die Liebe anders.

Besson: Als ich das Drehbuch las, war ich von der Reinheit der Liebe von Aung San Suu Kyi und ihrem Ehemann Michael Aris fasziniert. Eine solche Liebe zu sehen war sehr inspirierend.

Ricore: Welchen Stellenwert hat die Liebe in Ihrem Werk?

Besson: Die Liebe ist meine Art, den Zynismus auf der Welt zu bekämpfen. Ich leide daran, wie zynisch die Menschen heute sind. Wenn man über Liebe spricht, haben die Menschen nichts als Spott übrig. Was gibt es da denn zu lachen? Glauben die Menschen, sie seien klüger, weil sie zynischer sind? Warum erfährt die Liebe heute so eine Abwertung? Schließlich sind wir alle das Produkt der Liebe. Ich jedenfalls glaube an sie.

Ricore: Andererseits opfert Suu Kyi die Liebe für ihre politischen Ideale.

Besson: Suu Kyi hat ihr Land genauso geliebt wie ihren Mann. Sie hat sich nicht für eine Seite entschieden. Das Militär hat sie zur Entscheidung gezwungen. Ihr größter Liebesbeweis war die Frage an ihren Mann, ob sie für ihn Birma verlassen soll. Seine größte Liebesbezeugung war seine Antwort: Nein. Es war nicht Suu Kyis alleinige Entscheidung, sie haben das zusammen entschieden. Wenn Michael gewollt hätte, dass sie zu ihm kommt, dann hätte sie es sehr wahrscheinlich getan. Sie haben beide ihre Liebe für etwas Größeres geopfert.

Ricore: Würden Sie in einer solchen Situation ähnlich handeln?

Besson: Ich weiß nicht, wie ich persönlich in einer solchen Situation gehandelt hätte. Aber ich konnte ihre Entscheidungen und ihr Dilemma verstehen.
Jean-François Martin/Ricore Text
Luc Besson mit Ehefrau auf dem Filmfest von Cannes (2007)
Ricore: Sie zeigen die Generäle des Militärregimes als Clowns. Sind sie tatsächlich so, oder haben Sie sie überzeichnet?

Besson: Sie sind sogar noch schlimmer. Sie treffen keine politische Entscheidungen ohne ihre Wahrsager. Vor einigen Monaten haben sie etwa die Farbe ihrer Nationalflagge geändert, nur weil eine Wahrsagerin ihnen einen Floh ins Ohr setzte. Ein anderes Mal prophezeite ihnen ein Wahrsager, dass eines Tages eine Frau Birma retten würde. Seitdem haben sie besonders Suu Kyi im Auge. Das und ähnliche Sachen konnte ich nicht in den Film nehmen, weil mir das niemand geglaubt hätte.

Ricore: Woher wissen Sie von diesen Details?

Besson: Uns lagen umfangreiche Berichte von Human Rights Watch und Amnestie International vor, die die Verhältnisse dokumentierten.

Ricore: Hat sich die politische Situation in Birma mittlerweile zum Besseren gewandelt?

Besson: Das kann ich nicht genau sagen. Ich weiß aber, dass sich rund die Hälfte der 130 Ethnien Birmas im Kampf befindet. Amnesty international darf nicht in Birma einreisen. Man ist dort also noch weit von demokratischen Verhältnissen entfernt.

Ricore: Waren Sie selbst jemals in Birma?

Besson: Ja, vor der Arbeit an "The Lady" war ich als Tourist in Birma unterwegs. Ich trug ein T-Shirt mit Blumenmuster und einen Hut und war sehr laut. Ich rief die ganze Zeit nur 'Oh mein Gott, ist das schön, darf ich davon Aufnahmen machen?' So haben sie von mir keine Notiz genommen. Auf diese Weise habe ich an die 17 Stunden Material gefilmt, von dem ich einiges im Film verwenden konnte. Der Anfang von "The Lady" wurde zum Beispiel in Birma gedreht.

Ricore: Hat der Film eine Chance, in Birma gezeigt zu werden?

