Heiko Thiele/Ricore Text
Fritz Karl bei der Premiere von "Tom und Hacke"
Bücher statt Internet
Interview: Leseratte Fritz Karl
Viele kennen Fritz Karl als Kandlerwirt Lorenz Schneider aus der 2006 gedrehten Komödie "Wer früher stirbt, ist länger tot". Sechs Jahre später ist er erneut in einem bayrischen Film zu sehen. In "Tom & Hacke" verkörpert er den einarmigen Bösewicht Ami Joe. Wie man eine Figur mit einem Handicap spielt, verrät der umgängliche Österreicher im Interview mit Filmreporter.de. Darin erklärt Karl auch, wie er seine Lesephobie überwand und was er gegen soziale Netzwerke wie Facebook hat.
erschienen am 31. 07. 2012
Zorro Film
Benedikt Weber und Xaver-Maria Brenner auf dem Friedhof in "Tom und Hacke"
Ricore: Weshalb halten Sie es für richtig, dass die Geschichte Tom Sawyers in die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs versetzt wurde?

Fritz Karl: Ich hätte es merkwürdig gefunden, wenn man in Deutschland oder Österreich versucht hätte, den Mississippi nachzubauen. Das wäre lächerlich und eine absolut doofe Idee gewesen. Deswegen halte ich es für einen genialen Schachzug der Drehbuchautoren, die Geschichte in die Nachkriegszeit zu versetzen, um für die Kinder in Deutschland den angemessenen Hintergrund zu schaffen. Diese Zeit passt insofern sehr gut, als dass sie die Armut und die Freiheit Tom Sawyers hervorragend spiegelt. Die Kinder waren nach dem Zweiten Weltkriegs noch nicht so behütet wie heute. Sie mussten sehr früh selbstständig sein. Sie hatten mehr Freiraum, weil nicht ständig auf sie aufgepasst wurde. Heutzutage leben wir in einer unglaublichen Wohlstandsgesellschaft, in die meisten Kinder wohl behütet, beschützt und dreifach versichert aufwachen. Das gab es früher nicht und deshalb passt dieser Stoff so gut in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Ricore: Wie behütet sind Sie aufgewachsen?

Karl: Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Schon behütet, aber ich kannte dieses Freiheitsgefühl.

Ricore: Haben Sie damals die Geschichten von Tom Sawyer gelesen?

Karl: Ich habe Tom Sawyer nicht als Kind gelesen, erst später.

Ricore: Sie haben spät angefangen zu lesen - warum?

Karl: Ich habe wirklich sehr spät angefangen. Ich hatte früher schon fast eine Lesephobie. Allerdings weiß ich nicht warum. Eigentlich habe ich erst in meiner Zeit am Max-Reinhardt-Seminar richtig angefangen zu lesen. Ich hatte damals einen Professor, der mich daran herangeführt hat.

Ricore: Erinnern Sie sich noch an seinen Namen?

Karl: Nein, das weiß ich leider nicht mehr [lacht]. Es war ein ganz, ganz alter Herr, der mich in Literaturwissenschaften unterrichtet hat und ein großer Goethe-Kenner war.
Zorro Film
Fritz Karl in einer Szene von "Tom und Hacke"
Ricore: Wurden Sie von Goethe literarisch geprägt?

Karl: Ja, das kann man so sagen. Ich musste meine erste Arbeit über "Tasso" schreiben. So fing das irgendwie an.

Ricore: Was lesen Sie ansonsten?

Karl: Ich bin ja gezwungen relativ viele Drehbücher zu lesen. Wenn ich mich dann für eine Rolle entschieden habe, ist es meist auch nötig, sich mit entsprechender Sekundärliteratur vorzubereiten. Um diese zu finden, nutze ich jedoch lieber Bibliotheken, als das Internet. Ansonsten lese ich in meiner Freizeit alles Querbeet. Das letzte was ich gelesen habe, war die Neuauflage von Hans Falladas "Jeder stirbt für sich allein". Genauso habe ich aber auch etwas von Adler Olsen verschlungen. Wie gesagt, ich lese alles Querbeet und relativ viel.

Ricore: Gab es einen speziellen Grund, warum Sie vor Ihrer Zeit am Max-Reinhardt-Seminar nicht lasen?

Karl: Nein, keine Ahnung. Dafür liebe ich das Lesen jetzt umso mehr.

Ricore: Was stört Sie an neuen Medien wie Facebook und Twitter?

Karl: Ich finde, dass solche Sachen unsere Fantasie beschneiden, auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt. Dinge wie Facebook und sämtliche Kontaktplattformen haben dafür gesorgt, dass die Menschen kaum mehr flirten können. Sie wissen kaum mehr, wie sie sich im echten Leben zu begegnen haben. Das hat alles aufgehört, weil sich alles nur noch in diesem luftleeren Raum, dieser Anonymität abspielt. Das finde ich persönlich ein wenig schade. Außerdem bin ich nicht gerne immer erreichbar. Die Medien und die gesamte Telekommunikation ist ja so ausgerichtet, dass man ständig erreichbar ist und auf den anderen Zugriff hat. Das finde ich fürchterlich.

Ricore: Stellen Sie digitalen Geräte aus, wenn Sie entspannen wollen?

