Pascal Le Segretain/Getty Images
Michelle Yeoh bei der Cinema-for-Peace-Gala 2012
Philosophie des Vergebens
Interview: Michelle Yeoh fördert Dialog
Michelle Yeoh spielt gerne starke Frauen. Während sie in ihren früheren Filmen ihre Ideale schon mal unter vollem Körpereinsatz durchzusetzen pflegte, stehen ihre letzten Rollen unter dem Zeichen des Gewaltverzichts. So auch in "The Lady - Ein geteiltes Herz". Im Biopic von Luc Besson verkörpert die Malaysierin die birmanische Politikerin Aung San Suu Kyi, die für die Freiheit ihres Landes das eigene Glück opfert. Im Interview mit Filmreporter.de sprach Yeoh über ihre Begegnung mit der Friedensnobelpreisträgerin und ihre Eindrücke von Birma.
erschienen am 5. 04. 2012
Imagenet
Michelle Yeoh auf dem "Doha Tribeca Film Festival"
Ricore: "The Lady - Ein geteiltes Herz" soll für Sie eine Herzensangelegenheit gewesen sein. Was faszinierte Sie so sehr am Stoff?

Michelle Yeoh: Zunächst einmal waren selbstsüchtige Gründe ausschlaggebend, wieso ich die Rolle von Aung San Suu Kyi unbedingt spielen wollte. Es gibt nicht sehr viele ikonische asiatische Figuren, die man auf die Leinwand bringen kann. Außerdem habe ich das richtige Alter und das richtige Aussehen für die Rolle der inspirierenden Persönlichkeit. Suu Kyi ist in Asien für sehr viele Menschen eine Heldin. Insbesondere für diejenigen, die wissen, was Unterdrückung heißt.

Ricore: Wie schwierig war es, diese Rolle zu spielen?

Yeoh: Das war keine einfache Aufgabe. Allein schon die Tatsache, dass es sich bei Suu Kyi um eine lebende Persönlichkeit handelt, erschwert die Sache. Hinzu kam, dass sie unter Hausarrest stand und wir nicht mit ihr kommunizieren konnten. Ein weiterer Grund war, dass wir mit "The Lady" keinen politischen Film machen wollten, sondern ein zutiefst menschliches Drama. Der Film handelt von einem Abschnitt in Suu Kyis leben, der mir bis dahin unbekannt war, nämlich der Liebesgeschichte zu ihrem Mann Michael Aris. Das Leid der Birmanen ist allgegenwärtig. Man braucht nur den Fernseher einschalten, um zu sehen, was für schreckliche Dinge dort passieren. Wir wollten eine Geschichte erzählen, mit der sich alle identifizieren können. Und dafür eignet sich nichts besser als eine Liebesgeschichte. Die Liebe zwischen Mann und Frau, Mutter und Kind, das ist der größte Identifikationsmoment für den Zuschauer.

Ricore: Was empfanden sie als die größte Herausforderung bei dieser Aufgabe?

Yeoh: Das Schwierige war, eine Person darzustellen, die eine so unglaubliche Würde und Stärke ausstrahlt. Als sie ihre erste Rede vor tausenden von Menschen hielt, fühlte jeder, dass sie in der Lage war, das Land zu befreien. Eine so starke Persönlichkeit darzustellen ist eine besondere Herausforderung. Als Schauspieler spielt man ungern etwas, das viele davor gespielt haben. Das ist langweilig, und wenn sich ein Schauspieler langweilt, dann langweilt sich auch der Zuschauer. Eine Rolle kann einen physisch, geistig oder emotional herausfordern. "The Lady" für mich vor allem eine emotionale Reise.

Ricore: Wie haben Sie sich für diese Reise vorbereitet.

