Carlos Corbelle/Ricore Text
Nicolas Winding Refn in München (2010)
'Kinder verändern den Blickwinkel'
Interview: Nicolas Winding Refns Wandlung
Der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn hat sich spätestens mit seinem Thriller "Drive" auch international einen Namen gemacht. In seinem Drama "Only God Forgives" geht er mit seinen Gewaltdarstellungen einmal mehr an die Grenze. Im Gespräch mit Filmreporter.de verrät Refn, warum er stolz auf seinen schlechten Geschmack ist und warum er sich mit Deutschland verbunden fühlt. Außerdem erklärt uns der Ausnahme-Regisseur, welche Auswirkungen die Geburt seiner Kinder auf seinen Beruf haben und warum er ungern in Hollywood dreht.
erschienen am 18. 07. 2013
Tiberius Film
Nicolas Winding Refn mit Darstellerin Kristin Scott Thomas ("Only God Forgives")
"Wenn man nicht furchtlos ist, wiederholt man sich"
Ricore Text: Sie haben mal gesagt, dass guter Geschmack und Vernunft der größte Feind von Kreativität sei. Da Ihre Filme äußerst kreativ sind, sind Sie also unvernünftig und haben einen schlechten Geschmack?

Nicolas Winding Refn: Ich achte immer darauf, etwas zu finden, das nicht dem entspricht, was als guter Geschmack angesehen wird. Wenn das bedeutet, dass ich einen schlechten Geschmack habe, bin ich stolz darauf.

Ricore: Muss man auch furchtlos sein?

Refn: Definitiv. Denn wenn man nicht furchtlos ist, wiederholt man sich ständig. Für manche mag das okay sein, ich will aber nicht dasselbe mehrfach machen.

Ricore: Warum ist die Mutterfigur in "Only God Forgives" so böse?

Refn: Frauen können das ultimative Böse sein.

Ricore: Die Darstellerin der Mutter, Kristin Scott Thomas, sieht im Film nicht wie gewohnt aus. Können Sie mir etwas über ihre Verwandlung berichten?

Refn: Ich habe Kristin ein paar Ideen mitgegeben, wie ihr Charakter aussehen könnte. Aber ich möchte eigentlich, dass Darsteller eine eigene Vorstellung davon entwickeln, wie ihre Figur optisch rüberkommen soll. So kann man mit dem Schauspieler gemeinsam den Charakter erarbeiten. Und so weiß er oder sie, dass man immer 200 Prozent geben muss.

Ricore: Ihre Charaktere kämpfen stets mit dem Leben. Wie viel von Ihren eigenen Kämpfen ist in Ihren Filmen?

Refn: Ich denke, dieser Aspekt ist für jeden essentiell, denn das Leben ist nicht einfach. Jeden Tag muss man kämpfen.

Ricore: Ihre Figuren reden nicht sehr viel. Sie arbeiten mit sehr eindrücklichen Bildern. Wie vermitteln sie das Ihren Darstellern?

Refn: Ich schreibe zu Beginn die Dialoge und streiche sie dann nach und nach. So wird den Schauspielern die übliche Kommunikationsform der Rede genommen und sie müssen ihren ganzen Körpers einsetzen, um sich auszudrücken. Bei diesem Verfahren trete ich in einen intensiven Dialog mit den Darstellern ein.
Tiberius Film
Behind the scenes: Ryan Gosling mit Regisseur Nicolas Winding Refn
Buhrufe aus dem Publikum
Ricore: Bei der Premiere von "Only God Forgives" in Cannes gab es einige Buhrufe aus dem Publikum wegen der gezeigten Gewalt. Warum ist die Gewalt für manche Zuschauer so schwer erträglich?

Refn: Ich weiß es nicht. Vielleicht sind manche Menschen verstört von der emotionalen Gewalt in meinen Filmen.

Ricore: Ist das Medium Film für Sie ein Ventil, um Ihre gewalttätigen Fantasien auszuleben, ohne im Gefängnis zu landen?

Refn: (lacht) Ich denke, dass jede Kunstform ein Weg ist, deine inneren Dämonen zu veräußerlichen, ohne deinem Umfeld zu schaden. Kunst ist immer ein Ausdruck von den Dingen, mit denen du zu kämpfen hast. Sie kann auch das Publikum von seinen eigenen Kämpfen befreien.

Ricore: Welcher Regisseur hat Sie am meisten beeinflusst?

