Sony Pictures
Julianne Moore in "Carrie"
'Einsamkeit tut dem Menschen nicht gut'
Interview: Mit Julianne Moore in den Abgrund
Braucht es nach Brian de Palmas Horror-Klassiker "Carrie - Des Satans jüngste Tochter" eine weitere Verfilmung von Stephen Kings Romandebüt "Carrie"? Wenn Julianne Moore darin eine der abgründigen Gestalten verkörpert, sollte man sich die Neufassung ansehen. Die Charakterdarstellerin spielt in Kimberly Peirce' Horror-Thriller "Carrie" die gestörte Mutter der Titelfigur, die sie als religiöse Psychopathin mit Schuldgefühlen anlegt. Im Interview mit Filmreporter.de spricht die 52-Jährige über ihre Herangehensweise an den klassischen Stoff, die Zusammenarbeit mit Nachwuchs-Schauspielerin Chloe Moretz und den Paten des Nervenkitzels, Stephen King.
erschienen am 4. 12. 2013
Sony Pictures
Julianne Moore mit Filmtochter Chloë Grace Moretz in "Carrie"
"Ich hatte ein großartiges Jahr"!
Ricore Text: Ist die Rolle der Mutter in "Carrie" die verrückteste Person, die sie jemals verkörpert haben?

Julianne Moore: Das kann sein. Margaret ist ganz schön gestört. In "Wilde Unschuld" war die Protagonistin auch ziemlich verrückt [Moore verkörpert in dem Drama eine alkoholkranke Frau, die ihren schwulen Sohn zum Sex zwingt; Anm. der Redaktion], aber sie war eher eine Soziopathin. Diese hier ist eine Psychopathin.

Ricore: Sie haben ein interessantes Jahr hinter sich. In "The English Teacher" und "Don Jon" verführen Sie Michael Angarano bzw. Joseph Gordon-Levitt und in "Carrie" terrorisieren Sie Ihre Tochter.

Moore: Ja, ich hatte ein großartiges Jahr (lacht). Ich fragte vor kurzem meinen Manager: 'Hatte ich im Frühjahr wirklich zwei Filme im Kino? Ja', sagte er, 'das war ein geschäftiges Jahr.' Darüber hinaus veröffentlichte ich ein Buch. Es heißt: "My Mom is a Foreigner, But Not To Me" (Meine Mutter ist eine Ausländerin, aber nicht für mich). Es handelt davon, wie man mit einer Mutter aufwächst, die aus einem anderen Land stammt. Meine Mutter ist aus Schottland, insofern ist das Buch eine Liebeserklärung an sie. Die Resonanz war großartig, vor allem von Menschen, die mit ausländischen Eltern aufwuchsen. Sie sagen mir, dass sie weinten, als sie das Buch lasen. Das macht mich sehr glücklich.

Ricore: Wie war die Zusammenarbeit mit Chloe Moretz, die in "Carrie" Ihre Filmtochter spielt?

Moore: Chloe ist sehr professionell und war immer gut vorbereitet. Am meisten liebe ich an ihr die Tatsache, dass sie ein Familienmensch ist. Sie sagt das selber von sich. Sie liebt ihre Mutter und ihre Brüder sehr. Das machte es für mich einfach, ihr nahe zu kommen. Ich wollte, dass sie sich in meiner Gegenwart geborgen fühlt. Ich wollte ihr das Gefühl geben, dass sie jederzeit zu mir kommen kann, wenn sie eine Frage oder einen Wunsch hat. Sie sollte fühlen, dass ich die vertrauenswürdigste Schauspielerin der Welt bin.

Ricore: Das heißt, sie haben sich auf dem Set gut verstanden.

Moore: Wir scherzten andauernd miteinander. Ich umarmte sie oft, was sie auch erwiderte. Dieses Band zwischen uns war sehr wichtig. Es ermöglichte uns, alles zu tun, was wir für unsere Rollen tun mussten. Ich wollte, dass der Missbrauch der Mutter einen komplexen Charakter bekommt. Chloe sollte diese schreckliche Sache empfinden, dass Missbrauch mit Schuldgefühlen einhergeht. Aus diesem Grund gibt es im Film das Moment der Selbstverletzung. Als Carrie nach Hause kommt, sieht sie, wie ihre Mutter mit dem Kopf gegen die Wand schlägt. Margaret fühlt sich schuldig.
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Julianne Moore in "Carrie"
Julianne Moore: kein Remake
Ricore: Die Eröffnungssequenz des Films ist sehr verstörend. Was empfanden sie dabei?

Moore: Ich bin froh, dass es diese Szene im Film gibt. Auch im Buch gibt es sie. Sie ist ein weiterer Schlüssel zu meinem Charakter. Margaret wusste nicht, dass sie schwanger ist. Sie dachte, dass sie einen Tumor hat und sterben muss. Sie und ihr Ehemann traten aus der religiösen Gemeinschaft aus und gründeten ihre eigene Kirche. Er stirbt und lässt seine Frau schwanger zurück. Margaret glaubt, dass sie auch sterben wird, endet dann aber mit einem Kind. Das war für sie sehr verwirrend, was sie von Gesellschaft isolierte und ihr das Gefühl gab, nichts anderes mehr zu bekommen. Sie spielt auch mit dem Gedanken, das Kind zu töten. Dann entscheidet sie sich, es doch zu behalten. Sie fühlt sich schuldig. Stephen King ist ein Meister. Das ist er wirklich.

