Real Fiction Film
Sandra Hüller in "Über uns das All"
Filme sind nicht mein Alltag
Interview: Sandra Hüller auf Bühne Zuhause
Sandra Hüller sucht sich mit Vorliebe extreme Rollen aus. Sie spielt gerne Figuren, die rätselhaft und abgründig. Filme sind für sie Gedankenexperimente, die sie zum Nachdenken anregen und an denen sie wachsen kann. Ein solches Experiment ist auch "Finsterworld". Die Tragikomödie zeichnet ein verstörendes Abbild der deutschen Wohlstandsgesellschaft und glänzt mit einer Riege großartiger Darsteller. Allen voran sei Sandra Hüller als exzentrische Dokumentarfilmerin genannt. Filmreporter.de traf die 35-Jährige im Rahmen des Filmfests München 2013, wo "Finsterworld" seine Weltpremiere feierte.
erschienen am 21. 10. 2013
Alamode Film
Finsterworld
'Immer wieder auf mich selbst zurückgeworfen'
Ricore Text: Sie sind bei der Auswahl Ihrer Filmrollen sehr wählerisch. Warum haben Sie sich für "Finsterworld" entschieden?

Sandra Hüller: Wie fange ich am besten an (lacht). Mich hat vor allem die Sprache von Christian Kracht und Frauke Finsterwalder begeistert. Außerdem faszinierte mich die Ambivalenz der Figuren und der Dinge, die gesagt werden. Ich konnte mich als Schauspielerin nirgends positionieren und wurde immer wieder auf mich selbst und meine eigene Haltung zurückgeworfen - und auch zu meinem Land, auch wenn ich nicht direkt daran gedacht habe, dass der Film exemplarisch für Deutschland steht. Das wurde mir erst durch die Interviews klar.

Ricore: Sie sagten mal, dass Sie gerne Charaktere verkörpern, welche die Zuschauer nicht lieben. Gehört Franziska zu dieser Kategorie?

Hüller: Ich würde nicht sagen, dass ich gerne Figuren spiele, die keiner mag. Es ist eine besondere Herausforderung, Menschen darzustellen, die unsympathisch und egozentrisch erscheinen, um in ihnen dann doch etwas zu finden, was sie den Zuschauern nahebringt. Auf diese Weise erkennen Sie etwas von sich selbst, sei es ihre eigene Egozentrik oder ihren eigenen Ehrgeiz, etwas Einzigartiges und Schönes zu erschaffen.

Ricore: "Finsterworld" ist ein Ensemblefilm, der eine eigentümliche Atmosphäre ausstrahlt. Er ist märchenhaft und surreal. Wie schwierig war es für alle Beteiligten, zu dieser Stimmung beizutragen?

Hüller: Die hat Frauke mit uns wahrscheinlich im Lauf der Arbeit erarbeitet. Es gab für diese Stimmung, die ja wesentlich mit der Optik zusammenhängt, keinen speziellen Austausch. Als Schauspieler sieht man zunächst nicht, was in der Kamera am Ende ankommt. Wir konzentrieren uns auf die inneren Vorgänge und das Zusammenspiel mit den Kollegen.

Ricore: Konnte man die Tonlage schon am Drehbuch erkennen, oder hat sie sich durch die Inszenierung ergeben.

Hüller: Das es eine Art Märchen- oder Traumwelt werden wird, war im Drehbuch spürbar. Aber wie das im Endeffekt aussehen würde, wusste vorher niemand. Die Figuren agieren in "Finsterworld" in einer Art Zwischenraum, den man nicht bestimmen kann. Das alles war durchaus im Buch zu spüren. Ebenso wie dieses seltsame Moment des Exemplarischen und Theoretischen. Christian und Frauke haben eine sehr literarische Sprache, wie man sie selten in Drehbüchern findet. Drehbuchautoren versuchen oft, eine Alltagssprache zu kreieren, was selten gelingt. Bei "Finsterworld" fand ich die Brillanz der Sprache faszinierend.

Ricore: Franziska ist trotz des tristen bis tragischen Hintergrundes auch eine komische Rolle. Empfehlen Sie sich mit "Finsterworld" als Komödien-Darstellerin, da Sie doch sonst vor allem in ernsten Filmen mitspielen.

Hüller: Ich spiele noch immer sehr gerne ernste Rollen, finde es aber auch toll, etwas Komisches zu machen. Wenn man jemanden findet, der komisch schreiben kann, ohne platt zu sein, dann ist das ein großes Geschenk.
Alamode Film
Sandra Hüller in "Finsterworld"
Sandra Hüller: keine Lust über den deutschen Film zu lamentieren
Ricore: "Finsterworld" lief bei den Filmfestspielen München in der Sektion Neuer deutscher Film. Wie steht es um den deutschen Film aus Ihrer Sicht?

