Reverse Angels
Sam Shepard in: Don't Come Knocking
Sam Shepard über die neu entdeckte Männlichkeit
Interview: Technik hat unser Leben gestohlen
Vom Orangenpflücker zum Pulitzerpreisträger: Autodidakt Sam Shepard (61) gehört zu Amerikas bedeutendsten Dramatikern. Für Antonioni schrieb er das Drehbuch des Kultklassikers "Zabriskie Point", der Broadway huldigt seit Jahrzehnten seinen Werken, und auch als Schauspieler hat er sich international bekannt gemacht. Für Wim Wenders' neuen Film "Don't Come Knocking" schrieb er - wie zuletzt 1983 zu "Paris, Texas" - wieder Drehbuch und die Hauptrolle. Darin reißt er als gealterter Westernstar von einem Filmset aus und sucht in seiner Vergangenheit den Sinn des Lebens. Wir trafen Sam Shepard in Cannes zum Gespräch.
erschienen am 24. 08. 2005
Ricore: Mr. Shepard, mit "Don't Come Knocking" vertrauen Sie - wie so oft in Ihrer Karriere - auf die Eckpfeiler des Westerngenres. Warum?

Sam Shepard: Ich bin im Westen groß geworden und habe die Merkmale dieses Landstrichs genau studiert. Bis auf ein paar Fallensteller hat sich jahrzehntelang kein Amerikaner in diese Gebiete getraut, bis heute verbinden wir mit dem Westen Abenteuer und ein leichtes Schaudern vor dem Ungewissen. Gut, die Ödnis der Landschaft verschwindet mit den Jahren mehr und mehr, aber rund um das Monument Valley zum Beispiel kann man die endlosen Weiten der Wüste noch finden. Und dieser Landstrich hat noch immer etwas Verbotenes.

Ricore: Was repräsentieren Cowboys für Sie?

Shepard: Für viele sind sie ein Mythos, ich bin mit ihnen aufgewachsen und weiß, was wirklich Sache ist. Cowboys sind harte Arbeiter, und ihr Alltag ist oft weniger romantisch als Außenstehende es sich ausmahlen. Sie kriechen im staubigen Sand, reparieren Zäune, flicken Wassertanks und kümmern sich um Kühe. So etwas kann sehr schnell ermüden.

Ricore: Über Jahrzehnte waren Cowboys der Inbegriff eines amerikanischen Helden. Auf der Leinwand findet man sie trotzdem nicht mehr.

Shepard: Sie wurden von einem neuen Heldenbegriff abgelöst. Im Wesen früherer Revolverhelden wie James Stewart, Gary Cooper oder Henry Fonda war eine Demut, die ihrem Auftreten Würde verlieh. Und heute? Aufgepumpte Muskeln, Explosionen, hirnlose Schlägereien. Der aufgeblasene Macho ist das neue Emblem der Männlichkeit. Wo ist der Stil geblieben? Warum bist du als Mann heutzutage nicht mehr wert, wenn du nicht mit deinen Muskelpaketen protzen kannst und bis zu den Ohren tätowiert bist? Ich finde diese Entwicklung erschreckend.

Ricore: Wo liegen für Sie die Gründe dieses Trendumschwungs?

Shepard: Wir haben auch im wirklichen Leben unsere Würde verloren. Wir wissen nicht mehr, was es bedeutet, ein normales, gesetztes Leben zu führen. Schimpfen Sie mich einen Nostalgiker: Aber unsere heutige Gesellschaft entwickelt sich mehr und mehr zu einem Cartoon.

Ricore: Wie wirken Sie dem entgegen?

Shepard: Indem ich versuche, mir meine Würde und Glaubwürdigkeit zu bewahren. In meiner Arbeit vertraue ich nicht auf Plastikstorys, sondern führe Charaktere an den Ort, der für sie bestimmt ist. Ich lasse mich von einer Story treiben. Betrachten Sie doch einmal das amerikanische System: Die Regierung ist eine Katastrophe, die Nachrichten sind voller Lügen. Wo in unserem weiten Land ist der Kanal der Wahrheit? Ich hatte spätestens ab dem Moment genug, als wir angefangen haben, Kriege gegen andere Länder zu führen und unschuldige Leute in die Luft zu sprengen.
Ricore: Als einer von Amerikas wichtigsten Dramatikern beschäftigen Sie sich seit Jahrzehnten mit dem Phänomen gestörter Familienverhältnisse. Wie hat sich Ihr Umgang mit dem Thema über die Jahre geändert?

