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Regisseur Niko von Glasow freut sich über die erfolgreiche Arbeit an "Niko von Glasows Alles wird gut"
"Alle Menschen sind behindert!"
Interview: Nachdenklicher Niko von Glasow
Niko von Glasow ist der Meinung, dass alle Menschen behindert sind. Dies äußert der sympathische Regisseur im Interview mit Filmreporter.de. Wir sprachen mit ihm anlässlich der Uraufführung seiner Dokumentation "Niko von Glasows Alles wird gut". Offen und nachdenklich spricht der gebürtige Kölner mit uns über seine Contergan-Erkrankung und seine eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung. Zudem erläutert von Glasow, weshalb Menschen davor zurückschrecken, Schwächen zuzugeben und was ihn von Claudia Schiffer unterscheidet.
erschienen am 2. 11. 2012
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Niko von Glasows Alles wird gut
Ricore: Wie definieren Sie den Begriff Behinderung?

Nico von Glasow: Das ist eine gute Frage. Was ist behindert? [Überlegt] Behindert ist, wenn man eine Schwäche hat, die einen hindert. Deswegen glaube ich zutiefst, dass alle Menschen behindert sind, denn jeder von uns hat eine Macke. Ich glaube, dass es darum geht, dass wir hingucken und uns fragen was wir sind. Dazu gehört auch mal eine Macke. Ich glaube, wir können nur wirklich zu uns finden, wenn wir sagen: 'Ich bin Vater, ich bin körperbehindert. Ich bin Raucher, ich bin all das. All das gehört zu mir.' Dann kann ich mir das angucken und auch anders betrachten. So kann aus der sogenannten Behinderung auch eine Kraft entstehen.

Ricore: Warum wird in der Öffentlichkeit das Behindertendasein fast immer nur auf geistige beziehungsweise körperliche Behinderungen reduziert?

Von Glasow: Der Mensch besteht aus Körper und Geist und bei den meisten Menschen sieht man die Behinderung nicht sofort. Bei mir erkennt man sie auf den ersten Blick, die Macke von Claudia Schiffer hingegen nicht. Aber sie hat sie und zwar ganz eindeutig. Deswegen hat Claudia Schiffer es eventuell auch schwerer mit ihrer Seele, weil sie so einfach hat, ihre Probleme zu übertünchen. Wenn sie jedoch irgendwann nicht mehr so hübsch ist, explodieren ihre Probleme. Wenn man hingegen ein offensichtliches Problem hat und man gezwungen ist sich damit auseinanderzusetzen, ist das eigentlich etwas Positives, da man es dadurch besser verarbeiten kann.

Ricore: Liegt die eingeschränkte Wahrnehmung vieler daran, dass sie sich nicht eingestehen wollen, dass sie Schwächen haben?

Von Glasow: Es ist ein ziemlich interessantes Phänomen, dass der Mensch Angst davor hat eigene Schwächen zuzugeben, obwohl es das Schönste und das Befreiendste ist was es gibt. Deswegen ist es auch so wichtig, beispielsweise bei den Anonymen Alkoholikern, das eigene Problem auszusprechen. Man muss dort sagen: 'Ich bin Alkoholiker'. Auch für mich war es eine unglaubliche Erfahrung mich vor ein großes Publikum hinzustellen und zu sagen: 'Mein Name ist Niko, ich bin behindert!' Das hört sich total banal an, weil man ja sieht, dass ich behindert bin. Sie wissen wahrscheinlich auch, dass Ihr Vater Alkoholiker ist. Alle wissen es, aber trotzdem geben wir es nicht zu. Das Veröffentlichen der eigenen Schwäche befreit daher von einer Last.
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Niko von Glasow ("Niko von Glasows Alles wird gut")
Ricore: Ihre Arbeit mit den Schauspielern in "Alles wird gut" hat schon fast therapeutische Züge. Inwieweit konnten Sie den Darstellern helfen, besser mit sich selbst klar zu kommen?

