Wild Bunch Germany
Johnny Depp in "Rum Diary"
Auf der Suche nach sich selbst
Interview: Individualist Johnny Depp
Johnny Depp gilt trotz des Erfolgs des "Fluch der Karibik"-Franchise in Hollywood als Individualist. Er ist sich nicht zu schade, auch in kleineren, persönlicheren Projekten mitzuwirken. Alles im Dienste der Kunst, der Poesie und der Suche nach der Nische. Anlässlich des Starts von "Rum Diary", in dem er nach "Fear and Loathing in Las Vegas" erneut in die Rolle seines verstorbenen Freundes Hunter S. Thompson schlüpft, hat sich Filmreporter.de mit dem 48-Jährigen unterhalten. Darin spricht Depp auch über Individualität, Originalität und sein Bild in der Öffentlichkeit.
erschienen am 2. 08. 2012
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Rum Diary
Ricore: Nach "Fear and Loathing in Las Vegas" spielen Sie in "The Rum Diary" erneut Hunter S. Thompson. Was reizt sie an dieser Persönlichkeit?

Johnny Depp: Er war einer meiner besten Freunde. Er war und ist immer noch bei mir und wird immer einen Platz in meinem Herzen haben. Ich kannte ihn sehr gut. Es war ein großes Geschenk, ihn wieder zu spielen. Es ist, als ob ich einen alten Freund noch mal besuche.

Ricore: Ist es wahr, dass Sie auf dem Set einem Ritual nachgingen, um Thompson zu ehren?

Depp: Ja, das ist wahr. Hunter war jeden Tag auf dem Set anwesend. Aus diesem Grund haben wir für ihn einen Stuhl mit dem Drehbuch und Dunhill-Zigaretten aufgestellt. Daneben stellten wir eine Flasche Chivas Regal. Jeden Morgen, bevor wir mit der Arbeit begannen, steckte jeder im Team einen Finger in die Flasche, um an das "Parfüm" von Hunter zu gelangen. Wir wurden alle süchtig danach. Das war für Hunter.

Ricore: Was hätte er zum Film gesagt?

Depp: Er würde zunächst eine sarkastische Bemerkung machen, dann etwas Poetisches sagen. Anschließend würde er alle Blumen aus dem Kübel herausreißen und sie den Ladies schenken.

Ricore: Was war Hunter S. Thompson für ein Mensch?

Depp: Er war ein sehr intelligenter und sensibler Mensch. Niemand konnte ihn kleinkriegen. So wie wir.

Ricore: Wie meinen Sie das?

Depp: Wenn man im Leben genug herumgeschleudert wird, entsteht etwas mit einem, das sich von dem wahren Ich unterscheidet. Das ist mir sicher auch schon passiert.
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Am Strand von Puerto Rico: Johnny Depp in "Rum Diary"
Ricore: Spielen Sie auf die Gerüchte über Sie an?

Depp: Genau. Glaubt man den Gerüchten, hatte ich schon mal Sex mit dem Papst. Außerdem bin ich der Nachfolger von Michael Jackson. Menschen erfinden Sachen, die nichts mit mir zu tun haben.

Ricore: Sie spuken im Film Feuer. Waren das wirklich Sie?

Depp: Ja, das war ich. Und ich sagen Ihnen etwas: Das habe ich nicht zum ersten Mal in meinem Leben gemacht.

Ricore: Erzählen Sie mehr.

Depp: Ich spukte schon mal in meiner Jugend Feuer. Dabei stand mein Kopf irgendwann in Flammen. Das ist wirklich wahr. Es fühlt sich seltsam an, wenn der eigene Kopf brennt. Man gerät in Panik und fängt an, wild herumzurennen. Das ist aber das Schlimmste, das man tun kann. Irgendwann kam mir ein Freund zur Hilfe und löschte mich.

Ricore: Was ist das größte Missverständnis über Hunter S. Thompson?

Depp: Niemand wusste, dass er ein sehr moralischer Mensch war. Er war ein echter Gentleman und zudem sehr sensibel.

Ricore: Fühlen auch Sie sich manchmal missverstanden?

Depp: Natürlich. So fühlt sich doch jeder irgendwann im Leben, oder? Es gibt sicher eine feste Meinung über mich da draußen. Aber kennen mich die Menschen wirklich? Meine Familie kennt mich und ich denke, Hunter S. Thompson kennt mich auch.
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Johnny Depp muss in "Rum Diary" in die Tasten hauen
Ricore: Welche Charaktereigenschaften haben Sie mit Thompson gemein?

Depp: Individualität, Originalität, Schönheit, poetischer Zorn - ich liebe alle diese Eigenschaften an ihm. Er hatte die Fähigkeit, Menschen zu beschreiben und die Gabe, selbst in der Scheiße etwas Gutes zu entdecken. Ich hoffe, dass ich diese Eigenschaften mit ihm teile.

Ricore: Was fasziniert Sie am gegenwärtigen Kino?

Depp: Was mich am Kino und am Leben besonders reizt, ist Poesie, Humor, Ernst sowie der Kampf um Kontrolle, Absurdität und Belanglosigkeit.

Ricore: Mögen Sie es, in Ihren Filmen in vergangene Zeiten einzutauchen?

Depp: Ja, ich liebe es. Wir sind alle seit geraumer Zeit ein bisschen wahnsinnig und das wird eine Weile so weitergehen. In eine vergangene Zeit einzutauchen betrachte ich daher als großes Geschenk.

Ricore: Wie wird sich die Welt einmal an Sie erinnern?

Depp: Das ist eine schwere Frage. Ich hoffe, ich finde eines Tages meinen eigenen Charakter - so wie Hunter diesen gefunden hat. Ich weiß nicht, ob mir das als Schauspieler jemals gelingen wird. Es gibt zu viele Stimmen und zu viele Charaktere in meinem Kopf. Vielleicht bin ich schizophren (lacht).

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 2. August 2012
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2024