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David Cronenberg auf der Premiere von "Eine dunkle Begierde"
'Twilight-Fans sind kein Nachteil'
Interview: David Cronenberg über Robert Pattinson
Mit Body-Horror-Schockern wie "Die Fliege" oder "Scanners - Ihre Gedanken können töten" etablierte sich David Cronenberg in den 1970ern und 80ern als Genre-Regisseur. Mit "Tödliche Versprechen" und zuletzt "Eine dunkle Begierde" machte er das breite Publikum auf sich aufmerksam. Nach Viggo Mortensen besetzte er mit Robert Pattinson in "Cosmopolis" erneut einen Schauspieler, der seinen Ruhm einer Fantasy-Saga verdankt. Auch über diese erklärungsbedürftige Entscheidung spricht der Kanadier mit Filmreporter.de.
erschienen am 6. 07. 2012
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Cosmopolis
Ricore: Lassen Sie uns über den Moment sprechen, als Sie entschieden, das Buch "Cosmopolis" zu verfilmen.

David Cronenberg: Produzent Paulo Branco kam nach Toronto. Ich hatte von ihm gehört, ihn aber noch nie getroffen. Er hatte die Rechte an Don DeLillos Buch, das er mir gab. Er sagte: ich glaube, du würdest das gerne verfilmen. Das sagen Leute oft zu mir und meistens liegen sie damit falsch. Mir werden dauernd Filme über Satan und Dämonen vorgeschlagen. Aber ich las das Buch und sagte zwei Tage später zu.

Ricore: Der Film entstand unglaublich schnell.

Cronenberg: Ja. Ich schrieb das Skript in nur sechs Tagen. Das habe ich zuvor noch nie gemacht. Das Skript habe ich geschrieben, bevor ich "Eine dunkle Begierde" gedreht habe. Paulo konnte den Film in dieser Zeit vorbereiten. Ich konnte in Toronto mit einer Crew arbeiten, die ich schon lange kenne. Also waren wir sehr effizient. Manche Sachen dauern ewig und bei anderen klappt einfach alles auf Anhieb. So war das hier. Warum das so ist, weiß ich auch nicht.

Ricore: Wie viele Drehtage haben Sie gebraucht?

Cronenberg: Wir hätten 40 Drehtage haben können, brauchten dann aber nur 35.

Ricore: Haben Sie chronologisch gedreht?

Cronenberg: Das meiste, ja. Manchmal haben sich Verschiebungen ergeben aber gerade die Szenen in der Limousine wurden ziemlich chronologisch gefilmt. Das hilft ungemein. Leider kann man das sehr selten machen. Das ging nur, weil wir überwiegend im Studio gedreht haben. Man kann die Charaktere sukzessive entwickeln. Das hilft vor allem den Schauspielern. Auch "Eine dunkle Begierde" war ein Dreh, bei dem alles glatt gegangen ist. Da haben wir das Kontingent an Drehtagen auch nicht ausgeschöpft. Das liegt wohl vor allem an der Art, wie ich heutzutage drehe. Ich weiß jetzt sehr genau, was ich brauche und was nicht.

Ricore: Wie sind Sie ausgerechnet auf Robert Pattinson gekommen?

Cronenberg: Es ist ähnlich wie bei Viggo Mortensen und "Der Herr der Ringe". Diese Filme haben ihn zum Star gemacht aber er ist trotzdem ein ernstzunehmender Schauspieler. Dank "Herr der Ringe" ist Viggo ein Schauspieler, der Filme finanziert bekommt. Und das hilft wiederum mir. Also sage ich: danke, "Herr der Ringe", dass du mir Viggo Mortensen gegeben hast. Und das gleiche gilt für "Twilight" und Robert Pattinson. Vor "Twilight" hätte ich ihn nicht als Hauptfigur besetzen können, weil niemand das Projekt finanziert hätte. Auch die "Twilight"-Fans sind kein Nachteil. Manche werden sich "Cosmopolis" wegen Robert angucken. Auf der Premiere in Portugal waren 1.000 kreischende Mädchen am Roten Teppich. Alle hatten das Buch "Cosmopolis" dabei, um es unterschreiben zu lassen. Es gab Fan-Webseiten und großes Interesse an dem Film.
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David Cronenberg in Berlin
Ricore: Sollte nicht Colin Farrell ursprünglich die Hauptrolle spielen?

Cronenberg: Nein. Colin kam zu mir und meinte, er wolle mit mir arbeiten. Ich mochte ihn auch und erzählte ihm von "Cosmopolis". Wir sprachen darüber aber schließlich entschied er sich dazu, stattdessen "Total Recall" zu drehen. Wir drehten gleichzeitig in Toronto. Als er das Projekt verließ, suchte ich nach deutlich jüngeren Schauspielern. Man braucht heutzutage ein Star im Film, also musste es jemand sein, den man schon kennt. Man muss den Investoren etwas vorweisen können.

Ricore: Manche Szenen in "Cosmopolis" sind ziemlich schräg und fast lustig.

