Ralf Hake/Ricore Text
Jean-Jacques Annaud auf dem 39. Deutschen Filmball 2012
Mit dem Fremden vertraut
Interview: Lernbegieriger Jean-Jacques Annaud
Jean-Jacques Annaud steht für episches Kino wie "Am Anfang war das Feuer" und "Sieben Jahre in Tibet". Er macht aber auch spannende Tierfilme wie "Der Bär" und "Zwei Brüder". Hier setzt der Franzose die Würde der Tiere gegen die menschliche Ignoranz. Mit "Black Gold", einem Drama über den muslimischen Glauben unter dem Zeichen des Fortschritts, kehrt Annaud zu seinen epischen Wurzeln zurück. Im Interview mit Filmreporter.de sprach der 68-Jährige über seine filmischen Vorbilder sowie seine Eindrücke von der arabischen Kultur. Außerdem verriet er uns, wie er während der Dreharbeiten in Tunesien den Ausbruch der arabischen Revolution erlebte.
erschienen am 9. 02. 2012
Universal Pictures International
Black Gold
Ricore Text: M. Annaud, man fühlt sich bei "Black Gold" an "Lawrence von Arabien" erinnert.

Jean-Jacques Annaud: Gut, das ist schön zu hören. Obwohl ich den Film seit 20 Jahren nicht mehr gesehen habe. Auch im Rahmen der Arbeit an "Black Gold" habe ich ihn mir nicht angeschaut, weil ich nicht davon beeinflusst werden wollte - ob in negativer oder positiver Hinsicht. Eines war mir von Anfang an klar: Ich wollte "Black Gold" nicht in Wadi Rum drehen, wo David Lean seinen "Lawrence von Arabien" realisierte. Der Ort bietet zwar beeindruckende Landschaften, trotzdem hatte ich Angst, die Kameras genau dort zu positionieren, wo auch Lean sie für seinen Film aufstellte.

Ricore: Sind Sie von David Lean beeinflusst?

Annaud: Ja, ich war schon immer vom epischen Film fasziniert. Als Student liebte ich die Filme von Sergej Eisenstein, Akira Kurosawa und John Ford. Ich assoziiere Filmerfahrung automatisch mit monumentalem, epischem Kino und ich habe immer davon geträumt, Filme solchen Formats herzustellen. Vielleicht lag das daran, dass ich in überschaubaren Verhältnissen in einem kleinen Haushalt mit begrenzten Zukunftsaussichten aufgewachsen bin. Der epische Film war für mich wie Atmen. Das war also ein weiterer Grund, wieso ich "Black Gold" unbedingt machen wollte. Ich vermisse den epischen Film.

Ricore: Der deutsche Kameramann Michael Ballhaus sagte einmal, dass Wüstenaufnahmen die größte Herausforderung beim Filmemachen seien. Ist das auch Ihre Erfahrung?

Annaud: Nein, diese Erfahrung habe ich nicht gemacht. Eine große Hilfe war für uns die Tatsache, dass wir heutzutage das richtige Werkzeug haben, um den Stand der Sonne im Moment der Filmaufnahme vorherzusagen. Auf der Grundlage dieser Vorhersagen erfolgten die zentralen Einstellungen von "Black Gold". So konnte die Arbeit schnell vorangehen. Ich brauchte der Filmcrew nur zu sagen, wo und wann gedreht wird. Das große Problem bei Wüstenaufnahmen ist jedoch die Weite der Landschaft. Man kann nicht so einfach den Drehort wechseln. Wenn wir unsere Aufnahmen an den Stand der Sonne ausrichten wollten, dann dauerte es einen halben Tag, die Filmausrüstung von einem Ort zum nächsten zu bewegen. Die Weite der Wüste ist der größte Feind des Filmemachens.
Tobis Film
Jean-Jacques Annaud
Ricore: Wie vertraut ist Ihnen die arabische Welt mit ihrem Wertesystem und ihrem Glauben?

