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Christian Ulmen in "Einer wie Bruno"
Zwischen Verantwortung und Freiheit
Interview: Christian Ulmen kontrovers
"Es gibt bestimmte Regeln, an die man sich halten muss", betont Christian Ulmen in der Rolle des alleinerziehenden Vaters in "Einer wie Bruno" mit Nachdruck. Was der Schauspieler selbst von Regeln hält, erklärt er im Interview mit Filmreporter.de. Zudem spricht er über seine eigene Erziehung, das Leben als öffentliche Person und die Grenzen der Moral. Eines wird dabei deutlich: Wenn es um seine Arbeit als Schauspieler geht, macht Ulmen keine Kompromisse.
erschienen am 13. 04. 2012
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Christian Ulmen und Lola Dockhorn in "Einer wie Bruno"
Ricore: Haben Sie sich für die Interpretation Ihrer Figur in "Einer wie Bruno" besonders vorbereitet?

Christian Ulmen: Ich habe schon sehr viele behinderte Menschen kennengelernt. Zudem war das Drehbuch so dicht und gut, dass früh klar war, wohin die Reise geht und wie ich die Figur spielen sollte.

Ricore: Verspüren Sie bei der Verkörperung eines geistig behinderten Menschen eine besondere Verantwortung, um eine klischeehafte Darstellung zu vermeiden?

Ulmen: Die verspüre ich bei jeder Figur. Es ist egal, ob der Charakter komödiantisch oder ernst angelegt ist. Ich habe immer den Anspruch, dass er geglaubt wird.

Ricore: Wie viel von Ihrer eigenen Persönlichkeit spiegelt sich in der Figur des Bruno wider?

Ulmen: Bruno ist ein geistig behinderter Mann. Ich selbst halte mich für einen mental relativ gesunden Menschen, obwohl man das von sich selber ja nie mit endgültiger Gewissheit sagen kann (lacht). Wobei Bruno selbst irgendwann merkt, dass er nicht wie die anderen ist und darunter leidet. Ich hatte diese Erkenntnis in der Form bis jetzt noch nicht und bilde mir deshalb ein, dass von Bruno nichts in mir steckt. Ich habe ihn aber gern.

Ricore: Es gab doch sicherlich auch in Ihrem Leben Situationen, in denen Sie sich anders als der vermeintliche Durchschnittsmensch gefühlt haben.

Ulmen: Absolut. Aber Bruno ist geistig krank, ich leide höchstens an Neurosen. Mich verunsichert etwa immer ein wenig, wenn jemand auf der Straße ein Foto mit mir machen will. Weil es mir unangenehm ist. Die Höflichkeit gebietet, es doch zu tun, schließlich ist der Foto-Wunsch ja eine ganz nette Geste. Ich taumele dann zwischen Distanz und Freundlichkeit.

Ricore: Sie haben sich also nach wie vor nicht daran gewöhnen können, auf der Straße erkannt zu werden.

Ulmen: Ich habe mich daran gewöhnt, dass es mich grundsätzlich irritiert. Manchmal finde ich es voll okay. Der große Thomas Gottschalk beherrscht das brillant. Den habe ich vor kurzem im Flugzeug gesehen. Als er in der Empfangshalle auf den Koffer warten musste und natürlich von dutzenden Leuten angesprochen wurde, hat er sich aufrichtig mit jedem unterhalten und ich hatte wirklich nicht das Gefühl, dass ihm das unangenehm war oder er den Leuten da was vorspielt. Im Gegenteil. Das hat mir imponiert. Es ist eben eine Frage des Naturell. Ich bevorzuge es, für mich zu sein, wenn ich unterwegs bin. Nicht aus Ignoranz, sondern weil ich eher vom Schlage Tagträumer bin.
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Christian Ulmen in "Einer wie Bruno"
Ricore: Am Anfang des Films sagt Bruno zu seiner Tochter: 'Es gibt bestimmte Regeln, an die man sich halten muss.' Auf welche Regeln legen Sie bei der Erziehung besonderen Wert?