Cronenberg: Oh, ich halte den Film für ziemlich witzig. Es kommt aber darauf an, wo man den Film zeigt. Ich glaube in New York lacht das Publikum den ganzen Film über. Um ein anderes Beispiel zu nehmen: "Naked Lunch". Dieser Humor ist sehr speziell. In Paris blieb das Publikum völlig ernst. In New York lachten die Zuschauer die ganze Zeit. So ist das wohl auch bei "Cosmopolis".

Ricore: Also handelt es sich um eine Komödie?

Cronenberg: Auf einer bestimmten Ebene ganz bestimmt. Das Lachen ist echt.

Ricore: Hat der Film auch dokumentarische Anteile?

Cronenberg: Bestimmte Aspekte sind schon dokumentarisch angehaucht. Wir haben die Szene mit den Demonstranten gedreht und am Abend sah man im Fernsehen etwas über Occupy Wall Street. Wir haben auch eine Szene, in der Protagonist Eric eine Torte ins Gesicht bekommt. Ein paar Tage nach dem Dreh passierte Rupert Murdoch das Gleiche. Das gab dem Film eine Relevanz, die vorher nur eine Idee gewesen war.

Ricore: Wie stark war ihr Anspruch realistisch zu sein? Bei "Eine dunkle Begierde" haben Sie darauf mehr Wert gelegt.

Cronenberg: Nicht sehr stark. Freud ist eine historische Figur, damit muss man anders umgehen. Die 47th Street in New York ist sehr anonym und das ist volle Absicht. Sie sieht wie Toronto aus. Viele Orte, die Don DeLillo im Buch beschreibt, gibt es in der 47th Street gar nicht mehr. Wenn wir in New York gedreht hätten, würde es nicht wie im Buch beschrieben aussehen. Außerdem wollte ich, dass der Film aus Erics Perspektive erzählt würde. Also sieht man alles sowieso nur durch die Fenster der Limousine. Das hat es noch einfacher gemacht, ein Ersatz-New-York zu schaffen.
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Fährt David Cronenberg seine Krallen aus?
Ricore: Was für ein Mensch ist Eric? Er scheint nur an Essen und Sex interessiert zu sein.

Cronenberg: Die meisten Männer sind nur an Essen und Sex interessiert. Das Seltsame ist ja, dass er gar nicht wirklich an Essen und Sex interessiert ist. Er weiß nicht wirklich, wie er mit seiner Frau sprechen soll. Als er mit der Wachfrau schläft, spricht er über ihren Kollegen. Am Sex ist er gar nicht so interessiert. Er ist gelöst von den Dingen, die andere Leute begeistern. Das ist Teil seines Problems. Er lebt nur in seinem Kopf. Ihn interessiert die Abstraktion von Geld. Er verdient Milliarden aber er fasst nie richtiges Geld an. Er weiß nicht, wie man richtiges Geld ausgibt. Er ist überhaupt kein normaler Mann. Er scheint alles zu haben, aber in Wirklichkeit leidet er.

Ricore: Er ist unfähig zu fühlen?

Cronenberg: Ja. Er denkt so abstrakt, dass er keinen Zugang mehr zu seiner Gefühlswelt hat. Er weiß, dass man an Sex und Essen interessiert sein sollte. Seine Frau ist genauso. Sie hat auch keinen Zugang zu ihren Gefühlen. Diese Menschen leben in einer Blase. Ein französischer Milliardär namens Edouard Carmignac hat den Film mitfinanziert und mitproduziert. Der Grund, warum er das Buch so toll fand, war, weil er es für so akkurat hält. Er arbeitet mit Leuten zusammen, die genau wie Eric sind. Sie hängen ständig am Computer, um zu kaufen und verkaufen. Es ist eine seltsame Art von Kapitalismus, weil nichts produziert wird. Man kann Milliarden verdienen, ohne etwas zu schaffen.

Ricore: Hat Sie das Fremde an der Figur angezogen?

Cronenberg: Es gibt eine Art Film, vor allem in Hollywood, die sich nur mit dem Bekannten beschäftigt. Das ist sehr bequem und hat einen hohen Wiedererkennungswert. Das interessiert mich nicht. Ich will Filme machen, die etwas Ungewöhnliches zeigen. Das ist eine Wahl, die man trifft.

Ricore: Glauben Sie, dass sich die Finanzwelt ändern wird?

Cronenberg: Naja, das hören wir im Film: "Vor zwei Stunden war es eine weltweite Bewegung, jetzt ist da nichts mehr". Viele Leute haben Occupy Wall Street kritisiert, weil die Bewegung nicht antikapitalistisch ist. Niemand im Film ist antikapitalistisch, sie wollen nur teilhaben am Erfolg.

Ricore: Können Sie uns etwas über ihr nächstes Projekt erzählen?

Cronenberg: Es gibt ein Projekt namens "Maps to the Stars". Das Drehbuch stammt von meinem Freund, dem tollen Schriftsteller Bruce Wagner. Es ist ein sehr schwer zu finanzierender Film. Es gibt zwei Rollen, die Viggo Mortensen und Robert Pattinson gerne spielen würden. Aber ich muss es erst schaffen, den Film zu finanzieren.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 6. Juli 2012
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2024