Universum Film
Besorgte Barbara Auer in "Das Wochenende"
'Wir hatten alle eine Meinung'
Interview: Barbara Auer und die RAF
Mit dem Thema ist Barbara Auer vertraut. In Christian Petzolds "Die innere Sicherheit" verkörperte sie eine ehemalige RAF-Terroristin, die mit Mann und Tochter seit Jahren ein Leben im Versteck führt. In "Das Wochenende" spielt sie die Schwester eines früheren RAF-Aktivisten, der nach 18 Jahren Gefängnis entlassen wird. Auer überzeugt in Nina Grosses Literaturadaption neben Schauspielgrößen wie Sebastian Koch, Katja Riemann, Tobias Moretti und Sylvester Groth. Im Gespräch mit Filmreporter.de verrät die 54-Jährige, wie sie die 'bleierne Zeit' als Jugendliche erlebte.
erschienen am 13. 04. 2013
Universum Film
Besorgte Barbara Auer in "Das Wochenende"
Ricore: Für einen Schauspieler bzw. Schauspielerin muss eine Rolle in einem filmischen Kammerspiel etwas Besonderes sein, oder?

Barbara Auer: Ja, das stimmt, ein Kammerspiel ist immer eine schöne Form. Man kann hier sehr konzentriert arbeiten. Natürlich geht es in diesem Film um politische Vergangenheit, es geht aber auch darum, wo man im Leben steht und wie man sich eingerichtet hat. Um Verantwortung, Schuld, Verrat, Liebe und Verzeihen.

Ricore: Wie für jede Figur hat Drehbuchautorin und Regisseurin Nina Grosse auch über Ihre Figur eine Biografie geschrieben. Hat das Ihre Interpretationsfreiheit eingeschränkt?

Auer: Nein, die Interpretationsfreiheit ist geblieben. Es war schön, dass Nina uns Informationen über unsere Figuren mitgegeben hat. Trotzdem hatten wir alle Möglichkeiten, unsere Phantasie in die Rolle hineinzubringen. Und wir konnten aus unserer Biografie und unseren Erfahrungen aus der Zeit der Endsiebziger schöpfen.

Ricore: In seiner kammerspielartigen Form erinnert der Film an das Theater. Haben Sie mit den anderen Darstellern wie bei einem Theaterstück vor den Dreharbeiten ihre Rollen geprobt?

Auer: Ja, wir haben vor den Dreharbeiten ein gemeinsames Wochenende verbracht. Und zwar in dem Gutshaus, in dem der Film spielt. Das war sehr produktiv. Wir konnten vieles ausprobieren, uns gegenseitig erleben und uns an das Thema langsam herantasten. Beim Drehen wären manche Erkenntnisse zu spät gewesen.

Ricore: Wie muss man sich die Zusammenarbeit von Schauspielern vorstellen, die der gleichen Generation entstammen.

Auer: Wir kennen uns zum Teil schon sehr lange. Wir sind alle in diesem Beruf groß geworden. Ich bin seit über 30 Jahren Schauspielerin, die anderen ebenfalls. Wir haben schon miteinander gearbeitet. Von daher konnten wir sehr entspannt miteinander umgehen. Wir mussten uns nichts mehr beweisen und konnten uns aufeinander verlassen

Ricore: Wie haben sich die beiden jüngeren Darsteller in diese Gemeinschaft eingefügt?

Auer: Wunderbar.
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Nachdenkliche Barbara Auer und Sylvester Groth in "Das Wochenende"
Ricore: War die RAF zwischen ihnen und den jüngeren Schauspielern während der Dreharbeiten ein Thema?

Auer: Nein, nicht direkt. Sie haben uns nicht gefragt, wie wir persönlich die Zeit damals empfunden haben oder wie präsent das Thema RAF war. Das wird ja auch in den Gesprächen im Film hinreichend thematisiert.

Ricore: Diese Frage stelle ich Ihnen gerne: Wie haben Sie die RAF-Bewegung erlebt?

Auer: Auch wenn die RAF politisch nicht viel verändert hat, so war sie doch überall präsent. Der Staat hatte damals alles mobilisiert, die Grenzen waren unglaublich gesichert. Man merkte, dass Ausnahmezustand herrschte. Ich wuchs an der Schweizer Grenze auf und die war schwer bewacht. Man sah überall Fahndungsplakate. Ich weiß noch, dass wir im Deutsch-Unterricht den Text eines anonymen Autors gelesen haben, der unter dem Pseudonym Göttinger Mescalero in der Zeitung veröffentlicht wurde. Er schrieb darin, dass er bei der Schleyer-Entführung eine 'klammheimliche Freude' empfunden habe. Er hätte wenig Mitleid mit den Opfern der RAF, usw. Danach ging es im Unterricht darum, wie wir zu dem Thema stehen und was das bei uns auslöst.

Ricore: Wie standen Sie zu dem Thema?

Auer: Durch mein eigenes jugendliches Aufbegehren gegen Autoritäten und Kritik an bestehenden Strukturen verstand ich zwar die Ziele der RAF, aber ich habe Gewalt als Mittel immer abgelehnt.

Ricore: Das heißt es ging Ihnen mehr um Kunst und Ästhetik denn um Politik?

Auer: Nein, aber trotzdem hatten wir alle eine Meinung. Und man ging dafür auf die Straße. Man konnte sich der Stimmung des Deutschen Herbstes '77 nicht entziehen.

Ricore: Das heißt, sie waren durchaus politisch interessiert.

Auer: Na ja, an der Schauspielschule gab es oft Diskussionen darüber, wer ans Stadt- bzw. Staatstheater und wer in die Off-Szene geht. Es ging darum, ob man subventioniertes oder freies Theater macht. Angepasst ist oder nicht.
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Sebastian Koch mit Barbara Auer in "Das Wochenende"
Ricore: Sie waren also keine Rebellin.

Auer: Nein, aber trotzdem hatten wir alle eine Meinung. Und man ging dafür auf die Straße. Man konnte sich der Stimmung des Deutschen Herbstes '77 nicht entziehen.

Ricore: Hat sich das Aufbegehren gegen den Mainstream auch in ästhetischer bzw. künstlerischer Hinsicht geäußert?

Auer: Na ja, an der Schauspielschule gab es oft Diskussionen darüber, wer ans Stadt- bzw. Staatstheater und wer in die Off-Szene geht. Es ging darum, ob man subventioniertes oder freies Theater macht. Angepasst ist oder nicht.

Ricore: Ist dieser Unterschied heute noch so ausgeprägt?

Auer: Früher hieß es immer, dass die Theater-Schauspieler Kunst machen und die Fernseh-Schauspieler Kommerz. Meiner Meinung nach kann man das so nicht mehr sagen. Das vermischt sich. Immer mehr großartige Theater-Schauspieler drehen heute für Kino und Fernsehen. Es gibt nicht mehr diese kategorische Ablehnung nach dem Motto: 'Das würde ich nie machen. Katja Riemann, Sebastian Koch, Sylvester Groth, Tobias Moretti und ich haben alle am Theater angefangen und spielen auch noch Theater.

Ricore: Kann man den Unterschied zwischen Film und Theater auf folgende Aussage reduzieren: das eine fördert den Ruhm, das andere ist für Berufung?

Auer: Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Letztendlich geht es darum, ob man den Beruf mit Leidenschaft, Neugier und auch einem gewissen Mut ausübt. Und das ist sowohl beim Film, als auch am Theater wichtig.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 13. April 2013
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Das Wochenende (Kinofilm)
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2024