Universum Film
Ulrich Noethen in "Sams im Glück"
"Vorzulesen ist nicht die Kunst"
Interview: Herausforderungen für Ulrich Noethen
In "Sams im Glück" verkörpert Ulrich Noethen bereits zum dritten Mal die Romanfigur Herr Taschenbier. Dieses Mal verwandelt er sich selbst in ein Sams und darf so richtig die Sau rauslassen. Im Gespräch mit Filmreporter.de gibt sich Noethen betont zurückhaltend. Mit sanfter Stimme erläutert der Schauspieler, weshalb er einen weiteren "Sams"-Film für unwahrscheinlich hält und was er an Hörbüchern sowie Schriftsteller Hans Fallada schrecklich findet. Außerdem erfahren wir, welche Gefahr eine Schauspielschule mit sich bringt.
erschienen am 30. 03. 2012
Universum Film
Sams im Glück
Ricore: Ihre Darstellung von Herrn Taschenbier erinnert an Louis De Funès und die Marx Brothers. Dachten Sie bei der Konzeption Ihrer Figur an diese Komiker?

Ulrich Noethen: Diese Vorbilder habe ich nicht im Kopf gehabt. Wenn überhaupt, dann unbewusst, da ich deren Filme früher gesehen habe. Ich habe stattdessen darüber nachgedacht, was Samsigkeit bedeutet. Als wir alle zusammen das Drehbuch gelesen haben, wollte Regisseur Peter Gersina, dass jeder für sich eine Liste erstellt, in der er samsige Elemente seines Charakters aufschreibt. Darüber hat man dann kurz gesprochen und anschließend die Figur den Besprechungen entsprechend umgesetzt.

Ricore: Wie lange dauerte es, bis man Sie davon überzeugt hatte, erneut Herrn Taschenbier zu verkörpern?

Noethen: Man musste mich nicht prügeln. Ich habe das gerne gemacht. Schließlich macht es den meisten Schauspielern Spaß, am Set mal so richtig die Sau rauslassen zu können. So etwas ist leider selten gefragt. Ganz im Gegenteil. Meist wird man dazu angehalten diesen ganzen Unsinn zu lassen, selbst wenn es die Figur hergeben würde. Meine verrückte Darstellung des Herrn Taschenbier funktioniert natürlich auch nur, weil es dazu parallel noch den normalen Herrn Taschenbier im "Dr. Jekyll und Mr. Hyde"-Stil gibt. Ansonsten wäre meine Figur unerträglich.

Ricore: Wie findet Ihre Tochter, dass Sie am Set mal so richtig die Sau rausgelassen haben?

Noethen: Ich habe ihr ein bisschen von meiner Rolle erzählt, woraufhin sie fragte, wann der Film im Kino erscheint. Daraufhin sagte ich: '29. März 2012'. Das fand sie ziemlich doof und meinte, ob ich nicht noch einen Monat hätte warten können, weil sie derzeit Abitur schreibe und mit den ganzen Peinlichkeiten jetzt nicht konfrontiert werden möchte [lacht].

Ricore: Wird Ihre Tochter in der Schule oft auf Ihren berühmten Vater angesprochen?

Noethen: Nein. Sie hat schon seit der Grundschule einen sehr klugen Umgang damit gefunden.
ARD Degeto
Ulrich Noethen spricht Hörbuch von "Krieg und Frieden" ein
Ricore: Ist sie selbst so dezent damit umgegangen?

Noethen: Wir mussten überhaupt nichts machen. Ich glaube ganz am Anfang, als der erste "Sams"-Film erschien und die Kinder mitbekamen, dass sie einen recht populären Vater hat, merkte meine Tochter, dass man dann leider nur teilweise positive Rückmeldungen bekommt. Damit hatte sich alles erledigt.

Ricore: Haben Sie das Gefühl, dass das Sams nach Teil drei noch weitergehen könnte?