Yeoh: Ich habe mir vor allem viele Bücher angeeignet, die über Suu Kyi verfasst wurden. Ich wollte mich zunächst in die historischen Hintergründe einfühlen, um zu verstehen, was diesen Menschen formte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Erbe, das ihr Vater hinterlassen hat. Ohne dieses Erbe wäre Suu Kyi nicht, was sie heute ist. Die Stärke und die Disziplin hat sie dagegen von ihrer Mutter. Abgesehen davon hat Suu Kyi auch etwas Eigenständiges ausgemacht. Mit 13 Jahren las sie eine Biographie über eine Frau, die inhaftiert war. Das hatte geradezu etwas Prophetisches an sich. Mich faszinierte vor allem die Frage, wie man als Mensch eine solche Kraft entwickeln kann. Wie konnte Suu Kyi als Frau und als Mutter für die Politik das familiäre Glück entsagen. Neben dieser inneren Reise musste ich mich natürlich auch äußerlich auf die Rolle vorbereite. Ich hatte eine englische Sprachtrainerin, die mir beigebracht hat, so zu sprechen, wie Suu Kyi es tut. Sie lebte jahrelang in England und davor in Indien. Das heißt, ihr Englisch hat einen bestimmten Akzent. Außerdem musste ich mein Äußeres verändern. Weil Suu Kyi sehr schlank ist, habe ich zehn Kilo abgenommen.
Universum Film
Michelle Yeoh in "The Lady - Ein geteiltes Herz"
Ricore: Wie haben Sie die besondere Aura Suu Kyis studiert?

Yeoh: Das war die größte Herausforderung. Vor allem die Augen Suu Kyis waren schwierig darzustellen. Die Augen eines Menschen sprechen Bände. Ich habe mir viele Fotos von Suu Kyi angeschaut, die über die Jahre auf Zeitschriften abgebildet wurden. Ihre Augen strahlten auf diesen Fotos mal eine ungeheure Stärke, dann wieder eine unglaubliche Traurigkeit aus. Um das Wesen Suu Kyis darrzustellen musste ich mich in die verschiedenen Phasen ihres Daseins hineindenken, mir ausgehend von ihrem Blick ihre Gefühle vorstellen.

Ricore: Sie durften als einzige Suu Kyi besuchen, stimmt das?

Yeoh: Ja, beim ersten Mal. Später durften auch andere Crewmitglieder sie sehen. Weil die Birmanen den Tourismus als Einnahmequelle stark fördern, stellen sie entsprechend Visa aus. So durften Luc und ich Birma als Touristen besuchen. Dabei war Luc ein besonders lauter Tourist. Er hat ständig lauthals geschrien, weil er dadurch von der Tatsache ablenken wollte, dass er mit seiner Kamera Aufnahmen von der Stadt macht. Einige Aufnahmen konnte er tatsächlich für den Film verwenden. Weil es Touristen nicht erlaubt ist, das Land alleine zu erkunden, hatten wir permanent einen Führer an unserer Seite. Zu der Zeit befand sich Suu Kyi noch unter Hausarrest. Als wir mit dem Führer unterwegs waren, wollten wir, dass er uns in eine bestimmte Straße führt. Wir wussten, dass sich dort das Haus Suu Kyis befindet. Er weigerte sich und sagte, dass es verboten sei, dorthin zu gehen. Eine Erklärung wollte er uns nicht abgeben. Er sagte nur, dass die "Lady" dort wohne. Er nannte sie Lady, weil die Birmanen ihren Namen nicht erwähnen dürfen.

Ricore: Wie kam es dann zum Treffen, als Suu Kyi aus dem Hausarrest entlassen wurde?

Yeoh: Als Sie im November 2010 entlassen wurde, befanden sich die Dreharbeiten in Thailand schon in der Endphase. Das war ein glücklicher Tag für uns. Wir saßen in meinem Zimmer und verfolgten die Nachricht im Fernsehen. Außer mir und Luc waren Kim Aris, der jüngste Sohn von Suu Kyi und Michael Aris, David Thewlis und die Filmsöhne anwesend. Wir sahen wie Suu Kyi am Tor den Menschen zuwinkte. Luc war wie betäubt, als er das sah. Denn wir hatten gerade eine Szene abgedreht, die der Wirklichkeit verblüffend ähnlich sah. Es war ein besonderes Erlebnis. Vor allem für Kim war diese Begegnung sehr emotional. Er hatte seine Mutter seit zehn Jahren nicht mehr gesehen.

Ricore: Wirklich gar keinen Kontakt?

