Universal Pictures
Regisseur Tom Shadyac hat sein Leben auf den Kopf gestellt
'In der Welt läuft einiges falsch!'
Interview: Kritischer Tom Shadyac
Tom Shadyac lebt in einer dicken Villa, kauft schöne Autos und dreht Blockbuster wie "Bruce Allmächtig". 2007 vollzieht der Amerikaner nach einer depressiven Phase einen radikalen Lebenswandel. Er verkauft einen Großteil seines Besitzes und beginnt sich für soziale Projekte zu engagieren. Wie es dazu kam, erläutert Shadyac im Interview mit Filmreporter.de, dass wir anlässlich seiner Dokumentation "I Am" führten, in der es um die wahren Probleme der Welt und deren Lösungen geht. Dabei erfahren wir auch, wie er sein inneres Gleichgewicht hält.
erschienen am 26. 02. 2013
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Regisseur Tom Shadyac in "I Am"
Ricore Text: Herr Shadyac, wie geht es Ihnen?

Tom Shadyac: Sehr gut, ich kann mich nicht beklagen.

Ricore: Vor sechs Jahren war dies nicht so. Inwieweit hat Ihr Fahrradunfall im Jahr 2007 Ihr Leben verändert?

Shadyac: In Folge des Unfalls musste ich mich mit meinem eigenen Tod auseinandersetzen. Ich bekam eine Krankheit, die sehr schwierig, brutal, anstrengend und herausfordernd war. Sie heißt post-concussion syndrom [Postkommotionelles Syndrom]. Ich lebte mehrere Monate in absoluter Isolation und schlief in einem klitzekleinen Zimmerchen. Fünf Monate ging es mir richtig dreckig. Mein Leiden brachte mich bis zu einem Punkt, an dem ich dachte, dass ich nicht mehr lange leben würde. Sich dem zu stellen und dem eigenen Tod ins Auge zu blicken führte bei mir zu einer sehr klaren Vision darüber, was ich noch erledigen wollte, bevor ich diese Welt verlasse.

Ricore: Was war das?

Shadyac: Ich wollte Diskussionen über einige prinzipielle Dinge in Gang bringen, mit denen ich in meinem früheren Leben Probleme hatte und ich nun für sehr wichtig halte, etwa die Ansicht, dass jedes Lebewesen mit jedem anderen verbunden ist. Das ist auch der Grund, weshalb ich "I Am" gedreht habe.

Ricore: Im Zuge Ihrer Lebensumstellung haben Sie auch einen Großteil Ihres Besitzes verkauft und sind in einen Trailerpark in Malibu gezogen. Wohnen Sie noch immer dort?

Shadyac: Ja.

Ricore: Was haben Sie mit Ihrem Geld gemacht?

Shadyac: Ich möchte nicht allzu ausführlich darüber sprechen, was mit meinem Geld geschehen ist. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es an gute Dinge gegangen ist. Ich habe eine Menge Geld an Organisationen gespendet, die sich gegen Sklaverei einsetzen und für die Befreiung von Kindersoldaten in Afrika. Außerdem habe ich diverse Obdachlosenheime in meinem Bundesstaat unterstützt. Es gibt gefühlt eine Million Dinge, in die ich involviert war, bin und noch sein werde.
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I Am
Ricore: Haben Sie zu irgendeinem Zeitpunkt die Umstellung Ihres Lebens bereut?

Shadyac: Nein.

Ricore: Die zentrale Frage, die Sie in "I Am" stellen, lautet: 'Was läuft schief auf dieser Welt?' Wo hakt es Ihrer Meinung nach am meisten?

Shadyac: Ich bin der Meinung, dass es auf der Welt eine große Geisteskrankheit gibt, die sich immer weiter ausbreitet. Diese Geisteskrankheit kommt auf viele verschiedene Weisen zum Vorschein: In der immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich, in der immer stärker werdenden Umweltverschmutzung, in Kriegen, hohen Selbstmordraten, sozialen Ausgrenzungen und absurd hohen Medikamentenpreisen. Wenn man sich ansieht wie Geisteskrankheit definiert wird, heißt es: Dinge so zu sehen, wie sie in Wirklichkeit nicht sind. Man betrachtet die Realität, interpretiert sie jedoch falsch. Es ist zum Beispiel so, dass nichts unabhängig von etwas anderem existiert. Es ist eine Illusion, dass man sich nicht um anderes kümmern muss, dass man alles unabhängig erledigen kann. Ich kann nicht Tom Shadyac heißen, ohne dass mir jemand diesen Namen gibt. Ich bin kein Regisseur, solange es niemanden gibt, den ich zu inszenieren habe. Ich kann kein Vater sein, ohne einen Sohn zu haben. Sogar die Ideen, die wir haben, stehen im Kontext mit anderen Dingen. Insofern ist die Verbundenheit von allem die universelle Wahrheit. Allerdings verhalten wir Menschen uns nicht so, als wäre alles miteinander verbunden.

Ricore: Hat sich die Welt seit der Fertigstellung Ihres Films verbessert?

