Jean-François Martin/Ricore Text
Regisseur Wong Kar Wai
Disziplin und formvollendete Eleganz
Interview: Neuer Wong Kar-Wai
Mit "2046" hat Wong Kar-Wai nicht nur den 'ultimativen Liebesfilm' inszeniert, wie das Melodram vom deutschen Verleih im Untertitel vermarktet wurde. Auch in thematischer Hinsicht konnte der Regisseur nicht mehr weitermachen. Sein Ausflug nach Hollywood hatte kein Erfolg. Nun wendet er sich nach "Ashes of Time: Redux" einem Genre zu, das für jeden chinesischen Filmemacher eine Herausforderung ist: der Martial-Arts. "The Grandmaster" ist nicht nur ein opulentes Actioner, sondern auch ein raffiniert erzählter Liebes- und Historienfilm. Im Gespräch mit Filmreporter.de verrät Wong Kar-Wai, warum das Epos nicht nur in seiner Karriere, sondern auch fürs Genre eine Zäsur markiert.
erschienen am 25. 06. 2013
Universum Film
Tony Leung in "The Grandmaster"
Ricore: Normalerweise spielen Martial-Arts-Filme in einer Parallelwelt. "The Grandmaster" ist vor dem Hintergrund historisch bedeutender Ereignisse angesiedelt. Warum spielt in Ihrem Film die Geschichte eine so wichtige Rolle?

Wong Kar-Wai: Für viele Menschen sind Kung-Fu-Filme Fantasie-Konstrukte. Tatsächlich können Martial-Arts-Film wie "Der Herr der Ringe" sein. Sie haben nichts damit zu tun, was auf der Welt passiert. Sie sind reine Fiktion und Romantik. "The Grandmaster" ist jedoch ein Kung-Fu-Film, den ich als Film über Kung-Fu bezeichne. Er handelt von Charakteren, die es tatsächlich gegeben hat. Es geht darum, wie sich die Kämpfer in der Geschichte verhielten und um ihre Philosophie.

Ricore: Inwiefern hat sich die Einstellung der Menschen zur Kampfkunst seit den Tagen Ip Mans gewandelt?

Kar-Wai: Zu Ip Mans' Zeiten gab es verschiedene Schulen, man hat die Kampfkunst als Geheimwaffe angesehen. Es war eine Zeit, in der die alten Meister erkannten, dass ihre Kampfkunst dem Land helfen kann. Es gab am Ende der Qing-Dynastie zwei Wege, die zur Revolution führten. Entweder durch Bildung oder - auf der dunklen Seite - durch Attentate. In "The Grandmaster" ist der alte Meister für die Bildung mit Hilfe der Kampfkunst verantwortlich. Nach 1949 wurde die Kampfkunst zur reinen Sportart, was von der Regierung gefördert wurde. Das hat die Sichtweise auf die Kampfkunst verändert. Es gibt heute keine Schulen mehr. Vielmehr werden verschiedene Formen miteinander zu einem einzelnen Standard-Programm kombiniert.

Ricore: Was fasziniert Sie an Kung Fu aus filmischer Sicht?

Kar-Wai: Zunächst einmal geht es um die körperlichen Fähigkeiten. Dann faszinieren mich die Werte und der Moralkodex, die die Kämpfer haben. Bezogen auf "The Grandmaster" reizte mich auch der Konflikt zwischen der südlichen und nördlichen Schule. Man merkt, dass diese Menschen Feuer hatten, wodurch sie sich erheblich von den Charakteren in meinen anderen Filmen unterscheiden. Es handelt sich um vielschichtige Menschen, die ich gerne erforschen wollte.

Ricore: Wie herausfordernd fanden Sie die Kampfchoreografien als Filmemacher?

Kar-Wai: "The Grandmaster" ist kein Film mit Jackie Chan oder Jet Li. Insofern musste ich meine Darsteller erst einmal trainieren lassen, damit sie in der Lage sind, zu kämpfen. Ich wollte, dass die Actionszenen authentisch sind, damit ich dem Geist der Kampfschulen gerecht werde. Das war sehr hart. Ich kann mich nicht an einen Martial-Arts-Film erinnern, der so aufrichtig und respektvoll gegenüber den traditionellen chinesischen Kampfkünsten ist.