Annaud: Ich würde mich nicht als Experten für die arabische Kultur bezeichnen. Aber ich wollte schon seit 20 Jahren einen Film über diese Welt machen und genau so lange besuche ich diese Länder regelmäßig. Erste Bekanntschaft mit der arabischen Kultur machte ich, als ich kurz nach meinem Filmstudium ein Jahr lang in Kamerun gewesen bin. Viele meiner Freunde waren damals Moslems. Ich selbst bin zwar Atheist, bin aber sehr an Religion interessiert. Aus diesem Grund machte ich damals "Der Name der Rose". Als ich "Sieben Jahre in Tibet" inszenierte, traf ich großartige Buddhismus-Gelehrte. Bei "Black Gold" assistierten mir die größten Spezialisten für Koran-Auslegung. Das Schönste am Filmemachen ist die Möglichkeit zu lernen. Als Regisseur bin ich in gewisser Weise ein ewiger Student. Das ist auch der Grund, wieso ich nicht jedes Jahr einen Film mache. Ich muss mich in den Stoff einarbeiten und das braucht seine Zeit. Vor fünf Jahren zum Beispiel wusste ich nur wenig über Mannigfaltigkeit des Korans. Heute weiß ich darüber wahrscheinlich mehr als über meine eigene Religion. Diesen Lernprozess beim Filmemachen liebe ich und es ist schön, mein Wissen mit anderen Menschen zu teilen.

Ricore: Haben Sie sich auch mit der deutschen Kultur auseinander gesetzt?

Annaud: Ja, ich liebe Deutschland. Ich habe hier eine Zeit lang gelebt. Ich lebte in München und Berlin. In Cottbus und an den Alpen habe ich Filme gedreht. Dadurch habe ich einiges über Deutsche und ihre Kultur gelernt. Vorher war ich voller Vorurteile über Deutschland. Ich dachte, hier würden lauter große Blonde mit blauen Augen leben.
Ralf Hake/Ricore Text
Jean-Jacques Annaud auf dem 39. Deutschen Filmball 2012
Ricore: Wie kam "Black Gold" in den arabischen Ländern an?

Annaud: Er ist dort ein großer Erfolg. Das ist die schönste Auszeichnung, die ich hätte bekommen können. Die Araber haben gesehen, dass ich ihre Welt nicht so dargestellt habe, wie es Hollywood getan hätte. Immer wenn die sich in letzter Zeit Filme des mittleren Ostens annahmen, dann handelten diese meist von Menschen, die sich mit Bombengürteln in die Luft sprengten. Ich will nicht abstreiten, dass es in den arabischen Ländern Extremisten gibt. Das alltägliche Leben jedoch erschien mir anders und vielfältiger, als ich es von Filmen und den Medien her kannte. Diese Erfahrung wollte ich mit der Welt teilen.

Ricore: Bewirken solche intensive Erfahrungen mit fremden Welten und Kulturen in Ihnen eine Veränderung?

Annaud: Ja. Auch wenn das ein sehr langsamer Prozess ist, findet eine Transformation dennoch statt. Als ich an "Sieben Jahre in Tibet" arbeitete, kamen einige buddhistischen Mönche irgendwann auf mich zu und sagten, dass sie mich in den letzten Monaten beobachtet haben und ich wahrscheinlich der größte Buddhist auf dem Set sei. Ich weiß nicht genau, was das bedeutete. (lacht). Wenn man in eine bestimmte Welt eintaucht, dann lernt man Einiges dazu. Als ich an "Der Name der Rose" arbeitete, lernte ich sehr viel über das Mittelalter und die Dilemma, in denen die Theologen und Gläubigen jener Zeit steckten. "Der Bär" drehte ich nicht, weil ich Bären besonders liebe. Ich wollte vielmehr etwas über das Verhalten von Tieren lernen und damit auch einiges über menschliches Verhalten. Ich hatte im Laufe meiner Karriere das Glück, Projekte realisieren zu können, die mir alle sehr zu Herzen lagen.
Kinowelt Home Entertainment
Der Name der Rose
Ricore: Glauben Sie, dass Ihre Filme auch in den Menschen etwas bewirken können?

