Universal Pictures International
Daniel Espinosa bei der US-Premiere von "Safe House" in New York
Von Skandinavien nach Hollywood
Interview: Daniel Espinosas Debüt
Daniel Espinosa tritt in die Fußstapfen von Tomas Alfredson und Nicolas Winding Refn. Wie seine skandinavischen Kollegen wagt auch der schwedische Regisseur mit chilenischen Wurzeln den Schritt nach Hollywood. Für seine erste internationale Produktion "Safe House" konnte er mit Ryan Reynolds und Denzel Washington zwei namhafte Schauspieler für die Hauptrollen gewinnen. Im Interview mit Filmreporter.de spricht er über seine Angst vor Washington, Gewalt in Schweden und seine Jugend.
erschienen am 22. 02. 2012
UPI Media
Safe House
Ricore: Wie kommt es, dass derzeit so viele skandinavische Regisseure internationale Produktionen realisieren?

Daniel Espinosa: [lacht] Es ist nicht unsere Absicht, so dominant zu sein. Das hängt mit der Popularität der skandinavischen Literatur zusammen. Der angloamerikanische Markt hat entdeckt, dass Skandinavien ein Quell toller Schriftsteller ist. Die schreiben in einem sehr traditionellen Genre, fügen aber eine sozialkritische Dimension hinzu. Weil unsere Schriftsteller so gefragt sind, haben auch die Regisseure Erfolg. Wir alle haben - mit Ausnahme von Nicolas Winding Refn - bereits einen dieser Romane verfilmt. Niels Arden Oplev hat die "Millenium Trilogie" verfilmt, ich selbst habe "Easy Money" nach einem Buch von Jens Lapidus gemacht und Tomas Alfredson hat "So finster die Nacht" von John Ajvide Lindqvist verfilmt. Es ist also nicht so sehr eine Revolution des Films, sondern der Literatur.

Ricore: Tomas Alfredson sagte, er sei von den Hollywood-Angeboten total überwältigt gewesen. Wie war das bei Ihnen?

Espinosa: Ich wurde sehr von Alfredson und Refn inspiriert, die eine Generation vor mir sind. Als die sich entschieden hatten, ins internationale Geschäft zu wechseln, wurde es für mich einfacher. Ich musste für mich selbst definieren, welche Angebote ich mir ansehen wollte. Sonst liest man 60 Drehbücher und im Kopf verschwimmt alles.

Ricore: Sie haben mal gesagt, Ihr Job als Regisseur sei es, den Plot zu bekämpfen. Wie haben Sie das bei "Safe House" gemacht?

Espinosa: Vor "Safe House" habe ich zwei Spielfilme gedreht, welche die Charaktere mehr im Blick hatten, als den Plot. Als Regisseur muss man immer an Tempo und Rhythmus denken. Alle großen Regisseure, die langsame Filme machen, sind Rhythmusexperten. Aki Kaurismäki ist einer davon. Aber für mich war es nicht so interessant, mich auf das Tempo zu konzentrieren. Die Charaktere haben mich mehr interessiert. Bei "Easy Money" habe ich versucht, ein langsames Tempo einzuschlagen und die Charaktere noch komplexer zu gestalten. Mit dieser Vorgehensweise fühle ich mich wohl, das ist aber keine grundsätzliche Aussage, die für alle Regisseure gelten soll.

Ricore: Bei "Safe House" ist eher das Gegenteil der Fall. Der Film hat ein ziemlich hohes Tempo.

Espinosa: Sie hätten das Drehbuch lesen sollen. Es hatte ein tolles Tempo und viel Bewegung, aber praktisch keine Charaktermomente. Im Film entwickeln sich die Figuren dagegen. Dafür habe ich gesorgt.
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Daniel Espinosa am Set von "Safe House"
Ricore: Denken Sie, dass Sie nach dieser Erfahrung in Zukunft Ihren eigenen Stil in Hollywood durchsetzen können?

Espinosa: Vielleicht. Ich denke, beim nächsten Mal wird es einfacher sein. Bei diesem Film hatte ich alle Freiheiten, die ich brauchte. Doch am Anfang muss man viele Schlachten schlagen, weil dich niemand kennt.

Ricore: Sie haben viel auf Handkameras gesetzt.

Espinosa: Wir haben eine 35mm-Kamera gebaut, die so klein war, dass man sie als Handkamera benutzen konnte. Am Anfang war das Studio beunruhigt, doch schließlich haben sie verstanden, dass dies Vorteile hat.

Ricore: Wie sind Sie auf Oliver Wood als Kameramann gekommen?

