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François Ozon
'Ich stand mit meiner Meinung alleine da'
Interview: François Ozon aus der letzten Bank
François Ozon gehört zu den spannendsten französischen Regisseuren. Filme wie "Tropfen auf heiße Steine", "Unter dem Sand" und "8 Frauen" sorgten auch international für Furore. In Ozons neuestem Werk "In ihrem Haus" geht es um einen Schüler, dessen Talent als Schriftsteller von seinem Lehrer gefördert wird. Im Gespräch mit Filmreporter.de berichtet der Regisseur von seiner Schulzeit und dem Prozess des Drehbuchschreibens. Zudem erklärt Ozon, weshalb er nicht gerne in Festival-Jurys sitzt und warum "In ihrem Haus" nicht in Cannes lief.
erschienen am 28. 11. 2012
Concorde Film
In Ihrem Haus
Ricore Text: Herr Ozon, Sie kommen aus einer Lehrerfamilie. Wären Sie gerne von Ihren Eltern unterrichtet worden?

François Ozon: Zum Glück habe ich bei meiner Mutter keinen Unterricht gehabt [lacht]. Aber natürlich hat es mir sehr geholfen, um Germain zu kreieren. Meine Eltern sind heute pensioniert, aber ich konnte Zuhause erleben, wie sie Arbeiten korrigiert haben und Anweisungen vom Ministerium bekamen. Ich habe genug, aus dem ich schöpfen kann.

Ricore: Gab es einen Lehrer - an der Schule oder der Filmhochschule - der Sie besonders inspiriert hat?

Ozon: In der Schule war ich nicht sehr gut - ich war der Idiot aus der letzten Bank. Kein Lehrer hatte Lust, sich mir zu widmen.

Ricore: Gab es einen Germain in Ihrem Leben?

Ozon: Als ich mit dem Filmstudium angefangen habe, hatte ich plötzlich gute Noten. Das war zunächst sehr merkwürdig für mich. In der Tat gab es Lehrer, die für mich und meine Entwicklung sehr wichtig waren, allerdings ohne dass sie es wussten. Vor allem ist da Eric Rohmer zu nennen, der für mich das Kino entmystifiziert hat und mich endgültig vom Filmemachen begeistert hat, da seine Denkweise so anders war, als die der anderen.

Ricore: Mussten Sie eine Schuluniform tragen?

Ozon: So alt bin ich noch nicht, dass ich die Schuluniformen noch erlebt hätte. Die gibt es an französischen Schulen schon sehr lange nicht mehr.

Ricore: Warum sind sie dann im Film zu sehen?

Ozon: In Frankreich gibt es wirklich schon sehr lange keine Schuluniform mehr. Dennoch hatte ich bereits beim Drehbuchschreiben die Vision die Schüler in Uniformen zu stecken. Deshalb hatte ich zunächst überlegt "In ihrem Haus" in England anzusiedeln, aber das stellte sich jedoch schnell als viel zu kompliziert heraus. Dann kam mir die Idee, dass die Schule die Claude besucht ein Pilotprojekt mit Schuluniformen durchführt. Ironisch finde ich, dass diejenigen, die sich in Frankreich für Schuluniformen einsetzen eher konservativ und religiös geprägt sind. In England und Spanien sind es eher die öffentlichen Schulen, die wollen, dass die Schüler irgendwie alle gleich sind.

Ricore: Sind Sie für das Tragen von Schuluniformen?

Ozon: Ich finde diese Uniformen sehr erotisch [grinst].
Constantin Film
François Ozon am Set von Swimming Pool
Ricore: Wie schwer war es in "In ihrem Haus" das Schreiben auf die Leinwand zu bringen?

Ozon: Für mich ist das wesentlich einfacher, als wenn ich einen Regisseur bei der Arbeit zeigen müsste. Das würde bedeuten, dass ich dazu gezwungen wäre darzulegen, dass das Filmemachen eine kollektive Arbeit ist. Ein Maler oder Schriftsteller arbeitet hingegen allein. Das ist wesentlich einfacher zu visualisieren.