Besson: Nein, er ist verboten. Man würde eine Gefängnisstrafe riskieren, würde man mit einer Kopie des Films erwischt werden.
Universum Film
The Lady - Ein geteiltes Herz
Ricore: Wissen Sie, ob Suu Kyi den Film gesehen hat?

Besson: So weit ich weiß, hat sie ihn noch nicht gesehen. Der Kult um ihre Person ist ihr nicht so wichtig. Ich schätze, sie wird ihn sich eines Tages ansehen, aber das gehört sicher nicht zu ihren Prioritäten. Das kann ich versehen, sie hat wichtigere Dinge zu tun. Als ich ihr zum ersten Mal begegnet bin, haben wir uns über fast alles unterhalten, nur nicht über den Film. Nichtsdestotrotz war sie sehr glücklich darüber, dass der Film produziert werden konnte.

Ricore: Können Sie Ihre Eindrücke von ihr schildern?

Besson: Ich bin ihr etwa ein Monat nach ihrer Entlassung begegnet. Davor stand sie elf Jahre unter Hausarrest, ohne mit einem Menschen Kontakt zu haben. Sie durfte weder Fernsehen, noch Zeitung lesen. Sie war von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Trotzdem hat sie sich ihre Würde und Menschlichkeit bewahrt. Sie hat ihr Lachen nicht verloren, ist sehr zuvorkommend und offenherzig. Sie ist ein wahrhaft guter Mensch. Ich werde bestimmt niemals so gut sein wie sie, zumindest weiß ich aber, wo das Gute sich befindet.

Ricore: Sehen Sie in einer Reihe mit Mahatma Gandhi und Nelson Mandela?

Besson: Ja, ganz sicher. Obwohl es sich mit Gandhi und Mandela komplizierter verhält. Im Unterschied zu Suu Kyi fing Mandela mit Gewalt an. Als er merkte, dass Gewalt nicht der richtige Weg ist, änderte er seine Gesinnung von Grund auf. Suu Kyi hat ihre Überzeugungen von Anfang an ohne Gewalt durchgesetzt.

Ricore: Glauben Sie, dass der Film ihr helfen kann, ihre persönliche und politische Situation zu verbessern?

Besson: "The Lady" nicht gemacht zu haben hätte ihr bestimmt nicht geholfen, dass weiß ich. Der Film wird im Kino, auf DVD und dann immer wieder im Fernsehen gezeigt werden. Das heißt, die birmanische Regierung wird ihn lange im Bewusstsein haben. Sie werden weder vor dem Film noch vor ihrer Vergangenheit fliehen können. Eines Tages werden sie zu dem, was wir im Film zeigen, Stellung beziehen müssen. Vielleicht werden sie sogar erkennen, dass ihre Handlung falsch war und sich entschuldigen. Auch wenn "The Lady" nicht zur Verbesserung der Verhältnisse in Birma beitragen wird, ist er zumindest eine Erinnerung an ihr Leben.

Ricore: In "The Lady" gehen Sie am Rande auch auf das Schicksal des populären birmanischen Komikers Zarganar ein. Warum?

Besson: Ich wollte Zarganar als Beispiel für viele ähnliche Schicksale verwenden. In einem Film kann man nicht 20 Geschichten erzählen. Man muss sich auf solche beschränken, die stellvertretend für andere Geschichten stehen. Indem ich also auf das Schicksal Zarganars eingegangen bin, konnte ich darüber hinaus noch mehr zum Ausdruck bringen. Etwa wie fröhlich die Burmesen trotz der politischen Verhältnisse sind. Oder die Ausmaße der Unterdrückung durch das Militär. Eine Haftstrafe von 60 Jahren für einen harmlosen Witz, das ist unvorstellbar. Später war das Regime freundlich genug, um das Strafmaß auf 35 Jahre zu reduzieren. Vor einigen Monaten wurde Zarganar Gottseidank wieder freigelassen.
Kinowelt
Léon - Der Profi (Blu Cinemathek)
Ricore: Heute darf er frei durch die Welt reisen.

Besson: Ja. Andererseits sagte er in einem Interview, dass er wieder ins Gefängnis gehen müsse, würde er noch einen Witz über das Regime machen. Er ist zwar aus dem Gefängnis entlassen, frei ist er jedoch nicht. Ich wünschte, ich könnte ihm eines Tages begegnen. Der Schauspieler, der Zarganar in "The Lady" verkörpert, ist übrigens sein Schüler - der einzige verbliebene!