Shadyac: Ich denke, dass wir immer noch dabei sind, den Bogen zu überspannen. Derzeit haben wir offensichtlich Probleme, da es unserer Wirtschaft ziemlich schlecht geht. Zudem gibt es noch mehr umweltbezogene Herausforderungen. Allerdings liegen die Lösungen für unsere Probleme direkt vor unseren Augen.

Ricore: In "I Am" sprechen Sie auch mit Persönlichkeiten aus der Psychologie, der Biologie und der Wirtschaft. Wer hat Sie am stärksten fasziniert und warum?

Shadyac: Ich habe keinen Liebling und möchte auch niemanden herauspicken. Jede Person mit der ich sprach, gab mir etwas, dass für meine persönliche Reise und das Erzählen von "I Am" unglaublich wichtig war. Alle Personen sind und waren mir gleich wichtig.

Ricore: Sie stehen neben dem Geld auch der Tatsache sehr kritisch gegenüber, dass manche Leute erfolgreicher sein wollen als andere. Weshalb ist das per se schlimm? Der Erfolgreichere kann doch auch etwas von seinem Reichtum abgeben.

Shadyac: Derjenige, der diese Ansicht vertritt, sieht meiner Meinung nach nicht das große Ganze. Denn denkt man über diesen Punkt mal länger nach, so sieht man, dass Philanthropie [Wohltätigkeit] mehr Schaden anrichtet, als es Probleme beseitigen kann. Als Philanthropen lösen wir mit unserer linken Hand Probleme, heilen Kranke, retten Arme und so weiter. Gleichzeitig verursachen wir mit unserer rechten Hand diese Probleme erst. Was macht ein Philanthrop also? Er nimmt so viel er kriegen kann. Er gewinnt das Spiel, so dass jedes seiner Produkte die Welt erobert. Aber das ist jetzt eine Verallgemeinerung von mir, natürlich gibt es auch Ausnahmen. Aber wenn jemand ein Unternehmen gründet, dann versucht er in der Regel so günstig zu produzieren wie es nur möglich ist, um seinen Gewinn größtmöglich zu maximieren. Dann macht er sehr viel Profit und sein Produkt läuft wirklich gut. Wenn er sich dann daran macht, generös und hilfsbereit zu sein, sucht er nach Leuten, die sich nichts leisten können, nicht genügend Geld für Medizin, Bildung, Wohnung und andere Dinge haben. Das könnten aber genau die Leute sein, die in seinem Unternehmen unterbezahlt den Boden wischen. Wir schätzen getane Arbeit einfach nicht genug. Wir schätzen die Welt nicht genug, wir brauchen sie einfach auf, missbrauchen sie. Profit ist unser Richtungsweiser. Hinaus in die Welt zu gehen, um das zu reparieren, dass man das Zerstörte repariert, statt den Schaden gar nicht erst zu verursachen, ist eine sehr ineffiziente Herangehensweise. Man kann es auf einen Nenner bringen: Warum soll man sich heute schlecht verhalten, um später generös zu sein?
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Regisseur Tom Shadyac ("I Am")
Ricore: Ein immer größer werdendes Problem ist die zunehmende Einsamkeit von vielen. Sehen Sie in diesem Zusammenhang soziale Netzwerke wir Facebook positiv oder negativ?

Shadyac: Ich denke, das hängt ganz vom individuellen Nutzungsverständnis eines Users ab. Insgesamt schätze ich aber, dass wir solchen Plattformen wesentlich mehr Wert zukommen lassen, als es richtig ist. Der Vorteil von Facebook ist, dass die Kommunikation zwischen zwei Individuen wesentlich schneller funktioniert und man eine breitere Öffentlichkeit erreicht. Das halte ich für eine natürliche Umgangsweise mit diesem Medium. Alles was zählt, ist die Intensität, mit der du Facebook oder eine anderes Instrument nutzt. Wenn du es zu intensiv nutzt, kann es genau das Gegenteil vom Gewünschten erreichen, nämlich, dass du von der Außenwelt abgeschnitten wirst, statt mit ihr enger verbunden zu werden. Wenn du wegen der Sozialen Netzwerke aufhörst, dich in der Realität mit Leuten zu treffen und auch ansonsten soziale Beziehungen vernachlässigst und deine Mitmenschen nicht mehr damit bereicherst, indem du einfach mit ihnen Zeit verbringst, sondern den ganzen Tag rund um die Uhr nur vor deinem Computerbildschirm hockst, dann verlierst du die Balance und koppelst dich vom normalen Leben ab. Derzeit sehe ich Technologien im Allgemeinen als natürliches Mittel des Menschen an. Momentan gelingt es noch, die Balance zu halten, dass uns die verschiedenen Technologien in unserem Leben mehr helfen, als behindern. Aber wir wissen alle, welche Gefahren von Facebook und Co ausgehen und das die junge Generation diejenige sein kann, die auf der einen Seite aufgrund des Internets am stärksten miteinander verbundene ist, auf der anderen Seite aber auch genau das Gegenteil passieren kann.

Ricore: Nutzen Sie Facebook, Twitter und Co?