Ricore: Schotten Sie sich beim Schreiben eines Drehbuchs ebenfalls von der Außenwelt ab?

Ozon: Das kommt darauf an und ist von Film zu Film unterschiedlich. Gleich ist aber immer, dass ich sehr schnell schreibe. Die erste Version zeige ich meinen Freunden und Verwandten, Menschen denen ich vertraue. Die sagen mir dann ihre Meinung, woraufhin ich noch eine Version und noch eine Version schreibe. Bei "In ihrem Haus" hat es 20 Versionen gebraucht, bis ich zufrieden war.

Ricore: Haben Sie nicht doch eine Art Germain, wenn Sie anderen immer wieder Ihre Drehbuchfassungen vorlegen?

Ozon: Ich würde jetzt nicht unbedingt sagen, dass ich einen Germain habe. Es gibt auch Produzenten und Skript-Doktoren denen ich meine Entwürfe zeige. Wenn man als Drehbuchautor oder Schriftsteller immer nur selbst über seinem Werk brüten würde, verliert man irgendwann die Übersicht, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Deswegen ist es gut und wichtig, dass Input von außen kommt.

Ricore: Inwieweit offenbart sich der Künstler François Ozon in den Worten von Germain?

Ozon: Ich erkenne mich vielmehr in Claude wieder, denn ich denke, dass ich noch immer ein Schüler bin und kein Lehrer, der irgendwelchen anderen Leuten Lektionen erteilen möchte.

Ricore: Aber die Dinge die von Germain gesagt werden, sind schon auf Ihr Schaffen anwendbar, oder?

Ozon: Die Fragen, die sich Germain stellt, sind auch die Fragen die ich mir stelle. Aber dies trifft auch auf alle anderen Drehbuchautoren und Regisseure zu.

Ricore: "In ihrem Haus" erinnert streckenweise an "Swimming Pool". Wurden die Parallelen bewusst gesetzt?

Ozon: Als ich mich ans Drehbuch gesetzt habe, sind mir natürlich schon einige Gemeinsamkeiten aufgefallen. Allerdings gibt es einen großen Unterschied: Die Schriftstellerin in "Swimming Pool" will sich inspirieren lassen. Sie ist wie ein Vampir und klaut hier und da Ideen. Sie sucht Sachen, mit denen sie ihr neues Werk anfüllen kann. Claude hat hingegen kein Problem mit fehlender Inspiration. Denn er muss ja nur in das benannte Haus gehen und kann dort aus dem Vollen schöpfen.

Ricore: "In ihrem Haus" erinnert auch an die Filme Alfred Hitchcocks. Was bedeutet dieser Regisseur für Ihr künstlerisches Schaffen?

Ozon: Im Prinizip ist Hitchcock für jeden alten und jungen Regisseur ein großes Vorbild. Ganz viele Sachen, die man heute ganz normal benutzt, gehen auf ihn zurück, beispielsweise der Suspensegedanke, dass man dem Zuschauer eine Information gibt, die die Figuren im Film nicht haben. Was das letzte Bild von "In ihrem Haus" angeht, habe ich schon an Hitchcocks "Das Fenster zum Hof" gedacht. Dennoch ist für mich das Haus, welches man am Ende meines Films sieht, mit seinen vielen Türen und Fenstern eher eine moderne Installation.
Constantin Film
François Ozon und Fabrice Luchini auf dem Set von "In ihrem Haus"
Ricore: Machen Sie sich "In ihrem Haus" über moderne Kunst lustig?

Ozon: Nein [lacht]. Dennoch mag ich die Figur der Jeanne, weil etwa Germain eine sehr enge, konservative Sicht auf die Kunst hat und Jeanne versucht offener zu sein, was die moderne Kunst angeht.

Ricore: Die provinziellen Franzosen, die sich die Kunstwerke anschauen, kommen aber auch nicht gerade gut weg, speziell die Galeriesponsorinnen.