Von Glasow: Als Regisseur bin ich immer auch Therapeut. Im Prinzip bin ich Vater, Mutter, Seelsorger und Therapeut zugleich. Aber ich versuche meinen Schauspielern immer klar zu machen: 'Das was wir hier machen ist keine Therapie, sondern ein Theaterstück, oder ein Film und euer Schmerz ist euer Handwerkszeug. Wenn ich euch euren Schmerz nehmen würde, wärt ihr keine Schauspieler mehr. Denn das ist das Handwerkszeug mit dem ihr arbeiten müsst.' So etwas ist ein sehr interessanter Prozess. Am Actors Studio in New York habe ich das Führen von Schauspielern gelernt. Dort arbeiten sie sehr viel mit psychologischen Mitteln. Ich lernte, dass es meine Aufgabe als Regisseur ist sehr nah heranzugehen, auch in schmerzhafte Bereiche. Aber meine Verpflichtung ist auch, dass kein Schauspieler in das große schwarze Loch fällt. Das ist der Bereich der Professionalität: Ich teste Grenzen aus und passe gleichzeitig auf, dass alles im Rahmen bleibt.

Ricore: In der Dokumentation fragen Sie die Schauspieler, was ihr größter Traum im Leben sei. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Von Glasow: [Überlegt lange] Ich wünsche mir für mich selber, dass ich es mehr schaffe in der Gegenwart zu leben und die Geschenke des Lebens besser anzunehmen, also die Gegenwart mehr genießen zu können.

Ricore: Liegt es am beruflichen Stress, dass Sie nicht in der Gegenwart leben können?

Von Glasow: Ich glaube nein, denn eigentlich habe ich gar keinen beruflichen Stress. Stress ist gar nicht mein Problem, ganz im Gegenteil. Umso mehr wilde Welt um mich herum ist, desto ruhiger bin ich in meinem Verhalten. Ich glaube einfach, dass es ein menschliches Problem ist, dass wir immer in die Zukunft gucken, anstatt zu genießen, dass wir jetzt hier sitzen, umsonst in diesem Hotel zusammen sein dürfen und auch noch kostenfrei Champagner bestellen könnten, wenn wir denn wollten.
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Regisseur von "Niko von Glasows Alles wird gut"
Ricore: Das Theaterstück thematisiert auch die Ausgrenzung von Behinderten. Welche Erfahrungen haben Sie mit Diskriminierung selbst gesammelt? Niko von

Von Glasow: [Überlegt lange] Im Grunde habe ich noch nie eine direkte negative Erfahrung aufgrund meiner Behinderung gemacht, ich habe diesbezüglich wahnsinniges Glück. Ich bin 1960 geboren worden und als Kind aufgrund meiner Behinderung oft hingefallen, da ich mich wegen meiner kurzen Arme nicht abstützen konnte. Ich bin also immer mit meinem großen Schädel auf den Boden geknallt und hatte andauernd Gehirnerschütterungen. Meine Mutter hat mich deshalb immer auf ihrer Hüfte getragen, also ganz eng bei sich. Ich bin liebevoll behütet aufgewachsen, in einer toleranten bourgeoisen Familie. Das hat viel geholfen. Allerdings konnten mir meine Eltern im Filmgeschäft trotz mancher Kontakte nicht so viel helfen. Das musste ich schon selber machen [lacht].

Ricore: Wie kamen Sie zum Film?

Von Glasow: Ich bin in Köln aufgewachsen und nach dem Abitur nach München zu den Bavaria Studios gefahren und habe gefragt: 'Wo geht es hier zum Film?' Sie haben mich dann zur Halle 8 geschickt und dort habe ich schließlich zunächst als Kaffeemacher angefangen. Der Regisseur dort hieß Rainer Werner Fassbinder und so hat alles begonnen. Also ganz doof als Praktikant. Ich habe danach noch für Jean-Jacques Annaud, Peter Zadek und so weiter gearbeitet, war an den Filmhochschulen von New York und Lodz, bin aber auch von vielen Filmschulen wegen meiner Behinderung abgelehnt worden.

Ricore: Haben die Menschen Ihnen das direkt gesagt?

Von Glasow: Ja. Sie haben gesagt: 'Du kannst keinen Ton machen, du kannst keine Kamera halten.' Damals herrschte noch die Philosophie, dass man alles mal ausprobiert haben muss und später auch im Mindestmaß beherrschen sollte. Allerdings war das natürlich totaler Quatsch, was die damals meinten. Ich kann Ton und Kamera machen.
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Regisseur Niko von Glasow bei der Arbeit zu "Niko von Glasows Alles wird gut"
Ricore: Wie verletzt fühlt man sich in solchen Momenten?