Yeoh: Ja, sie haben jeden Kontakt unterbunden. Das war für alle Betroffenen schlimmer als eine Gefängnisstrafe. Im Gefängnis darf man die Gefangenen wenigstens ab und zu besuchen. Suu Kyi und ihrer Familie wurde alles untersagt. Weder Anrufe, noch Briefe, noch sonstige Kommunikationsmöglichkeiten waren erlaubt. Nichts. Irgendwann bekam Kim ein Visum, womit er seine Mutter endlich besuchen durfte. Daraus schöpften wir Hoffnung, dass auch die Filmcrew eine Einreiseerlaubnis bekommen würde. Dabei war das Regime zu der Zeit besonders empfindlich. Sie ließen keine Journalisten ins Land. Wir reichten unsere Ausweise ein und wenige Tage später erhielten wie die Antwort, dass alle Visa abgelehnt würden außer meinem. Meine Kollegen machten sich ein wenig Sorgen um meine Sicherheit, ich jedoch war sehr zuversichtlich.

Ricore: Was machte sie so zuversichtlich?

Yeoh: Ich wusste, dass sie nichts davon haben würden, mich im Land festzuhalten. Ich bin nur eine Schauspielerin. Und was das Filmprojekt angeht, so hatte der Film zu dem Zeitpunkt einen anderen Titel. Außerdem hatten wir nicht erwähnt, dass Luc Besson einen Film mit mir über Aung San Suu Kyi dreht. Wir hielten alles sehr klein, weil wir dachten, dass es sonst ein Nachspiel geben könnte. Nicht nur für uns, sondern vor allem für alle Birmanen, die für uns gearbeitet und uns unterstützt hatten. Für meine Sprachtrainerin etwa, die mir das Birmanische beigebrachte. Sie sollte sehr stolz auf ihre Leistung sein. Dennoch bestand sie wie alle anderen Helfer darauf, dass ihr Name im Abspann nicht genannt wird. Sogar ihre Familie weiß nicht, dass sie für uns gearbeitet hat. Sie leben alle noch in Birma und man weiß nie, was mit ihnen passieren könnte.
Universum Film
Michelle Yeoh in "The Lady - Ein geteiltes Herz"
Ricore: Wie waren Ihre Eindrücke von Suu Kyi?

Yeoh: Sie ist einfach großartig. Man sagt, dass man seinen Helden niemals persönlich begegnen sollte, weil man eventuell enttäuscht werden könnte. Das war bei Suu Kyi nicht der Fall. Ich habe bekommen, was ich erwartet habe. Sie ist sehr weise und gleichzeitig sehr ehrlich. Sie lacht sehr viel und gerne und hat einen tollen Sinn für Humor. Sie gibt einem ständig das Gefühl, sich bei ihr geborgen zu fühlen. Gleichzeitig ist sie sehr neugierig. Schließlich ist sie seit Ende der 1988er Jahren nicht mehr außerhalb ihres Landes gewesen. Als wir sie besuchten, haben wir ein bisschen von der Außenwelt zu ihr gebracht. Sie hatte zu der Zeit sehr viele Besucher empfangen und doch gab sie einem nie das Gefühl, es mit einer Ikone zu tun zu haben. Man betrachtet sie vielmehr wir ein Familienmitglied.

Ricore: Was sagte sie dazu, dass Sie einen Film über sie drehen?

Yeoh: Wir wussten alle, dass sie uns dabei unterstützen wird. Sie sagte immer, dass wir unsere Freiheit benutzen sollten, um ihre zu fördern. Das machten wir mit dem Film. Sie selbst hasst den Gedanken, dass der Film von ihr handelt. Sie betrachtet ihn vielmehr als eine Erzählung über ihr Land. Sie mag es nicht, als Ikone gesehen zu werden. Andererseits leben wir in einer Welt, in der die Menschen mehr denn je ikonische Figuren brauchen. Und wenn man den Fokus der Kamera auf sie richtet, dann nimmt man damit automatisch auch das birmanische Volk ins Visier.

Ricore: Sind sie optimistisch angesichts der Zukunft von Suu Kyi?