Annaud: Ja, absolut. Ich denke, Dokumentarfilme öffnen die Augen, Spielfilme die Herzen. Sie funktionieren wesentlich über Identifikation. Nehmen wir das Beispiel USA. Der Grund, wieso sich so viele Menschen mit den Amerikanern identifizieren, liegt an den Filmen. Der Grund wieso sich so wenige Menschen mit Indien und den Indern identifizieren, liegt daran, dass es vergleichsweise wenige indische Filme in den Westen schaffen. Das ist der Grund, wieso es Ignoranz und Ablehnung gegen bestimmte Kulturen gibt. Mit anderen Worten: Will man, dass eine bestimmte Kultur geschätzt und respektiert wird, muss man über sie Filme machen. In meiner Studienzeit habe ich mir bis zu drei Filme am Tag angesehen. Diese Erfahrung öffnete mein Herz für Länder wie Japan, Iran oder die Türkei. Ohne Filme hätte ich mich nicht mit diesen Kulturen vertraut machen können. Filme sind der Schlüssel für das Verständnis von Kulturen.

Ricore: Während der Dreharbeiten zu "Black Gold" brach die arabische Revolution in Tunesien aus. Wie haben Sie dieses Ereignis erlebt?

Annaud: Das war eine sehr paradoxe Erfahrung. Von außen betrachtet, kamen uns die Ereignisse wie ein Sturm vor. Andererseits war dieser Sturm sehr freundlich und friedlich. Natürlich herrschte im Land Chaos. Davon waren auch die Dreharbeiten zu "Black Gold" betroffen. So hatten wir einen Falken, der im Film eine wichtige Rolle spielt. Einmal mussten wir mit der Arbeit früher aufhören, weil der Falkentrainer nach Tunesien fahren musste. Er erhielt einen Anruf von seiner Frau, die ihm mitteilte, dass sie nichts zu essen hätten, weil alle Straßen abgesperrt seien. Da der Trainer eine Zeit lang abwesend war, verschwand plötzlich der Falke, was wiederum unsere Arbeit beeinträchtigte. Ein anderes Beispiel: Als wir in Katar unsere Arbeit fortsetzen wollten, brauchten wir unser ganzes Equipment. Dieses befand sich in Tunesien. Weil jedoch alle tunesischen Mitarbeiter wegen der Revolution verschwunden waren, konnten wir nicht an die Sachen ran. Als wir die Arbeit in Katar beginnen wollten, war ich gezwungen, die Darsteller mit Stöcken auszustatten, die als Waffen dienen sollten. Das sind zwar Nebensächlichkeiten, aber sie zeigen, dass wir von den umwälzenden Ereignissen indirekt durchaus betroffen waren. Es herrschte Chaos, aber es war ein friedliches Chaos.
Ralf Hake/Ricore Text
Jean-Jacques Annaud auf dem 39. Deutschen Filmball 2012
Ricore: Haben sich die Ereignisse positiv oder eher negativ auf die Motivation des arabischen Teams ausgewirkt?

Annaud: Sowohl die Crew als auch die Schauspieler waren sehr leidenschaftlich bei der Sache und sorgten dafür, dass der Film von den Ereignissen nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Es war sehr bewegend zu sehen, wie sich alle für den Film einsetzten. Für sie alle war das die erste Revolution. Sie waren voller Hoffnungen, hatten aber auch Angst, ob einer ungewissen Zukunft. Das Drehbuch ihres Landes und ihres Lebens ist noch ungeschrieben. Sie wussten nicht und wissen noch immer nicht, wohin sich in Land entwickeln wird.

Ricore: Wie empfanden die westlichen Mitarbeiter die Umwälzungen?

Annaud: Einige französische Techniker wurden tatsächlich von Panik ergriffen. Sie hörten von ihren Familien, die im französischen Fernsehen die Nachrichten sahen, dass in Tunesien geschossen wird. Einige entschlossen sich daraufhin, nach Hause zu fahren. Ich, Freida Pinto, Antonio Banderas und einige andere Crewmitglieder entschieden uns zu bleiben, weil wir keine Gefahr für uns sahen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 9. Februar 2012
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