Refn: Ich mag diverse Regisseure, aber keinen im Speziellen. Vielmehr trifft man sehr unterschiedliche Menschen in speziellen Momenten, wenn man einen Film dreht.

Ricore: Ist Martin Scorsese einer der Regisseure?

Refn: Natürlich. Während dem Dreh meiner "Pusher"-Reihe haben mich die Scorsese-Filme mit ihrem Bild vom New York der 1970er schon beeinflusst. Auch als ich "Bronson" gedreht habe, wurde ich von diesen Werken inspiriert.

Ricore: Ryan Gosling scheint ja so etwas wie eine Muse für Sie zu sein. Welche Qualitäten hat der Schauspieler, die andere nicht haben?

Refn: Eine seiner großen Stärken ist, dass er absolut furchtlos ist. Zudem hat Ryan eine sehr scharfe Intuition, so dass man toll mit ihm zusammenarbeiten kann. Ich bin überhaupt sehr froh in Person von Mads Mikkelsen, Tom Hardy und Ryan Gosling mit den drei besten Darstellern der Welt Filme gemacht zu haben.

Ricore: Sie haben Filme in Kopenhagen, Los Angeles und Bangkok gedreht. Werden Sie eines Tages einen Underground-Film über die Verbrecher-Szene in Berlin drehen?

Refn: Man soll nie nie sagen (lacht). Wo ein Film gedreht wird, hängt immer davon ab, welche Idee man hat. Ich mag Deutschland und seine Filme sehr. Meine Frau ist die biologische Tochter von Regisseur Fritz Lang [das ist ironisch gemeint, A.d.Red.]. Daher fühle ich mich sehr mit Deutschland verbunden.
Tiberius Film
Behind the szenes: Ryan Gosling wir geschminkt für "Only God Forgives"
Nicolas Winding Refn: Hollywood ist eben eine Maschinerie
Ricore: Als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent haben Sie auf gewisse Weise göttliche Macht. Sind sie eher ein rachebesessener oder ein vergebender Gott?

Refn: Ich würde sagen wie der Gott des Alten Testament, wo er sinngemäß sagt, dass man ihn wegen seiner Grausamkeit fürchten und aufgrund seiner Güte lieben solle.

Ricore: Gab es einen Plan B für den Fall, dass Sie nicht Regisseur geworden wären?

Refn: Nein. Deswegen bin ich sehr rücksichtslos und ambitioniert in Bezug auf meine Karriere.

Ricore: Gibt es irgendetwas, dass Sie abseits des Kinos interessiert?

Refn: Ich denke, ich bin nicht mehr so interessiert am Kino wie früher. Seit ich Kinder bekommen habe, habe ich eine Vorstellung davon, wie begrenzt der Horizont von Kinofilmen ist. Ich habe mich seitdem mehr damit beschäftig, dass Film einfach eine bestimmte Kunstform mit vielen Möglichkeiten ist. Auch das Filmemachen hat nicht so sehr mit dem Ergebnis, sondern vielmehr mit dem Prozess zu tun. Das sollte man niemals vergessen.

Ricore: Mads Mikkelsen hat erwähnt, dass er mit Ihnen immer über Sport und andere Dinge reden wollte, aber das hätte Sie nicht interessiert. Er erwähnt auch mal, dass er etwas verärgert sei, dass Sie ihn nicht mehr anrufen würden. Stimmt das?

Refn: Also ich habe ihm erst kürzlich gesagt, dass ich mir wünschen würde, unseren nächsten gemeinsamen Film in Tokio zu drehen. Mads ist einfach ein unglaublicher Schauspieler und sieht auch noch sehr gut aus. Wir haben zusammen angefangen, also müssen wir auch zusammen enden.

Ricore: Sie sind mittlerweile ein bekannter Regisseur in Hollywood. Was halten sie von der Traumfabrik?

Refn: Es ist eben einfach eine Maschinerie. Ich habe niemals einen Film in Hollywood gemacht, also nie im System von Hollywood gearbeitet. Ich finde es sehr lustig, dort zu sein, aber ich weiß nicht, ob ich der Richtige dafür bin, innerhalb dieses Systems Filme zu drehen. Ich will einfach weiterhin meine kreativen Freiheiten behalten. Ich bin noch nicht bereit, das gegen die Chance einer größeren Vermarktung einzutauschen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 18. Juli 2013
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2024