Espinosa: Ich habe etwa zehn Kameramänner getroffen. Oliver sagte zu mir: 'Als ich den "Bourne"-Film gemacht habe, haben die Studios es gehasst. Aber der Film wurde ein Erfolg. Wenn du mich nimmst, kannst du machen, was du willst.' Das fand ich toll, da man als junger Regisseur zusehen muss, wie man sich seinen Freiraum verschafft.

Ricore: War es schwierig, das Vertrauen der Schauspieler zu gewinnen?

Espinosa: Nein, das war einfach. Ein Schauspieler will einem Regisseur vertrauen, das ist sein Grundinstinkt. Also hängt alles von deinen Vorgaben ab. Wenn du es ihnen ermöglichst, in die Rolle hineinzufinden, dann haben sie Respekt vor dir. Wenn du das nicht schaffst, solltest du diesen Job nicht machen. So einfach ist das. Regisseure, die sich abfällig über Schauspieler äußern, reden nur Mist. Dann hätten sie sie gar nicht erst für ihren Film engagieren sollen, denn man weiß bereits beim ersten Treffen, ob man eine Beziehung aufbauen kann. Wenn man sie engagiert, ist es der Job des Regisseurs, sich ihren Respekt zu verdienen. In der Hinsicht ist es ein harter Job, doch jeder hat seinen eigenen Weg, damit umzugehen. Tomas Alfredson zum Beispiel ist kein Alphamännchen, doch er ist einer der taffsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Trotz seiner ruhigen Art gibt er nie nach.
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Denzel Washington in "Safe House"
Ricore: Haben Sie Denzel Washington engagiert oder war er schon engagiert, als Sie zu dem Projekt stießen?

Espinosa: Zunächst einmal: man engagiert Denzel Washington nicht [lacht]. Man fragt ihn. Ich wollte ihn im Film haben und habe ihn freundlich gefragt.

Ricore: Warum Denzel Washington?

Espinosa: Stanley Kubrick hat einmal gesagt: "Man kann vieles an einem Schauspieler ändern, aber nicht sein Reaktionssystem". Denzel hat ein sehr interessantes Reaktionssystem. Außerdem hat er einen wahrhaftigen Kern. Wenn man ihn moralisch zwiespältige Figuren spielen lässt, passiert etwas sehr interessantes. Wenn er einen Bösewicht spielt, lieben ihn die Leute und mir geht es genauso.

Ricore: Denzel Washingtons Charakter ist bis zum Schluss rätselhaft. Haben Sie ihn dazu ermutigt, der Figur einen Hintergrund zu geben?

Espinosa: Nachdem ich Denzel gefragt hatte, ob er mitmachen wollte, musste ich Wege finden, um meine Angst zu überwinden. Schließlich kannte ich ihn nicht. Wissen Sie, in Schweden kennt man alle Schauspieler. Man trifft sie ständig privat. Das war also neu für mich. Ich habe mich mit Denzel getroffen und wir haben drei Monate gemeinsam an der Figur gearbeitet. Wir haben Bücher über ähnliche Charaktere gelesen und daraus seine Rolle entwickelt.

Ricore: Was war das Schlimmste am Dreh?

Espinosa: Am Filmset anzukommen und zu realisieren, wie riesig es ist. Es fühlte sich an, als sei ich für eine Naturkatastrophe verantwortlich.
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Daniel Espinosa bei der US-Premiere von "Safe House" in New York
Ricore: Wie war es, in Kapstadt zu drehen?

Espinosa: Toll. Die Stadt hat uns super unterstützt. Am Anfang wollten wir in Rio de Janeiro drehen, aber da konnten wir nicht für die Sicherheit garantieren. Also suchte ich nach einer Stadt, die ein ähnliches sozioökonomisches Profil hat. Ich wollte, dass die Figuren sich durch die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten bewegen. Als sie am Tiefpunkt ankommen, bewegen sie sich durch die ärmsten Gegenden. Im Alter von sechs bis 14 wohnte ich mit meiner Familie in Afrika. Insofern war es, als würde man nach Hause kommen.

Ricore: Wie viel wurde bei den Auto-Verfolgungsjagden mit Spezialeffekten realisiert?

Espinosa: Am Anfang habe ich zu meinen Stuntleuten gesagt, dass mir nicht gefällt, wie Auto-Verfolgungsjagden in letzter Zeit aussehen. Ich wollte zurück zu der Art, wie John Frankenheimer solche Szenen gedreht hat. Wir mussten im Grunde die Vorgehensweise neu erfinden, wie man solche Verfolgungsjagden ohne Spezialeffekte und Green Screen filmt. Es war kompliziert, aber es gibt dem Film einen besonderen Look. Auch wenn die Autos nicht so hoch fliegen wie in "Fast & Furious".

Ricore: Schweden wird heute oft als düsteres Land wahrgenommen. Stieg Larsson etwa hat auf den dortigen Rassismus hingewiesen. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich als Heranwachsender gemacht?