Ricore: Ist der Film auch der Anfang einer neuen Periode in Ihrer Karriere?

Kar-Wai: Ja, er repräsentiert in meiner Karriere ein neues Kapitel, wie er auch ein neues Kapitel des Genre aufschlägt.

Ricore: Inwiefern ist "The Grandmaster" eine Neuausrichtung in Ihrer Karriere?

Kar-Wai: Der Film deckt eine Zeitperiode ab, die ich in meinen Filmen noch nie zuvor behandelt habe. Es handelt sich um einen Zeitraum von 30 Jahren. Darüber hinaus ist es das erste Mal, dass ich mich der Geschichte der chinesischen Republik angenommen habe.
Wild Bunch
Wong Kar-Wai am Set von "The Grandmaster"
Ricore: Die Kampfszenen in Martial-Arts-Filmen ähneln oft Tänze. Sie benutzen eine ähnliche Musik wie in "In the Mood for Love" als Untermalung der Actionsequenzen.

Kar-Wai: Der Unterschied zwischen Kampfkunst und Tanzen liegt darin, dass Tanzen nicht tödlich endet (lacht). Im Film gibt es drei große Kampfszenen, an die ich gestalterisch unterschiedlich herangegangen bin. Die erste zeigt Ip Man kämpfend im Regen. Hier ist er noch keine vierzig Jahre alt und betrachtet das Leben als Spaß. Auch die Kampfkunst betreibt er als Spaß. Der Kampf gegen seine zahlreichen Gegner gleicht für ihn einem Spiel. Aus diesem Grund habe ich die Szene nicht als Gewaltakt inszeniert. Die zweite große Kampfszene findet an einem Bahnhof statt. Hier ist das Motiv Rache und es geht um Leben und Tod. Hier musste ich aufrichtig gegenüber den Fähigkeiten der Kämpfer sein.

Ricore: Ihre Filme strahlen immer eine große stilistische Eleganz aus. Erzielen Sie das durch eine bewusste Herangehensweise oder ist das eher Ergebnis von Intuition?

Kar-Wai: Was meinen Stil angeht, so gehe ich nicht bewusst vor. Während der Recherche zu "The Grandmaster" ist mir aufgefallen, dass diese Menschen sehr elegant waren. Sie waren sehr diszipliniert und demütig. Sie standen jeden Morgen um drei Uhr auf und haben bis fünf trainiert. Ihr Lebensstil war wie eine Partie Schach, Kaligraphie und Musik.

Ricore: Sie drehen nebenbei auch Werbefilme. Wie halten Sie die Ästhetik zwischen Werbespots und Filmen auseinander?

Kar-Wai: Man wendet sich von der Werbebranche an mich, weil man will, dass ich meinen Stil in die Werbespots einbringe. Wenn es ihnen nur um den Clip gehen würde, könnten sie bessere Werbe-Regisseure bekommen. Insofern habe ich bei der Arbeit an Werbespots freie Hand.

Ricore: Wie haben Sie die Kampfszenen in "The Grandmaster" kameratechnisch umgesetzt. Benutzten Sie mehrere Kameras?

Kar-Wai: Es gibt viele Regisseure, die bei Kampfszenen mehrere Kameras benutzen, weil es den Dreh effizienter macht. Bei "The Grandmaster" haben wir alles mit einer Kamera gedreht. Die Kampfkunst ist etwas sehr Präzises. Aus diesem Grund musste auch jede Einstellung präzise geplant und umgesetzt werden.

Ricore: Tony Leung sagte, dass die Dreharbeiten zur ersten Kampfszene 30 Tage dauerten. Wie motivieren Sie Ihre Schauspieler in solchen anstrengenden Zeiten?

Kar-Wai: Tony Leung ist ein Schauspieler und kein Kung-Fu-Star. Viele Zuschauer wissen, dass er ein toller Schauspieler ist. Daher waren sie neugierig zu erfahren, ob er auch ein großer Kämpfer ist. Indem wir mit dem Prolog anfangen, sollen die Zuschauer ihr Urteil schnell fällen. Danach brauchten sie sich keine Gedanken darüber machen, ob Tony gut ist oder nicht. Auch für Tony war diese Szene am Anfang wichtig. Er wollte nach einem Jahr harten Trainings beweisen, dass er kämpfen kann.