Noethen: Den direkten Wunsch für einen vierten Film habe ich nicht. Dazu muss man folgendes sagen: Die simple Grundkonstellation des ersten Filmes - ein zurückhaltender Mann trifft auf sein alter Ego und fordert ihn auf, seine Wünsche zu leben - wird es nicht mehr geben können. Im zweiten Film gab es deshalb den Sohn von Herr Taschenbier. Das gesamte Gefüge wurde dadurch total verändert. In "Sams im Glück" ermöglicht nun die neue Samswelt an den dramaturgischen Schrauben ein wenig drehen zu können. Für einen vierten Teil ist es deshalb schwierig etwas Plausibles zu finden, damit der Film nicht ein einziger Abklatsch des vorherigen Teils ist. Grundsätzlich bin ich aber schon dafür offen, noch ein weiteres Mal Herrn Taschenbier zu spielen.

Ricore: Wie kam es zu dem Hörbuchprojekt "Krieg und Frieden"?

Noethen: Wir für mich sind Hörbücher zu sprechen oder die Arbeit im Radio beziehungsweise ganz allgemein vor dem Mikrofon ein wichtiger Teil meines Arbeitslebens. Mir macht das großen Spaß. Es ist eine andere Arbeit, als das Schauspielern: Konzentriert, nur mit Text, Mikrofon, Stimme und Ruhe. Zu "Krieg und Frieden" kam es, weil ich zuvor "Vom Winde verweht" eingesprochen hatte und das Projekt damals nur aus persönlichem Ehrgeiz und Spaß annahm. Weil das Lesen des dicken Wälzers einigermaßen gut gegangen ist, kamen die Verantwortlichen dann wegen "Krieg und Frieden" auf mich zu.

Ricore: Hören Sie auch privat Hörbücher?

Noethen: Nein, ehrlich gesagt nicht oft. Manchmal höre ich es mir schon gerne an. Aber ich finde, dass das Zuhören eine sehr subjektive Sache ist. Man muss eine Stimme mögen und zu ihr Vertrauen haben. Vor allem aber darauf, wie ein Vorleser die jeweilige Figur interpretiert. Wenn mir Dinge überdeutlich präsentiert werden, kann ich überhaupt nichts damit anfangen. Ich denke dann: "Danke, so schlau bin ich auch. Ich muss mir nicht alles vorkauen lassen!" Manche Stimmen sind wiederum sehr sympathisch. Einer meiner Lieblingssprecher ist beispielsweise Hans Korte. Für mich kommt es immer darauf an, dass ich das, was da gesprochen wird, verstehe, ohne dass mir zu viel vorgegeben wird. Ich muss genügend Platz für Fantasie haben.
Universum Film
ChrisTine Urspruch und Ulrich Noethen in "Sams im Glück"
Ricore: Wie lange bereitet man sich auf das Einlesen eines Hörbuchs vor?

Noethen: Ich habe zugegebenermaßen ein gewisses Talent. Aber natürlich muss ich trotzdem genau darauf achten, ob alles passt und immer mal wieder Seiten zurückgehen, um nochmal zu überprüfen was da überhaupt genau steht. Vorzulesen ist aber nicht die Kunst. Den eigenen Gedanken mit der Geschichte in Einklang zu bringen auch nicht. Aber genau drauf achten muss man trotzdem. Eine Zeit lang habe ich immer gesagt, dass es wichtig ist nicht zu vergessen, dass das Vorlesen wie Erzähltes rüberkommt und unmittelbar wirken sollte. Diesen Anspruch habe ich aber mittlerweile nicht mehr, weil ich weiß wie unglaublich schwer es ist, dieses Vorhaben einzulösen. Denn letztlich ist Lesen nur Lesen. Gerade bei längeren Texten, schwingt man sich in einen gewissen Modus ein, der nicht mehr natürlich wirkt und den direkten Ton des erstmalig Erzählten verliert.

Ricore: Kann man jedes Buch zu einem guten Hörbuch machen?

Noethen: Nein. Aber wirkliche Ausschlusskriterien kann ich Ihnen nicht nennen. Zuletzt war beispielsweise "Jeder stirbt für sich allein" von Fallada als Hörbuch extrem erfolgreich. Mir hingegen hat es nicht sonderlich gefallen.

Ricore: Warum tun Sie sich mit Hans Fallada schwer?

Noethen: Es liegt nicht an der Stimme, sondern an der Art des Autors zu schreiben. Ich spüre in seinen Texten eine gewisse Sprunghaftigkeit, die es mir schwer macht, die ganze Zeit mitzugehen und eine Haltung dazu zu finden.