Ricore: Im Abspann bedanken Sie sich bei den Menschen, die Sie beim Film unterstützt haben, deren Namen jedoch aus Sicherheitsgründen nicht erwähnt werden durften. Wie sah diese Unterstützung genau aus?

Besson: Zum Beispiel ließen uns Helfer 200 Stunden umfassendes Videomaterial zukommen, auf denen Demonstrationen und Proteste zu sehen sind. Es waren auch viele Archivaufnahmen von Suu Kyi dabei, die sie unter anderem bei politischen Veranstaltungen zeigen. Außerdem haben wir mit Augenzeugen gesprochen und von ihnen einiges über Ereignisse erfahren, von denen es keine Beweisaufnahmen gibt. Letztlich zeigen wir im Film die Ereignisse so, wie sie sich tatsächlich ereigneten.

Ricore: Sie sind in "The Lady" sehr sparsam mit der Darstellung von Gewalt.

Besson: Ich wollte die stupide Gewaltherrschaft der Militärregierung auf den Punkt bringen. Um das zu begreifen, bedurfte es keiner ausufernden Gewaltdarstellung. Andernfalls wäre "The Lady" allzu voyeuristisch geraten. Ich wollte mein Ego als Regisseur im Zaum halten. Mir kam es nicht auf inszenatorische Extravaganzen an. Das hätte der Absicht des Films im Weg gestanden. Es reichte zu zeigen, dass es sich um ein dummes, gewaltbereites Regime handelt. Es gibt nicht Gefährlicheres als einen dummen Menschen mit einer Waffe.

Ricore: Im Presseheft heißt es, sie wären vom Drehbuch sehr angetan gewesen, hätten aber dennoch einige Änderungen vorgenommen. Was haben Sie geändert?

Besson: Im Grunde habe ich nicht viel geändert. Die Geschichte über Suu Kyi war sehr gut ausgearbeitet. Was ein wenig zu kurz kam, war der das Bild des Regimes. Beim Film verhält es sich ähnlich, wie in der Malerei. Um die Farbe Weiß deutlich hervorzuheben, muss man das Schwarze umso stärker akzentuieren. Im ursprünglichen Drehbuch war die Bedrohung durch das Regime nicht vorhanden. Die Autorin hat sich so sehr auf Suu Kyi konzentriert, dass sie das Militär vernachlässigt hat. Mir war klar, dass wir deutlicher zeigen mussten, wovor Suu Kyi Angst hat. Aus diesem Grund haben wir die Rolle der Generäle erweitert.

Ricore: "The Lady" ist im Vergleich zu ihren anderen Filmen sehr intim. Ist das noch ein Luc-Besson-Werk?

Besson: Ja, das ist mein Film. Viele Menschen verwechseln meine Arbeit als Regisseur und als Produzent. Wenn ich einen Film wie "Transporter" produziere, bin ich nicht auf dem Set. Ich liebte es, daran teilzunehmen oder dafür die Drehbuchvorlage zu schreiben. Aber ich mochte den Stoff nicht genug, um auch die Regie zu übernehmen. In diesem Fall gebe ich die Vorlage in die Hand jüngerer Regisseuren, die sich darüber sehr freuen. Als Produzent mag ich die leichten Sachen. Es macht mir Spaß, Filme wie "Transporter" und "22 Bullets" zu produzieren. Aber das heißt nicht, dass ich diese Art von Filmen auch inszenieren muss.

Ricore: Haben Sie sich mit "The Lady" vom Actiongenre verabschiedet?

Besson: Im Grunde genommen habe ich niemals Actionfilme gemacht. Meine Filme enthalten Action-Elemente, sind aber genau genommen keine Actionfilme. "Léon - Der Profi" ist kein Actionfilm, sondern handelt von der Beziehung eines dummen alten Profikillers zu einem kleinen Mädchen. Darüber hinaus enthält der Film einige Actionmomente, diese dauern aber nicht länger als 20 Minuten.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 6. April 2012
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2024