Ulmen: Das Wort 'Regel' ist mir nicht sympathisch. Ich habe Familien erlebt, bei denen Regelwerke gebetsmühlenartig abgefragt und die Einhaltung militant überwacht wurde. Die Regel nur der Regel wegen. Deshalb finde ich dieses Wort ermüdend. Wenn ich darauf bestehe, dass mein Sohn sich nicht auf die Fensterbank im fünften Stock setzt, während das Fenster offen ist, dann bete ich nicht die Fensterbank-Regeln runter, sondern erkläre ihm, dass er da runterfallen könnte - was für alle ziemlich doof wäre [lacht]. Ich bin für Konsequenz und ja, es gibt Regeln, aber ich erlebe es oft, dass Eltern sie runterrattern, ohne zu erklären, wofür sie da sind.

Ricore: Haben Ihre Eltern Ihnen die Regeln erklärt, an die Sie sich als Kind halten mussten?

Ulmen: Ja. Meine Eltern haben eigentlich immer alles erklärt. Ich war zwar oft nicht einverstanden, weil mir die Begründung nicht gepasst hat. Aber es hat keine stumpfe Hausordnung gegeben, an die man sich halten musste.

Ricore: Wie viel Angst haben Sie vor der Pubertät Ihrer Kinder, wenn Sie an Ihre eigene Pubertät denken?

Ulmen: Eigentlich keine. Ich finde, dass ich ein sehr guter Pubertierender war [lacht]. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass meine Kinder irgendwann mal Musik hören, bei der ich sagen würde: "Was hörst du denn da für einen Schrott?" Aber das konnten sich meine Eltern, glaube ich, auch nicht vorstellen und dann ist es doch passiert, obwohl ich nicht mal DJ Ötzi hörte. Insofern schwelge ich noch in Optimismus, obwohl ich weiß, dass er wahrscheinlich gar nicht so berechtigt ist.

Ricore: Sehen Sie der Geburt Ihres zweiten Kindes gelassener entgegen?

Ulmen: Ich höre ganz oft von Bekannten, dass sie beim ersten Kind das Wasser noch abgekocht, beim zweiten Kind Vittel gekauft haben und dass es beim dritten dann egal war, was es trinkt [lacht].
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Lola Dockhorn und Christian Ulmen in "Einer wie Bruno"
Ricore: Wie haben Sie den Moment empfunden, als Sie nach der Geburt ihres ersten Kindes zum ersten Mal Ihr Baby gesehen haben?

Ulmen: Genauso wie ihn die allermeisten Väter beschreiben. Ich kann dem nichts Neues oder Originelles hinzufügen. Das ist wie es in den Klischees beschrieben wird.

Ricore: Wie schwer ist es für Sie als öffentliche Person, Ihre Familie und Ihr Privatleben zu schützen?

Ulmen: Eigentlich ist es einfach, wenn man die unangenehmen Momente erträgt, in denen ich dem netten Interviewer sagen muss, dass ich über seine Frage nicht reden will, egal wie harmlos sie anmutet. Konsequenz hilft, wie man im Falle Stefan Raabs sehen kann, der es geschafft hat, dass man null über sein Familienleben weiß. Er verklagt ja alle, die auch nur schreiben, dass er gerne Mettbrötchen essen würde. Das kann ich nachvollziehen, denn wenn du eine Tür zum Privaten öffnest, ist es schwierig, sie wieder zu schließen. Steht deine Ehefrau aber auch in der Öffentlichkeit, ist das noch schwieriger. Vor kurzem haben Reporter herausgefunden - noch bevor wir kommuniziert hatten, dass meine Frau schwanger ist - wo ihr Frauenarzt sitzt und wann sie dort einen Termin hat. Wir sind dann vor der Praxis fotografiert worden. Da wird es gruselig, weil man sich observiert fühlt. Dem kann man nur Einhalt gebieten, indem man nicht einmal das Geschlecht des Nachwuchses verrät.