Espinosa: Wir hatten starke rassistische Parteien in den frühen 1990ern. Und es gab einen Serienkiller, der ein halbes Jahr lang Ausländer getötet hat. Am 10. November jedes Jahres gab es eine große Demonstration mit tausenden Neonazis. Als kleine Kinder waren wir verängstigt. Doch als Jugendliche haben wir Ausländer uns gewehrt. Auf der anderen Seite ist Schweden natürlich ein tolles Land, vor allem das Sozialsystem ist vorbildlich.

Ricore: Wie war es, als Teenager zurück nach Schweden zu kommen?

Espinosa: Das war sehr seltsam. Ich versuchte zu verstehen, wie es in Schweden sozial und kulturell läuft. Ich habe viel Gewalt mitbekommen, selbst war ich eher zurückhaltend. Ich hatte taffe Freunde, aber ich war mehr an Büchern interessiert.
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Denzel Washington, Ryan Reynolds und Daniel Espinosa auf der US-Premiere von "Safe House" in New York
Ricore: Ist Kunst Ihre Art, mit diesen Problemen umzugehen?

Espinosa: Meine Eltern sind Akademiker. Für mich war es ganz natürlich, etwas anderes als meine Freunde zu machen. Ich fühlte mich ohnehin immer anders. Aber ja, vielleicht ist es so.

Ricore: War es schwierig, Schwedisch zu lernen?

Espinosa: Nein. Ich bin zwar furchtbar schlecht in Rechtschreibung, aber ich bin ziemlich sprachbegabt.

Ricore: Planen Sie, irgendwann nach Amerika zu ziehen?

Espinosa: Nein, ich wohne immer noch in Stockholm. Ich bin verheiratet und habe da ein tolles Leben.

Ricore: Ihre Eltern sind aus Chile vor dem Pinochet-Regime geflohen. Wie hat Sie das beeinflusst?

Espinosa: Der politische Aspekt war immer präsent und es herrschte eine gewisse Paranoia, während ich aufwuchs. Während der Operation Condor wurden Chilenen getötet, die nach Europa geflohen waren. Als ich "Dame, König, As, Spion" gesehen habe, kam mir eine Sache sehr bekannt vor. Eine der Figuren steckt einen Zettel in die Tür, um gewarnt zu sein, wenn sie jemand geöffnet hat. Das hat mein Vater auch immer gemacht. Früher habe ich das für ein Spiel gehalten.
Senator Film Verleih
Easy Money
Ricore: Wie wichtig sind Ihnen Ihre chilenischen Wurzeln?

Espinosa: Ich bin sehr stolz auf meine Herkunft, aber ich bin leider nicht oft in Chile. Für die Chilenen bin ich ein Schwede.

Ricore: Es soll ein Remake von "Easy Money" geben. Wie finden Sie das?

Espinosa: Wenn Sie einen guten Regisseur finden, wäre das super. Ein guter Regisseur könnte eine Perspektive finden, die mir vielleicht verborgen war. Niels Arden Oplev sollte sich darüber freuen, dass David Fincher ein Remake von "Verblendung" gemacht hat. Einfach um zu sehen, wo die Unterschiede liegen. Wenn ein mieser Regisseur mit dem "Easy Money"-Remake betraut wird, dann habe ich daran überhaupt kein Interesse.

Ricore: Sie selbst würden es nicht machen?

Espinosa: Nein, schließlich habe ich den Film doch schon mal gemacht.

Ricore: Haben Sie schon ein neues Projekt?

Espinosa: Es wäre nicht schwierig, den nächsten Film zu machen. Aber ich habe mich noch nicht für das Drehbuch entschieden. Ich habe ein Jahr lang 16 Stunden am Tag gearbeitet. Also hatte ich noch keine Zeit, auf der Veranda zu sitzen und Drehbücher zu lesen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 22. Februar 2012
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Daniel Espinosa wird 1977 in Stockholm als Sohn chilenischer Flüchtlinge geboren. Die Eltern waren zuvor vor dem faschistischen Pinochet-Regime in ihrer Heimat geflüchtet. Espinosa wächst in Schweden und Afrika auf. Ab 2001 besucht er die Jens Lapidus' Roman "Easy Money" den erfolgreichsten schwedischen Film des Jahres. Anschließend nimmt er ein erstes Angebot aus Hollywood an. Obwohl es seine erste Regiearbeit außerhalb Schwedens ist, vertraut ihm das Studio ein Budget von 85 Millionen..
Safe House (Kinofilm)
Tobin Frost (Denzel Washington) gehörte einst zu den besten Daniel Espinosa einen konventionellen Thriller inszeniert. Trotz der talentierten Hauptdarsteller bleiben die Charaktere leider zu blass.
2024