Ozon: Jeder Künstler muss sich wie Jeanne irgendwann fragen womit er sein Geld verdient. Bleibe ich dabei Kunst zu schaffen beziehungsweise zu verkaufen, der einen tatsächlichen künstlerischen Wert hat, oder verkaufe ich Sachen, die sich tatsächlich verkaufen, auch wenn man über die jeweilige Qualität dann geteilter Meinung sein kann? Aber die aufblasbaren Sexpuppen mit Hitlergesicht finde ich eigentlich schon ganz witzig.

Ricore: Sie haben in "Das Schmuckstück" mit Gerard Depardieu zusammengearbeitet und ihn als Mischung aus schwierigem Kind, Genie und Monster charakterisiert. Jetzt haben Sie bereits das zweite Mal mit Fabrice Luchini gearbeitet, der ebenfalls als nicht gerade einfacher Charakter gilt. Wie hält man die Arbeit mit solchen Typen aus?

Ozon: Schauspieler sind am Set tatsächlich die größeren Mimosen als Schauspielerinnen. Mit solchen Mimosen wie Depardieu und Luchini erfolgreich zu arbeiten klappt eigentlich nur, wenn diese sich in Sicherheit fühlen und Vertrauen zum Regisseur haben. Das versuche ich ihnen stets zu geben.

Ricore: In Ihren Filmen spielt die disfunktionale Familie stets eine sehr große Rolle. In Frankreich dürfen homosexuelle Paare bald heiraten. Wie stehen Sie dazu?

Ozon: Ich finde das natürlich sehr gut. Allerdings bin ich schockiert darüber, wie in konservativen Kreisen dieses Thema gerade diskutiert wird. Die Diskussionen und Argumente machen mir wirklich Angst, denn da kommen Sachen hoch, von denen ich geglaubt hatte, dass sie schon längst überwunden seien. Ich hoffe sehr, dass François Hollande durchhalten wird.

Ricore: In San Sebastian wurde "In ihrem Haus" als bester Film und für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen das vor dem Hintergrund, dass er in Cannes und Venedig nicht gelaufen ist?

Ozon: "In ihrem Haus" wäre für Cannes fertig gewesen, aber sie wollten ihn nicht. Ohnehin haben es französische Filme dort sehr schwer, weil es einfach so viele gibt. "Das Schmuckstück" haben Sie damals abgelehnt, weil sie meinten er sei zu französisch und werde dem internationalen Publikum vermutlich nicht gefallen. Mit "In ihrem Haus" auf das Filmfestival von San Sebastian gehen zu können, fand ich aus zwei Gründen sehr schön. Einerseits, weil das Festival sehr entspannt und locker ist, es liegt nicht so viel Druck auf einem wie in Cannes oder Venedig. Andererseits basiert "In ihrem Haus" ja auf einem spanischen Theaterstück.

Ricore: Wie wurde die Ablehnung von "In ihrem Haus" in Cannes begründet?

Ozon: Es gab keine wirkliche Begründung. Es heißt dann immer, dass der Film ganz toll sei, es aber nicht genügend Plätze gebe. Das gehört zum Spiel dazu. Hinterher erfährt man dann aus allen Ecken woran die Absage gelegen haben könnte. Hier heißt es, dass es die Entscheidung zwischen meinem und Alain Resnais Film war, da unsere Werke in gewisser Weise ähnlich seien. Ich schätze man hat ihn genommen, weil man glaubt, dass er jeden Moment sterben könne, da er ja schon ein sehr alter Mann ist.

Ricore: Sie waren schon oft in Berlin, haben bei der Berlinale einen Preis gewonnen und saßen dort zusammen mit Jake Gyllenhaal in einer Jury.

Ozon: Ich mag Berlin sehr, deshalb gehe ich auch immer wieder gerne dorthin. Grundsätzlich lehne ich eigentlich fast alle Angebote ab, einer Filmjury anzugehören, aber weil es Berlin ist, habe ich gerne eine Ausnahme gemacht. Trotzdem war die Erfahrung nicht so angenehm. Denn als es an die Abstimmung ging, wer die Preise gewinnt, ist es immer eine demokratische Abstimmung. Und da stand ich mit meiner Meinung ziemlich alleine da. Dass war nicht so schön.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 28. November 2012
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In ihrem Haus (Kinofilm)
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2024