Karl: Ja, die mache ich auch sonst so oft wie möglich aus.
Constantin Film
Fritz Karl auf der Münchner Premiere von "Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel"
Ricore: Wie war es in "Tom und Hacke" eine Figur zu spielen, der ein Arm fehlt?

Karl: Am Anfang habe ich viel mit dem Regisseur über die Konzeption meiner Figur gesprochen. Ami Joe kommt aus dem Zweiten Weltkrieg und wir wollten jemanden zeigen, bei dem diese Zeit tiefe Spuren hinterlassen hat, dem es nicht gut geht und deshalb auf die schiefe Bahn geraten ist. Deshalb war es nichts Außergewöhnliches, eine Figur mit fehlendem Arm zu integrieren. So jemanden zu verkörpern war zunächst natürlich ungewohnt. Aber so etwas trainiert man ja. Es gehört zu meinem Beruf, sich damit auseinanderzusetzen. Es verändert einen insofern, als dass man für die alltäglichen Sachen nicht mehr zwei, sondern nur noch einen Arm zur Verfügung hat.

Ricore: Was hat sich noch verändert?

Karl: Als Schauspieler merkt man natürlich, dass man ein gewisses Handicap gegenüber den anderen hat. Außerdem konnte ich nachvollziehen, welche Aggression diese Behinderung bei meiner Figur auslöst.

Ricore: Ist es korrekt, dass Ami Joe in einem früheren Drehbuch nicht nur einen Arm hatte?

Karl: Ja. Das stand Anfangs nicht drinnen. Das habe ich mir mit dem Regisseur ausgedacht. Ich wollte, dass er etwas Besonderes hat und man sofort erkennt, dass er aus dem Zeiten Weltkrieg kommt, ohne dass man mit ihm sprechen muss.

Ricore: Ziehen Sie Projekte vor, bei denen Sie am Drehbuch mitwirken können?

Karl: Naja, eigentlich habe ich ja gar nicht am Drehbuch von "Tom und Hacke" mitgearbeitet, lediglich an meiner Figur.
Zorro Film
Benedikt Weber und Xaver-Maria Brenner paddeln sich in "Tom und Hacke" den Weg frei
Ricore: Was muss ein Drehbuch haben, damit Sie sich dafür entscheiden?

Karl: Natürlich muss mich die Geschichte ansprechen und die Figuren interessieren. Das ist immer das Erste. Ein Stoff muss immer die Fantasie beflügeln und in einem wachsen. Danach spielt für mich noch eine Rolle, wer in dem gewünschten Projekt sonst noch mitspielt und wer Regie führt.

Ricore: Mit welchen Kollegen arbeiten Sie besonders gerne zusammen?

Karl: Es gibt natürlich Kollegen, denen man immer wieder begegnet und mit denen man besser auskommt und spielen kann, als mit anderen. Das ist im Theater so und im Film ebenso. Zum Beispiel arbeite ich sehr gerne mit Nicholas Ofczarek. Er ist ein toller Theaterschauspieler, auf den ich mich immer wieder freue. Aber eigentlich ist es zu schwer Leute herauszupicken, weil es viele gibt, die ich mag und mit denen ich gerne arbeite, ohne, dass eine Person besonders herausragen würde.

Ricore: Sie sagen immer wieder, dass Ihre Zeit bei den Wiener Sängerknaben der Grundstein Ihrer Schauspielkarriere war. Wie meinen Sie das genau?

Karl: Die Wiener Sängerknaben-Zeit hat mich sehr geprägt. Das waren ja nicht nur Konzertaufführungen, sondern auch Singspiele in der Staatsoper, die schon einiges mit Theater zu tun hatten. Da ich nicht der beste Sänger war, wurde ich bei den Singspielen meist als Komiker besetzt. Dabei habe ich Theaterblut geleckt und bin nach meinem Stimmbruch wieder in Oberösterreich aufs Land gezogen. Dort hatte ich dann in Deutsch einen Lehrer, der auch Schultheater machte. Das war für mich natürlich toll, da ich dadurch mit der Schauspielerei weitermachen konnte.

Ricore: Mit Kindern zu arbeiten gilt gemeinhin als sehr schwer. Wir war es bei Xaver-Maria Brenner, Benedikt Weber und Julia Forstner, die zudem Schauspielnovizen sind?

Karl: Das war eigentlich ganz okay. Ich musste kein Neuland betreten, da ich schon ein paar Mal mit Kindern oder Laien zusammengearbeitet habe. Das Schöne an den Dreien war, dass sie aufgrund der Workshops wirklich gut auf ihre Rollen vorbereitet waren. Das hat ihnen eine gewisse Nervosität genommen und sie lockerer gemacht, so dass man mit ihnen insgesamt gut arbeiten konnte, auch wenn das Ganze natürlich trotzdem kein Zuckerschlecken war. Mit Kindern zu arbeiten, ist immer aufwendig, auch wegen den regulierten Drehzeiten.

Ricore: Bereitet sich ein Laie anders auf eine Rolle vor, als ein professioneller Schauspieler?

Karl: Ich hoffe, dass man beim Ergebnis keinen Unterschied feststellt. Aber natürlich gibt es in der Vorbereitung Dinge, die Laien anders machen und worauf man als professioneller Schauspieler besonders Rücksicht nehmen muss. Als Profi sollte man vor allem geduldig sein und versuchen dem Laien Sicherheit zu geben.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 31. Juli 2012
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