Yeoh: Ich bin auf jeden Fall hoffnungsvoll. Auch wenn die Junta in ihren politischen Entscheidungen sehr launisch ist, haben sich in letzter Zeit einige Veränderungen ergeben, die man vor einiger Zeit niemals für möglich gehalten hatte. Man hat das Gefühl, dass sich in Birma etwas tut. Man sollte selbst die kleinsten positiven Veränderungen zu schätzen wissen, in der Hoffnung, dass sie noch mehr Gutes voranbringen werden. Ich bin für die Philosophie des Vergebens und nicht der Vergeltung. Und man sollte den Dialog und den gegenseitigen Austausch suchen.

Ricore: Ist das der Grund, wieso der Film vor dem Massaker im Jahr 2007 endet?

Yeoh: Das Ende war von Anfang an so vorgesehen. Wir haben es nicht verändert, weil Suu Kyi während der Arbeit an "The Lady" entlassen wurde. Ihre Geschichte geht weiter, es gibt noch kein Ende. Wir mussten uns auf einen Teil ihres Lebens konzentrieren und konnten nicht alles in den Film nehmen. Das beinhaltet auch die Zeit vor ihrer politischen Laufbahn. Davor war sie 16 Jahre Hausfrau in Oxford. Aus diesem Abschnitt ihres Lebens konnten wir nicht viel erzählen. Der Wendepunkt war das Jahr 1988, als sie wegen der Erkrankung ihrer Mutter nach Birma reisen musste. Die Politik spielte zu dem Zeitpunkt in ihrem Leben noch keine große Rolle. Sie hatte auch niemals vor, eines Tages das Land zu regieren. Im Gegenteil, sie war diesbezüglich ein wenig skeptisch. Sie hatte keinerlei Erfahrung. Als sie merkte, dass sie etwas bewirken kann, konnte sie keinen Rückzieher mehr machen. Dieser Abschnitt ihres Lebens zwischen Entscheidung für die Politik und ihrer Entlassung ist der Schwerpunkt von "The Lady". Er hatte das größte emotionale Potential.

Ricore: Hatten sie während Ihres Aufenthalts in Birma das Gefühl, dass eine Atmosphäre der Angst herrscht?

Yeoh: Ich dachte, ich würde niemanden auf der Straße sehen. Aber das war nicht der Fall. Rangun war voller Menschen, es gab Nachtmärkte und moderne Lokale. Abgesehen von dem Abschnitt, in dem sich das Haus Suu Kyis befand, kann man sich in Rangun relativ frei bewegen. Nur manchmal wurden wir daran erinnert, dass wir uns in einem unfreien Land befinden. Als wir Einrichtungen von Polizei und Militär passierten, fielen uns die vielen Stacheldrahtzäune auf. Außerdem war es nicht erlaubt, Fotos davon zu machen. Auch von den Botschaften durften keine Aufnahmen gemacht werden.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 5. April 2012
Zum Thema
Michelle Yeoh will zunächst Ballett-Tänzerin werden. Nach einem Sturz während einer Übungsstunde, muss sie diesen Traum jedoch aufgeben. Als Kind lernt sie Klavier spielen, beschäftigt sich mit Kaligraphie und ist auch sportlich aktiv. In England absolviert die 1962 geborene Malaysierin das Studium der Creative Arts mit dem Nebenfach Schauspiel. Mao tou ying yu xiao fei xiang" ein. Während der Dreharbeiten ist sie derart fasziniert von den Kampfszenen, dass sie sich entschließt, Kung Fu zu..
In Oxford kriegt Aung San Suu Kyi (Michelle Yeoh) nichts von den politischen Unruhen in ihrer Heimat Burma mit. Das ändert sich, als sie ihre kranke Mutter besucht. Sie entschließt sich in ihrer Heimat zu bleiben und sich für die Demokratisierung des Landes einzusetzen. Als ihre Partei einen haushohen Wahlsieg erringt, wird die Wahl von der Militärregierung für ungültig erklärt und Aung San Suu Kyi unter Hausarrest gestellt. Luc Besson konzentriert sich in "The Lady" weniger auf die..
2024