Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Emmanuel Mouret
Frankreich statt Hollywood
Interview: Emmanuel Mourets Verlangen
Regisseur Emmanuel Mouret mag Gewohnheiten. In seinen Filmen geht es meist um die Liebe, seine Geschichten sind in verschachtelte Episoden gepackt. In "Die Kunst zu lieben" finden sich Darstellerinnen wie Frédérique Bel und Judith Godrèche, die in früheren Filmen von Mouret zu sehen waren. Weshalb der Filmemacher für diesen Film erstmals mit dem "Ziemlich beste Freunde"-Darsteller François Cluzet zusammenarbeiten wollte, erklärt der nachdenkliche Franzose im Gespräch mit Filmreporter.de. Darin erläutert er auch, weshalb man auch mal fremdgehen sollte und wie ihn Jean-Luc Godard zum Drehbuchschreiben brachte.
erschienen am 21. 05. 2012
Camino Filmverleih
Die Kunst zu lieben
Ricore Text: Weshalb erzählen Sie "Die Kunst zu lieben" in Episoden?

Emmanuel Mouret: Ich wollte nicht, dass meine Geschichte an einen klassischen Film erinnert. Ich wollte Berichte aus den Feuilletons verwenden, die ein besonderes Charisma haben. Mir war es wichtig, dass die Episoden auch isoliert funktionieren und wenig verbunden sind. Die Figuren sollten dadurch möglichst unabhängig voneinander agieren können. Erst der Zuschauer soll zwischen den Figuren eine Verbindung herstellen.

Ricore: Welche Episode gefällt Ihnen am besten?

Mouret: Ich habe versucht alle Episoden in "Die Kunst zu lieben" einzubringen, die mir gefallen. Andere Nebengeschichten, die ich zeitweise beim Schreiben des Drehbuchs im Kopf hatte, habe ich weggelassen, weil ich dachte, dass sie nicht mehr passen.

Ricore: Welche Episoden haben Sie herausgenommen?

Mouret: Ehrlich gesagt kann ich mich nicht mehr so gut daran erinnern. Zum Teil lag es daran, dass manche Geschichten zu lang waren, oder ich mir sie für andere Filme aufheben wollte.

Ricore: Warum wollten Sie mit François Cluzet zusammenarbeiten?

Mouret: François ist ein Schauspieler den ich seit sehr langer Zeit mag. An ihm gefällt mir besonders, dass er auf der einen Seite sehr ernst und misstrauisch aussieht, aber auf der anderen Seite zugleich sehr lustig ist.

Ricore: Wie wichtig ist es für Sie, dass Sie in Ihren Filmen stets als Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler fungieren?

Mouret: Das ist mir sehr wichtig, da ich dadurch meine Ideen am besten verwirklichen kann.
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François Cluzet, Frédérique Bel in "Die Kunst zu lieben"
Ricore: Was liegt Ihnen am nächsten: Schreiben, Inszenieren oder Schauspielern?

Mouret: Definitiv Schreiben und Regie führen.

Ricore: Welche Rolle spielt Musik bei Ihrer Konzeption eines Films?

Mouret: [Überlegt lange] In "Die Kunst zu lieben" war Musik sehr wichtig, weil sie auch die Eingangsepisode untermalt. Musik ist in diesem Fall eine Art Off-Stimme, die den Zuschauer begleitet und bei ihm die entscheidenden Gefühle hervorruft.

Ricore: Könnte man in diesem Zusammenhang die erste Episode als Liebeserklärung an die Musik verstehen?

Mouret: Nein. Soweit würde ich nicht gehen. Ich verstehe die erste Episode eher als Märchen, um die Musik und das Kino zu charakterisieren.

Ricore: Stimmt es, dass Sie mit dem Drehbuchschreiben deshalb angefangen haben, weil Sie mal hörten, dass angeblich nur Amerikaner tolle Geschichten schreiben könnten?

Mouret: Als ich jung war, habe ich gehört, wie Jean-Luc Godard sagte, dass nur Amerikaner Geschichten erzählen könnten. Daraufhin habe ich angefangen amerikanische Drehbücher zu lesen und selber welche zu schreiben. Als Trotzreaktion zu Godards Bemerkung würde ich das aber nicht sehen.

Ricore: Unter welchen Umständen könnten Sie sich vorstellen einen nicht-französischen Stoff zu realisieren?

Mouret: Im Moment bin ich sehr glücklich damit, meine Filme auf Französisch zu schreiben und französisch produzieren zu können. Etwas anderes suche ich derzeit nicht. Aber irgendwann in der Zukunft würde es mich schon freuen, mal einen Film im Ausland zu drehen.
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Frédérique Bel und François Cluzet in "Die Kunst zu lieben"
Ricore: Würden auch mal das romantische Fach verlassen?

Mouret: Liebesfilme sind aus mehreren Gründen mein bevorzugtes Genre. In einem Action-Film kann ich zum Beispiel nur mit wenigen Schauspielern arbeiten. Außerdem treten in Liebesfilmen mehr Spannungen auf. Der Zuschauer fragt sich, ob es zwischen dem Paar klappen wird, oder er drückt die Daumen, dass alles besser wird. Außerdem gefällt mir an romantischen Komödien, dass man sich dort verstärkt Fragen über die Bräuche und Probleme einer Gesellschaft stellen kann. Moralische Fragen in der Gesellschaft wie das Verlangen, kommen dadurch wesentlich besser zum Ausdruck. Das geht in anderen Genres nicht so gut.

Ricore: Welche gesellschaftlichen Fragen beschäftigen Sie?

Mouret: Allgemeine Gesellschaftsprobleme interessieren mich nicht so sehr. Ich konzentriere mich lieber auf die Psyche des Menschen. Bei mir sind Menschen immer zwischen zwei Verlangen hin und her gerissen. Zum Beispiel, dass man sich zu einer bestimmen Liebe hingezogen fühlt, aber nicht weiß, ob man sie eingehen soll, weil sie die eigenen Position in der Gesellschaft schwächen könnte. Auch finde ich interessant, dass die Liebe oftmals für andere Dinge blind macht und diese deshalb links liegen lässt.

Ricore: Mit welchem Verlangen hatten Sie bisher zu kämpfen?

Mouret: Natürlich bin ich ein Mensch, der von Verlangen heimgesucht wird. Anderen Leuten geht das auch so. Ganz so extrem wie in Filmen, zum Beispiel beim Thema Fremdgehen, ist es im Leben meist nicht.

Ricore: Sind Sie schon mal fremdgegangen oder betrogen worden?

Mouret: Es gibt sowohl in Filmen, als auch im echten Leben viele Menschen, die das Verlangen nach einer außerehelichen Beziehung haben und das vielleicht sogar ausleben. Oft ist es aber so, dass gerade so Paare wieder näher zusammenkommen. In Frankreich gibt es ein Sprichwort, das heißt: "Man muss ein wenig verrückt gewesen sein, um anständig werden zu können." Darauf bezogen würde ich sagen, dass man ein wenig untreu gewesen sein muss, um treu sein zu können.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 21. Mai 2012
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