Hüller: Soll ich ganz ehrlich sein? Ich habe keine Lust darüber zu reden. Ich habe darüber keine Theorie und finde, die Leute sollen die Filme machen, die sie bewegen und erzählen, was sie erzählen möchten. Es wird immer ein Bild der Zeit und Gesellschaft werden, in der wir leben. Auch wenn man das erst im Rückblick 20 Jahre später merkt. Die ganze Mäkelei am deutschen Film oder überhaupt an allem, was Menschen auf die Beine stellen, ist immer sehr müßig.

Ricore: Jedenfalls bleiben Sie dem deutschen Film treu - entgegen der Tendenz, dass deutsche Schauspieler in internationalen Koproduktionen mitwirken.

Hüller: Es gab bis jetzt keine Angebote und ich habe auch keine Ambitionen, in internationalen Produktionen mitzuspielen. Die Tendenz, die Sie ansprechen, hat vor allem damit zu tun, dass immer mehr ausländische Filmemacher nach Deutschland kommen, um Filme zu machen. Es gibt für sie hier Gelder und Orte, wo sie drehen können. Dafür brauchen sie deutsche Schauspieler.

Ricore: Sie sagten mal, dass Sie mit dem Film fremdeln. Hat sich das mittlerweile gelegt?

Hüller: Nein, das ist immer noch so. Ich bin Theaterschauspielerin und das wirklich sehr gerne. Ich fühle mich sehr wohl auf der Bühne. Ich mache zwar gerne Filme, aber es ist nicht mein Alltag.

Ricore: Was treibt Sie als Schauspielerin an?

Hüller: Ich setze mich gerne mit Themen und Figuren auseinander, die mir was Neues erzählen und an denen ich wachsen kann. Das ist mein Beruf.

Ricore: Machen Sie auch Filme für die Geschichte?

Hüller: Nein, so etwas kann man nicht absehen, insofern kann das kein Entscheidungsgrund für einen Stoff sein. Man weiß nie vorher, ob und welchen Nerv ein Film am Ende trifft. Die Rollenauswahl ist bei mir eine rein private Entscheidung.
Filmlichter
Sandra Hüller in "Brownian Movement"
Erholung nach heftigen Rollen?
Ricore: Brauchen Sie nach extremen Rollen wie in "Brownian Movement" nicht Erholungsphasen - sei es in beruflicher oder privater Art?

Hüller: Ich habe neben dem Beruf mein Leben und da finde ich mich zurecht. Dort finden all die Dinge, die ich auf der Leinwand spiele, nicht statt. Filme sind in gewisser Weise ja auch Gedankenexperimente. Hier werden Fragen wie 'Was wäre, wenn' gestellt. Bei "Brownian Movement" haben wir uns mit der Freiheit in der Liebe beschäftigt. Was ist freie Liebe und warum glauben wir, den Partner zu kennen? Warum darf ein Mensch nicht die Sachen machen, die zu ihm gehören? Warum muss er so sein, wie es uns gefällt usw.

Ricore: Nehmen Sie eine Rolle schon mal ins Privatleben mit?

Hüller: Für mich sind das zwei verschiedene Dinge: aus einer Rolle nicht aussteigen zu können und die Tatsache, dass einen der Stoff beschäftigt. Dass mich ein Thema beschäftigt, empfinde ich als Bereicherung. Ich mag das sehr, mich gedanklich an Figuren und Stoffen zu reiben. Sonst würde ich etwas anderes denken, das vielleicht nicht so interessant wäre (lacht).

Ricore: Glauben Sie, dass man mit der Zeit und Erfahrung auch konventionellere Rollen anzunehmen bereit ist? Ganz nach dem Motto: heute die aufreibende Kunst, morgen der Spaß und Broterwerb.

Hüller: "Ich weiß nicht, was das sein soll, eine konventionelle Rolle."

Ricore: Nach "Requiem" legten Sie eine einjährige Pause ein. Das heißt, den Abstand vom Beruf brauchen Sie hin und wieder schon.

Hüller: Ja, diesen Abstand brauche ich schon. Wenn ich in einem Film mitspiele, dann bin ich mit dem Projekt und der Figur verwachsen. Anschließend brauche ich die Zeit, um wieder zu mir zu kommen und zu wissen, wo meine Wohnung ist.

Ricore: Und wo finden Sie diese Erholungsnische?

Hüller: Zuhause. Mit mir allein.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 21. Oktober 2013
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Gleich für ihre erste Kinorolle wird Sandra Hüller mit dem Nachwuchspreis des Requiem" spielt sie die Epileptikerin Anneliese Michel, an der ein religiöser Exorzismus durchgeführt wird. Ihre Schauspielausbildung schließt sie im Jahr 2000 an der Hochschule für Schauspielkunst Brownian Movement" und Franziska in der preisgekrönten Tragikomödie "Finsterworld". Seit Herbst 2011 steht Sandra Hüller wieder bei den Münchner Kammerspielen auf der Bühne. Seit Anfang 2011 ist Hüller Mutter einer..
Finsterworld (Kinofilm)
2024