Ricore: Fanden die Dreharbeiten ausschließlich im Studio statt, oder gibt es noch einige Flecken in China, in denen der Geist der Vergangenheit zu spüren ist?

Kar-Wai: Wir haben "The Grandmaster" zum Teil im Süden Chinas sowie in der Mandschurei gedreht. Einige Szenen wurden vor Ort in einer Stadt gedreht, die zwei Stunden von Guangzhou entfernt ist. Trotz einiger gut erhaltenen Ecken gibt es dort überall Fabriken. Aus diesem Grund musste der andere Teil des Films im Studio gedreht werden. Ein anderes Problem war, dass der Original-Drehort tagsüber zu bevölkert und zu laut war. Daher mussten wir nachts arbeiten.
Wild Bunch
Tony Leung in "The Grandmaster"
Ricore: Wie schwierig war es, einen so aufwendigen Film in Zeiten der Wirtschaftskrise zu finanzieren?

Kar-Wai: Weil es sich um ein populäres Genre handelt und der Markt in China wächst, war es uns möglich, eine Produktion solchen Ausmaßes zu finanzieren. Vor einigen Jahren wäre das unmöglich gewesen.

Ricore: Jeder spricht heute über den chinesischen Filmmarkt. Glauben Sie, dass er eines Tages den US-amerikanischen überflügeln wird?

Kar-Wai: Wegen der Bevölkerungsdichte wächst der Markt schnell an. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er eines Tages größer sein wird, als der US-amerikanische Filmmarkt. Wenn, dann passiert das nicht über Nacht. Wegen der Lebensbedingungen der Menschen braucht es noch eine Weile. Hinzu kommt, dass die chinesische Regierung Koproduktionen fördert. Man stellt den Filmemachern mehr Gelder für die Realisierung von Projekten zur Verfügung.

Ricore: Stimmen die Gerüchte, dass Sie zwecks des besseren Verständnisses eine neu geschnittene Version von "The Grandmaster" für den westlichen Markt herausbringen werden?

Kar-Wai: Das ist Wunschdenken unserer Verleiher. Das stimmt nicht.

Ricore: Es wird also keine zugänglichere Version für den Westen geben, um ein breiteres Publikum zu erreichen?

Kar-Wai: Nein, das Publikum ist breit genug (lacht). Ich fasse das aber als Kompliment auf. Schließlich steckt dahinter der Wunsch, dass man mehr vom Film sehen will, am besten eine Drei-Stunden-Version. Es bedeutet, dass die Verleiher den Film mögen. Sonst würden sie sich eine andere, 30 Minuten kürzere Version wünschen.

Ricore: Haben Sie heute mehr Gestaltungsfreiheit bei Ihren Filmen als früher.

Kar-Wai: Nicht mehr und nicht weniger. Wir produzieren die Filme so, wie wir glauben, dass es richtig ist.

Ricore: "The Grandmaster" ist eine Koproduktion mit China. Waren Sie nicht dennoch Restriktionen ausgesetzt?

Kar-Wai: Es gibt ein grundlegendes Missverständnis über die chinesische Zensur-Politik. Wenn man in China einen Film machen will, muss man das Drehbuch vor den Dreharbeiten der Zensurbehörde einreichen. Sicher kann man ohne Erlaubnis drehen. Das bedeutet aber, dass man keine Erlaubnis für die Vermarktung des Films bekommt. China hat ein sehr altes Zensursystem. Es gibt keine Altersfreigabe. Die Filme sollten von allen Altersstufen gesehen werden. Wenn ein Film nicht für ein Kind geeignet ist, gibt es ein Nein und man muss die fragwürdigen Szenen schneiden. Die Zensurbehörde ist heute gemeinsam mit den Filmemachern bemüht, das System der Altersfreigabe anzuwenden. Wenn das durchgesetzt wird, werden die Künstler mehr kreativen Spielraum haben. Dann wird es mehr interessante Projekte geben.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 25. Juni 2013
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