Ricore: Sie breiten Ihr Privatleben zwar nicht in der Öffentlichkeit aus, haben aber beispielsweise vor kurzem mit Ihrer Frau in der Ellmauer Winterlandschaft für Fotografen posiert. Muss man das Spiel der Medien also doch ein Stück weit mitspielen?

Ulmen: Nein, man muss nichts mitspielen und es gibt keinen Widerspruch. Da fand ein offizielles Autorennen mit Livekonzert statt, meine Frau drehte dort für eine Fernsehsendung und ich war mit Striezel Stuck zu einer Testfahrt vor Publikum verabredet. Sozusagen das Gegenteil eines Termins beim Frauenarzt.

Ricore: Inwiefern spielt Religion eine Rolle in Ihrem Leben? Sie waren ja mal für Theologie eingeschrieben.

Ulmen: Ja, aber nur, damit meine Eltern mich in Ruhe ließen. Die konnten nicht ertragen, dass ich mich nach dem Abitur alleine und ohne Ausbildung dem Fernsehen nähern wollte. Ich sollte etwas "richtiges" machen. Weil Theologie keinen NC hat, schrieb ich mich da ein und hatte meine Ruhe. Zwei Wochen später ging ich zu MTV nach London. Ansonsten bin ich Vollblut-Agnostiker in Sachen Religion.

Ricore: Wie war es für Sie, mit 20 Jahren nach London zu ziehen, um für MTV zu arbeiten?

Ulmen: Da kam alles zusammen: zum ersten Mal alleine wohnen, zum ersten Mal selber Glühbirnen wechseln und Besteck kaufen. Und all das in einem anderen Land. Das war maximal mögliche Freiheit. Dazu nicht fassen können, zu MTV zu gehören. Das war damals ja eine Art jugendkulturelle Kirche. Auf einmal teilte ich einen Maskenraum mit Carolyn Lillipally und Toby Amies. Ich erwartete jeden Tag, für diese Überdosis glücklicher Fügung bitter bestraft zu werden. Das blieb aber aus.
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Einer wie Bruno
Ricore: Was hat Sie daran gereizt, Schauspieler zu werden?

Ulmen: Eigentlich war es die purere Umsetzung dessen, was ich bis dato eh schon getan hatte, nämlich eine Rolle zu spielen. Denn auch der Moderator ist eine Figur, die man sich ausdenkt und performt. Das Problem mit der Moderatorenfigur ist, dass man in direktem Kontakt mit dem Publikum tritt. Der Fernsehzuschauer Zuhause denkt, man sei ein Kumpel. Das ist so, wie ich es eben bei Gottschalk erzählt habe. Die Leute gehen auf ihn zu, weil sie das Gefühl haben, dass sie ihn jeden Abend in ihr Wohnzimmer lassen und kennen. Bei einem Schauspieler ist klar, dass der eine Rolle spielt. Ein Schauspieler guckt nicht in die Kamera. Der Zuschauer beobachtet ihn, nimmt Teil, aber es entsteht nicht dieses Kumpel-Ding. In der Folge werden Schauspieler auf der Straße etwas distanzierter angesprochen als Moderatoren oder Comedians.

Ricore: Nach Ihrer Rolle in "Herr Lehmann" haben Sie eine positive Resonanz bekommen. Wie war das für Sie?

Ulmen: Das hat mich gefreut, weil ich wusste, dass ich in diesem Fach bleiben könnte und nicht mehr moderieren muss. Ich war dessen nämlich etwas überdrüssig zu dem Zeitpunkt, als ich den ersten Film machte.

Ricore: Wie wichtig ist Ihnen Anerkennung im Allgemeinen?