Shadyac: Nein, überhaupt nicht. Eine Zeit lang habe ich Facebook genutzt, weil meine Freunde meinten, ich müsse da unbedingt mitmachen. Aber ich merkte schnell, dass mich Facebook nicht wirklich interessiert, auch wenn ich sehr gut nachvollziehen kann, weshalb vielen Facebook so gut gefällt und ich dieses Medium nicht generell verteufle. Für mich persönlich wirkt Facebook ein wenig wie ein 'Gossip-Porno', dass ich nicht benötige. Ich habe andere Dinge zu tun, ich bin jemand, der gerne Dinge erschafft. Facebook kann eine tolle Sache sein, es ist nur etwas, mit dem ich nichts anfangen kann und wo ich mich nicht mit meinen Leuten treffe.

Ricore: Sie sprachen vorhin von der Wichtigkeit im Leben seine Balance zu halten. Wie gelingt es Ihnen in Ihrem täglichen Tun die Balance zu halten?

Shadyac: Ich bin sehr praktisch veranlagt. Ich frage mich immer, ob mein Verhalten und mein Tun im Leben so funktioniert, dass ich mich lebendiger fühle. Führt es dazu, dass ich mich stärker mit anderen verbunden fühle, oder geschieht das Gegenteil? Emails finde ich zum Beispiel eigentlich super, aber wenn ich mich zu lange damit beschäftigen muss, dann fühle ich mich nicht mehr wohl, sondern nur gequält. Denn eigentlich möchte ich meine Zeit vor allem dazu nutzen, um draußen spazieren zu gehen, den Sonnenuntergang zu beobachten, kreativ zu sein, Freunde zu treffen. Ich fühle mich echt schlecht, wenn ich zu lange auf einen Computerbildschirm starren muss. In diesem Moment ergreift so etwas von meinem Leben zu viel Besitz. Dies versuche ich zu vermeiden. Wir sollten uns immer wieder die Frage stellen: Ist das was ich gerade mache, wirklich gut für mein Leben? Wenn du beispielsweise jeden Tag Alkohol trinkst, dann wachst du jeden Morgen müde und träge auf und es fällt dir schwer, dich für irgendetwas zu motivieren. Wenn wir uns immer wieder solche simplen Fragen stellen und uns eingestehen, dass wir uns in die Richtung verändern müssen, dass alle Dinge für uns gut funktionieren, die uns mehr oder weniger besser und miteinander verbundener fühlen lassen, dann finden wir die Lösungen für die Probleme unserer Welt sehr schnell. Denn sie liegen direkt vor uns und starren uns an. Wir müssen nur die Courage haben, um die nötigen Schritte in diese Richtung zu gehen.

Ricore: Wir sprachen bereits darüber, was alles in der Welt schlecht ist. Was funktioniert denn gut?

Shadyac: Ich denke es ist die Wissenschaft der Verbundenheit und Einheit. Die universelle Natur der Nächstenliebe und Empathie, die Verbindung von allen Dingen. Das Problem ist nur, dass die Welt nicht in einer Einheit mit uns ist. Es liegt an uns, diesen Umstand zu ändern.

Ricore: Welche Pläne haben Sie, werden Sie wieder einen Film drehen?

Shadyac: Ich stehe kurz davor einen neuen Film zu machen. Ich kann aber noch nicht sagen, um was es gehen wird. Ich kann nur bestätigen, dass ich zugesagt habe und ich gebeten wurde, mitzumachen. Es geht um eine wahre Geschichte in der Herz, Menschlichkeit und eine Prise Humor eine große Rolle spielt.

Ricore: Demnach handelt es sich bei Ihrem nächsten Film um ein Independent-Projekt?

Shadyac: Das ist absolut korrekt, wobei ich mir auch vorstellen kann irgendwann in der Zukunft wieder eine größere Produktion zu inszenieren.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch!
erschienen am 26. Februar 2013
Zum Thema
Tom Shadyac wird am 11. Dezember 1958 in den USA geboren, seine Mutter ist Libanesin, sein Vater hat irische Vorfahren. Schon zu Schulzeiten interessiert sich der spätere Regisseur für Theater und Kino, dabei entwickelt sich früh eine Vorliebe fürs Komische. Als Gag-Schreiber von Komikerlegende Bob Hope verdient sich Shadyac Mitte der 1980er Jahre in Los Angeles seine Brötchen. Jim Carrey-Komödie "Ace Ventura - Ein tierischer Detektiv" feiert, hat er kurze Auftritte in Fernsehserien wie..
I Am (Kinofilm)
Nach einem Fahrradunfall im Jahr 2007 erlebt Tom Shadyac eine gesundheitliche Odyssee und krempelt in der Folge sein Leben komplett um. Der erfolgreiche Regisseur verkauft sein Haus und den Großteil seines Besitzes, zieht in einen Trailerpark und führt fortan ein einfacheres Leben. Zudem setzt er sich mit der Frage auseinander, was auf der Welt schief läuft und wie man diese Dinge verbessern könnte. Antworten versucht er in seinem filmischen Essay "I Am" zu geben.
2024