Shepard: Die Thematik mag oft dieselbe sein, die verschiedenen Charaktere sind es nicht. Ich nähere mich einer Story immer über die Rollen, und die sind ganz unterschiedlich angelegt. Ich gehe mit meinen Figuren beim Schreiben manchmal ziemlich harsch um, bei "Don't Come Knocking" war ich fast schon von Zärtlichkeit beseelt.

Ricore: Woran mag das liegen?

Shepard: Ich hatte dieses Mal sehr viel Selbstvertrauen. Seit Wim Wenders und ich an "Paris, Texas" gearbeitet haben, sind volle zwanzig Jahre vergangen. Wir sind über die Jahre zu angesehenen Künstlern geworden und in unserer Arbeit weitaus sicherer als wir es früher waren. Bei "Paris, Texas" schlitterten wir noch wie auf Eis und mussten ständig befürchten, gegen das nächste Hindernis zu knallen. Heute sind wir routinierter, brauchen uns selbst nicht mehr zu ernst nehmen.

Ricore: Daher auch Ihr Entschluss, den gealterten Westernstar selbst zu spielen?

Shepard: Genau, nur war mir das nicht von Anfang an klar. Eigentlich wollte ich die Rolle nicht übernehmen, aber je weiter sich das Drehbuch entwickelte, desto mehr begann ich mich dafür zu interessieren.

Ricore: Was liegen die Unterschiede zwischen Ihnen und Wim Wenders, die Ihre Zusammenarbeit so interessant machen?

Shepard: Ich bin sehr flatterhaft und emotional, Wim ist ein ungemein stoischer Typ. Die perfekte Kombination.

Ricore: Und wie kam es, dass Sie und Ihre Partnerin Jessica Lange für diesen Film zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wieder gemeinsam vor der Kamera standen?

Shepard: Wim und ich wollten sie von Anfang an haben, nur konnte sie wegen anderer Verpflichtungen bis eine Woche vor Drehstart nicht zusagen. Eigentlich hatten wir über all die Jahre auch die Regelung, dass der eine arbeitet, während sich der andere um die Kinder kümmert. Dieses Mal wollten wir uns die Chance aber nicht entgehen lassen, obwohl es mir wesentlich schwerer fällt, mit einer so vertrauten Person eine Szene glaubhaft rüberzubringen. Fremde Schauspieler kann ich in der Szene frisch entdecken, bei Jessica musste ich viel tiefer an die Substanz.

Ricore: Sie leben in einer glücklichen Beziehung, sind mehrfacher Vater und in Ihrem Beruf erfolgreich. Mr. Shepard, sind Sie ein zufriedener Mensch?

Shepard: Ich bin genau da, wo ich hinwollte. Ich genieße es, Variation in meine Arbeit zu bringen. Derzeit schreibe ich zum Beispiel ein Buch aus alten Notizbüchern, die ich während meiner Reisen geschrieben habe. Wissen Sie, was das Besondere an meinem Job ist? Dass man, wenn alles glatt läuft, mit seiner Arbeit etwas Beständiges schaffen kann. Etwas, das bleibt. Bei "Don't Come Knocking" habe ich in dieser Hinsicht ein verdammt gutes Gefühl.
erschienen am 24. August 2005
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Vom Orangenpflücker zum Pulitzerpreisträger: Autodidakt Sam Shepard (61) gehört zu Amerikas bedeutendsten Dramatikern. Für Michelangelo Antonioni schrieb er das Drehbuch des Kultklassikers "Zabriskie Point", der Broadway huldigt seit Jahrzehnten seinen Werken, und auch als Schauspieler ist er längst international bekannt.
Nach "Land of Plenty", seiner desillusionierten USA-Abrechnung, macht Wim Wenders dem ländlichen Amerika in "Don't Come Knocking" wieder eine Liebeserklärung. Cannes feierte das Road Movie begeistert - und das zu Recht. Ein Mann - ziellos, haltlos, mutlos - entflieht der ihm auferlegten Realität, um sich auf die Suche nach etwas zu begeben, was den Anschein von Sinn erwecken könnte. Wim Wenders erzählt diese klare, aufrichtige Geschichte in großen Bildern. Ganz so, wie es sich für einen..
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