Ricore: Können Sie demnach erst dann einen Text gut lesen, wenn Sie Ihre Haltung zum Stoff geklärt haben?

Noethen: Eine wirklich klare Haltung habe ich nie. Aber es gibt ja auch noch immer den Regisseur, der eine klare Meinung hat, wie man einen Text sprechen soll.
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Ulrich Noethen in "Sams im Glück"
Ricore: Wie schnell fassen Sie zu einem Regisseur Vertrauen?

Noethen: Es ist eine praktische Sache. Wenn ich das erste Mal mit einem Regisseur zusammenarbeite, ist es interessant ihn zu lesen und zu hinterfragen, was er mit dem meint was er macht. Man lernt bereits auf der Schauspielschule, dass man viel besser lernt wie jemand Regie führt, wenn ich gucke wie er es mit den Kollegen macht und nicht mit einem selbst. Durch diese Beobachtungen lerne ich gut, wie Kommunikation beim Regisseur läuft, wo seine Unzufriedenheiten sind, wo seine Begeisterung ist. Dieses 'sich kennenlernen' ist immer ein spannender Prozess.

Ricore: Und wenn Sie jemanden wie Dominik Graf wiedertreffen, mit dem Sie schon viermal zusammen gearbeitet haben?

Noethen: Dann baue ich natürlich auf den Erfahrungen auf, die man zusammen gemacht hat. Trotzdem ist es immer wieder ein neues Projekt mit neuen Unsicherheiten. "Das unsichtbare Mädchen" war für mich etwa eine große Herausforderung. Dominik hat da ein ziemliches Tempo vorgelegt. Immer wenn ich sagte: "Nun können wir anfangen eine Szene zu probieren", hat er seinen Film gedreht.

Ricore: Apropos unsichtbar. Inwieweit haben Sie bei der Konzeption Ihrer Rolle in "Die Unsichtbare" auf Ihre persönlichen Erfahrungen am Theater zurückgegriffen?

Noethen: Ich wollte die Rolle zuerst gar nicht spielen. Wenn man das Drehbuch liest, denkt man: "Das sind schwere Vorwürfe. So sind die Menschen doch gar nicht!". Doch nach meinem Gespräch mit Regisseur Christian Schwochow und nachdem ich mir die Mühe gemacht habe ein wenig in meinen Erinnerungen zu kramen, ist mir klar geworden, dass es solche Regisseure natürlich doch gibt. Vielleicht nicht 'den' Regisseur, aber all diese Facetten. Vor allem das Machtverhältnis wird in der Theaterbranche immer wieder ausgenutzt - auch in sexueller Hinsicht.

Ricore: Was sind Ihre konkreten Erinnerungen ans Theater?

Noethen: Konkret sage ich da nichts zu. Aber es fängt ja schon in den Schauspielschulen an, dass man sich beispielsweise in den Schülern täuscht. Man muss ungemein vorsichtig sein, da ich als Lehrer nicht weiß, ob ich es in Wirklichkeit mit einem sehr starken oder sehr labilen Typen zu tun habe, bei dem die Gefahr besteht, wenn er sich jetzt in irgendetwas hineinsteigert, über die Kante geht. So etwas habe ich bereits miterlebt. Das Ganze ist letztlich ein Geben und Nehmen und geschieht im gegenseitigen Einverständnis. Natürlich wissen wir, dass derjenige, der das alles mit sich machen lässt, die Hoffnung hat, dass aus dieser einen Rolle etwas ganz großartiges für die persönliche Karriere entsteht.

Ricore: Wie groß ist die Gefahr, als Schauspieler in eine Schublade geschoben zu werden?

Noethen: Die Gefahr besteht natürlich immer. Ich versuche immer ein wenig von allem zu machen. Hätte ich den Anspruch nur Feuilleton-Filme zu drehen, würde die Luft schon sehr dünn. Ich kann nicht darauf warten, dass die Journalisten sagen, dass Kinderfilme Kunst seien. Die haben halt ihre Kategorien. Ich glaube an den mündigen, oder auch den ganz blöden Zuschauer. Wenn das, was ich drehe, wirklich so bescheuert ist, dass es den Zuschauer verdummt und diese es trotzdem sehen, ist es ihre Wahl. Ich kann es eh nicht ändern.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 30. März 2012
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2024