Ulmen: Es macht keinen Sinn, einen Film zu machen, den sich keiner anguckt. Es müssen aber auch nicht gleich fünf Millionen Zuschauer sein. Ich finde es auch ganz toll, wenn 70.000 Menschen begeistert sind. Der Grad der Begeisterung kann eine niedrige Zuschauerzahl kompensieren. Insofern kann man das nicht an Zahlen festmachen. Ich finde es auch toll, wenn Kontroversen entstehen. Bei " Mein neuer Freund" habe ich es sehr gemocht, in die Debatte einzutauchen, ob das, was wir da machen, unmoralisch sei oder nicht.

Ricore: Demnach ist es Ihnen als Künstler wichtig, Grenzen auszuloten.

Ulmen: Das klingt sehr bedeutungsschwanger. Aber es macht mir Spaß, wenn Dinge kontrovers sind.

Ricore: Machen Sie sich im Vorhinein Gedanken über die moralische Dimension Ihrer Arbeit, gerade bei einem Format wie "Mein neuer Freund"?

Ulmen: Eigentlich steht die Spielanordnung im Vordergrund. Wenn etwas meiner persönlichen Moral widersprechen würde, würde ich es lassen. Natürlich haben wir uns auch schon beim Entwickeln des Konzepts darüber unterhalten, ob wir das dürfen und jemanden dabei quälen. Und wir haben gesagt: 'Ja, wir quälen jemanden, aber wir dürfen das auch.' [lacht]
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Christian Ulmen und Lola Dockhorn in "Einer wie Bruno"
Ricore: Warum?

Ulmen: Manchmal ist es gut, moralische Grenzen zu übertreten, damit sie überhaupt wieder sichtbar sind. Zudem haben wir nichts Unredliches getan. Das Spiel war fair, der Kandidat wusste, worauf er sich einlässt. Solange die Spielregeln klar sind und Fairness herrscht, ist nichts übermäßig Unmoralisches im Gange.

Ricore: Nichtsdestotrotz war eine Kandidatin mal so entnervt von Ihrer Figur, dass sie weinen musste.

Ulmen: Fußballspieler weinen auch manchmal, wenn sie einen Elfmeter verschossen haben. Das war ein Spiel, bei dem es wie beim Fußball die Anstrengung des Mitstreiters gibt, es zu schaffen. Und wenn man es nicht schafft, fließen Tränen. In dem Moment hab ich das, ehrlich gesagt, nicht so richtig gemerkt, da ich eine Rolle spielte und gar keinen Platz im Kopf hatte, um das zu registrieren. Das hab ich erst, als ich danach die Folge sah und dann ging es mir so wie allen Zuschauern: Ich hatte Mitleid mit dem Kandidaten.

Ricore: Der Fairness halber muss man aber sagen, dass im Fußball Profis gegeneinander antreten. Bei Ihrem Spiel waren Sie der Profi und der Kandidat nicht.

Ulmen: Aber wie sieht diese Profession aus? Und welchen Vorteil verschafft sie mir? Es waren keine Kameras zu sehen. Ich war zwar nicht ich, das stimmt. Ich hatte sozusagen den Schutz eines Kostüms. Ich habe mich nicht selbst beschädigt, sondern habe eine Figur gespielt, die sich möglicherweise selbst beschädigt. Aber ich finde, dass das der einzige Schutz ist. Ansonsten musste ich auch alles aushalten. Wenn mir einer aufs Maul gehauen hätte, hätte ich den Schmerz unter der Maske gespürt. Alle schamhaften und peinlichen Momente musste ich genauso aushalten wie der Kandidat. Medienprofi zu sein, hilft einem da nicht weiter.

Ricore: Welche Rolle steht als nächstes an?

Ulmen: Im Herbst kommt der Film "Wer's glaubt wird seelig" raus. Es geht um ein Skigebiet, in dem es plötzlich nicht mehr schneit. Die Leute überlegen sich, die verstorbene Schwiegermutter durch ein Fake-Wunder heilig zu sprechen, damit das Gebiet wenigstens als Wallfahrtsort Kohle macht.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 13. April 2012
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Einer wie Bruno (Kinofilm)
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