Ricore: Sind Sie ihm jemals begegnet?

Moore: Nein.

Ricore: Waren Sie skeptisch, eine Rolle anzunehmen, die Piper Laurie so beeindruckend verkörperte.

Moore: Alles, was man als Schauspieler tut, geschieht mit dem Gefühl, dass es scheiße sein wird und die Menschen es hassen werden. Keiner von uns konnte besser sein als Piper Laurie und Sissy Spacek. Sie waren einfach großartig in ihren Rollen. Sie waren ikonisch. Wir wollten mit unserer Herangehensweise kein Remake inszenieren. Wir wollten nicht Brian De Palmas Film neu auflegen. Wir empfanden die Quelle als sehr reichhaltig und entschlossen uns, eine eigene Version zu machen. Diese Entscheidung war sehr befreiend. Ich liebe den Originalfilm, aber ich beziehe mich nicht auf dieses Vorbild. Ich habe mir den Film nicht noch einmal angesehen. Ich habe ihn seit 1975 nicht mehr gesehen (lacht).
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Carrie
Allein sein ist nicht gut für Kinder
Ricore: Wurden sie als Kind mal tyrannisiert?

Moore: Nein. Aber das ist ein sehr großes Thema, so dass wir vorsichtig damit sein sollten. Wir können nicht alles über einen Kamm scheren. Es gibt ein unglaublich großes Spektrum menschlichen Verhaltens. Am Anfang dieses Spektrums steht das Sticheln und Necken, so wie sich Kinder oder Erwachsene gegenseitig necken. Am anderen Ende des Spektrums gibt es echtes Tyrannisieren, Missbrauch und Ausgrenzung. Ich gebe meinen Kindern immer mit, sich um Kinder zu kümmern, die alleine sind. Allein sein ist nicht gut für Kinder. Jeder möchte in Gesellschaft sein. Jeder möchte dazugehören. Es gibt keinen Grund, wieso Kinder beim Essen zu Hause allein sein sollen. Das gleiche gilt auch für Erwachsene. Einsamkeit tut dem Menschen nicht gut.

Ricore: Sie spielen in den letzten beiden Teilen der "Die Tribute von Panem"-Trilogie mit. Wie kam es dazu?

Moore: Ich schuldete es meinen Kindern. Sie lieben die Bücher so sehr. Mein Sohn las die ersten beiden Romane und sagte zu mir: 'Mama, ich les' grade diese wirklich guten Bücher.' Also ging ich zum Buchladen und kaufte ihm den letzten Teil der Reihe, "Flammender Zorn". Selbst gelesen hatte ich die Bücher damals noch nicht. Als wir nach einigen Jahren im Urlaub in Mexiko waren, las sie meine Tochter. Sie war damals neun oder zehn Jahre alt. Als sie Tischtennis spielte und ich nichts zu lesen hatte, nahm ich das erste Buch und fing an zu lesen. Ich liebte es. Ich lud den zweiten Teil auf mein iPad und war einfach fasziniert davon. Ich wollte diese Rolle einfach spielen.

Ricore: Welche Projekte stehen bei Ihnen außerdem an?

Moore: Ich spiele mit Liam Neeson in einem Film mit dem Titel "Non-Stop". Es handelt sich dabei um einen Thriller, der in einem Flugzeug spielt. Einer der Passagiere hat eine Bombe an Bord geschmuggelt, doch niemand weiß, wer. Mein Platz im Flugzeug ist neben Liam Neeson.

Ricore: Was macht für Sie einen guten Tag aus, wenn Sie nicht arbeiten müssen?

Moore: Lesen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 4. Dezember 2013
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Carrie (Kinofilm)
Die 16-jährige Außenseiterin Carrie (Chloe Moretz) entdeckt nach unzähligen Schikanen ihre Mitschüler besondere Kräfte. Mit Hilfe der Telekinese setzt sie sich gegen Ihre Mitmenschen zur Wehr. Bei einem Schulball kommt es zu einem blutigen Rachefeldzug. Die Geschichte der blutrünstigen Carrie geht auf einen Besteller von Stephen King zurück. Die erfolgreichste filmische Behandlung des Stoffes ist "Carrie - Des Satans jüngste Tochter" aus dem Jahr 1976.
Julianne Moore wird 1960 in Fayetteville, North Carolina als Tochter eines Militärrichters und einer schottischen Sozialarbeiterin geboren. Während ihrer Kindheit reist die Schauspielerin mit ihren Eltern rund um die Welt. In Boston erwirbt sie schließlich den Abschluss an der School of the Performing Arts. 1983 zieht Moore nach New York, wo sie als Theaterschauspielerin arbeitet. Zunächst spielt sie in verschiedenen Fernsehsoaps mit. Erst in den 1990ern kommt ihre Kinokarriere mit Filmen wie..
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