Von Glasow: Natürlich sehr. Niemand würde zugeben, dass er behindertenfeindlich ist. Insbesondere Intellektuelle, die fürs Fernsehen arbeiten. Aber natürlich sind wir alle in gewisser Weise behindertenfeindlich. Natürlich haben wir eine Scheu. Und natürlich wäre es gut, wenn Menschen zugeben würden, dass sie eine Scheu vor Behinderten haben und ihnen deshalb auch keine Jobs geben. Die schlechten Jobs bekommt man immer. Aber Vorstandsjobs beispielsweise erhält ein körperlich Behinderter nie.

Ricore: Wird sich das irgendwann ändern?

Von Glasow: Für viele Tausend Jahre waren Männer die Führungskräfte. Also muss sich die Menschheit erst einmal daran gewöhnen, Frauen als Führungskräfte zu akzeptieren. Einen Behinderten als Führungskraft auszusuchen, das sogenannte schwächste Glied in der Gruppe, zum Anführer zu machen, dazu bedarf es hoher Intelligenz. Ich hoffe, dass es nicht so lange wie bei den Frauen dauert, bis sich körperlich Behinderte in Spitzenpositionen etabliert haben.

Ricore: Wie sehen Sie die wissenschaftliche Forschung, die darauf ausgerichtet ist, Behinderungen jeder Art auszumerzen?

Von Glasow: Bei den Dreharbeiten von "Alles wird gut" habe ich gemerkt, wenn ich nach der Arbeit mit der Straßenbahn nach Hause gefahren bin und viele der sogenannten nicht-Behinderten sah, dass alle irgendwie traurig wirkten, bei uns am Set hingegen sehr viel Lebensfreude herrschte. Ich finde immer wieder, wenn ich auf Menschen mit offensichtlichen körperlichen Problemen treffe, dass da mehr Lebensfreude ist, als bei denjenigen, die es vordergründig ganz gut haben. Wenn du nach Afrika gehst, siehst du, dass die Menschen dort mehr lachen. Warum sind die Leute in Deutschland alle so griesgrämig? Weil es ihnen zu gut geht! Insofern ist ein gewisses Problem im Leben, mit dem man sich herumschlagen muss, für die eigene Seele vielleicht gar nicht so schlecht.

Ricore: Also kann man Ihre Aussage insofern zusammenfassen, als dass man ein gewisses Handicap haben muss, um glücklich sein zu können?

Von Glasow: Nein. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass aus Glück, Geborgenheit und Liebe am Meisten entstehen kann. [Überlegt lange] Wenn aber Geborgenheit und Liebe zusammenfällt mit konkreten fassbaren Problemen, dann kann für einen Menschen noch mehr Energie entstehen. Wenn ein schöner Fluss fließt, entsteht erst einmal nicht so viel Energie, außer man hängt eine Turbine, also ein Hindernis rein. Dann entsteht große Energie. Dennoch braucht man vorher diese gewisse positive Grundenergie, damit etwas Größeres entstehen kann. Es ist eine sehr deutsche Vorstellung, dass der Künstler erst leiden muss, um Besonderes schaffen zu können. Die größten Probleme unserer Konsumgesellschaft sind Sucht und Einsamkeit. Diese Probleme führen jedoch zu gar keiner Kreativität und zu gar keinem Lachen und zu gar keiner Schönheit. Aber körperliche oder geistige Hindernisse, die können zu Freude führen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 2. November 2012
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Niko von Glasow sammelt 1980 erste Filmerfahrungen als Produktionsassistent von Rainer Werner Fassbinder bei dessen Produktion "Lola". Fortan arbeitet der gebürtige Kölner mit renommierten Regisseuren wie Alexander Kluge, Peter Zadek, Jean-Jacques Annaud und Hellmuth Costard. 1990 entsteht von Glasows erste Regiearbeit, dem Kurzfilm "Hochzeitsgäste". NoBody's Perfect" um zwölf Contergangeschädigte, die sich trotz aller Hindernisse ein fast normales Leben führen.
Niko von Glasow dokumentiert in "Alles wird gut" den Entwicklungsprozess eines Theaterstücks, bei dem behinderte und nicht behinderte Menschen sowohl auf als auch hinter der Bühne zusammenarbeiten. Der Regisseur, der selber Contergan-geschädigt ist, siedelt seinen Film gattungstechnisch zwischen Dokumentar- und Spielfilm an. Obwohl er einen realen Prozess beobachte, bewege sich sein Werk stets an der Grenze der Realität, weil er Menschen zeige, die wie Schauspieler Rollen spielen.
2024