Sebastião Salgado / Amazonas images
Juliano Ribeiro Salgado
Ich hielt meinen Vater für Indiana Jones
Interview: Juliano Ribeiro Salgado über Sebastião Salgado
Sein Vater ist Fotograf Sebastião Salgado, dessen Bildbände von Krisenregionen erschütternde Mahnmale für einen humanen Umgang mit Mensch und Natur sind. Nun hat Juliano Ribeiro Salgado seinem Vater mit dem deutschen Regisseur Wim Wenders mit "Das Salz der Erde" ein filmisches Denkmal gesetzt. Im Gespräch mit Filmreporter.de spricht der Dokumentarfilmer über einen Vater, der ihn als Mensch und Künstler gleichermaßen geprägt hat.
erschienen am 30. 10. 2014
Donata Wenders / NFP
Wim Wenders
Gelegenheitsvater Sebastião Salgado
Ricore Text: Herr Salgado, ihr Vater war als Fotograf viel unterwegs. Haben Sie ihn als Kind vermisst?

Juliano Ribeiro Salgado: Mein Vater war bis zu acht Monate im Jahr weg, insofern war ich sehr glücklich, wenn er nach Hause kam. Als Kind erzählte ich in der Schule und meinen Freunden, wo mein Vater überall gewesen ist. Sie sahen mich immer mit großen Augen an. Ich war sehr stolz auf ihn. Ich hielt ihn für einen starken Mann, als eine Art Indiana Jones. Mit zehn Jahren begann ich zu verstehen, dass seine Bilder eine Bedeutung haben. Das war 1984, als er die Hungersnot in Äthiopien fotografierte und seine Arbeit auf dem Titelblatt der französischen Zeitung Libération abgedruckt wurde. Ich erkannte, dass die Bilder meines Vaters eine Absicht haben.

Salgado: Hat Ihnen Ihr Vater von seinen Erlebnissen berichtet, oder wollte er sie mit dem Elend der Welt verschonen?

Salgado: Ich bin mir nicht sicher, ob er mich schützen wollte. Er hat mir zwar nie bewusst seine Arbeit gezeigt, dennoch war ich von Anfang an mit seinen Bildern konfrontiert. Ich kann mich noch genau an den Geruch seines Arbeitszimmers erinnern, der sehr besonders war. Ich wusste, worum es in seinen Bildern ging, ich hielt das alles für selbstverständlich.

Ricore: Sie selbst hatten sich zunächst entschlossen, kein Indiana Jones zu werden, sondern etwas Handfestes zu studieren.

Salgado: In meiner Kindheit bekamen wir immer wieder Besuch von Freunden meiner Eltern, die wie mein Vater viel unterwegs waren. Ich war bei ihren Debatten und Erzählungen immer dabei und erfuhr so, was auf der Welt vor sich geht. Damals fing ich an, mich für geopolitische Themen zu interessierten. Als ich mit dem Jura- und Wirtschaftsstudium anfing, wollte ich auf jeden Fall im Bereich Internationale Beziehungen arbeiten. Als ich 21 Jahre alt war, wurde meine Freundin schwanger. Ich brauchte einen festen Job, erkannte zugleich aber, dass ich nicht mein Leben lang am Schreibtisch verbringen will. Der Lebensstil meines Vaters sagte mir sehr zu. Also entschloss ich mich, das Gleiche zu tun wie er, nur dass ich mit bewegten Bildern arbeiten wollte. So fing es an, heute - 17 Jahre später - bin ich noch immer dabei (lacht).
Donata Wenders / NFP
Sebastião Salgado
Juliano Ribeiro Salgado: von Eltern immer unterstützt
Ricore: Hat Ihr Vater Sie in Ihrem Berufswunsch unterstützt?

Salgado: Ja, auf jeden Fall. Viele meiner Freunde mussten bei ihrem Berufswunsch erst den Widerstand ihrer Eltern überwinden. Bei mir war das Gegenteil der Fall. Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Meine zweite Reise führte mich nach Afghanistan. Ich war damals 23 Jahre alt und in diesem gefährlichen Land auf mich allein gestellt. Es war sehr riskant und lebensgefährlich, doch meine Eltern fanden es großartig, was ich tue.

Ricore: In "Das Salz der Erde" geht es am Rande auch um Ihre Mutter. Wie kam sie mit dem Beruf ihres Gatten zurecht?

Salgado: Es war sehr hart für sie. Wenn er in Krisenregionen reiste, weinte sie oft. Sie hatte Angst, dass er nicht zurückkommen würde. Irgendwann entschied sie sich aber, sich keine Sorgen mehr zu machen. Sie erkannte, dass die Arbeit meinen Vater glücklich machte.

Ricore: Im Film erwähnen Sie auch, dass sie die treibende Kraft hinter seiner Arbeit war.

Salgado: Ja, sie hat ihn immer unterstützt. Als die Fotoprojekte meines Vaters immer komplexer wurden, hat sie ihm geholfen. Sie entwarfen zusammen die Konzepte, meine Mutter half meinem Vater bei der Auswahl der Fotos, sie designte die Bücher und plante die Ausstellungen. Sie waren ein eingespieltes Team. Mein Vater machte die Bilder, alles andere erledigten sie zusammen.
Juliano Ribeiro Salgado/NFP
Das Salz der Erde
Vater begegnete den Menschen immer auf Augenhöhe
Ricore: Ihr Vater wurde wegen seiner Arbeit oft kritisiert. Stein des Anstoßes war oft das moralische Dilemma, das aus der Diskrepanz zwischen den schrecklichen Inhalten und deren künstlerischer Verarbeitung resultiert.

Salgado: Das ist ein wichtiger Kritikpunkt. Vor allem Susan Sontag kritisierte die Faszination der Medien für Leid und Tod. Deren primäres Ziel sei, mit dem Elend der Welt Geld zu machen. Das sei zynisch, argumentierte sie. Ich finde es unfair, diese Einstellung meinem Vater das vorzuwerfen. Mein Vater begegnete den Menschen, die er abbildete, immer auf Augenhöhe. Er baute zu ihnen eine Beziehung auf, identifiziert sich mit ihnen. Es ging ihm nicht nur um das Bild an sich, sondern darum, dass das Bild eine Wirkung erzielt, dass es als Stimme erkennbar wird. Man erkennt dieses Anliegen nur sehr schwer, wenn man nur die Bilder sieht. Ich wusste immer Bescheid, weil ich meinen Vater und die Geschichten dahinter kannte.

Ricore: Wollten Sie Ihren Vater in "Das Salz der Erde" auch ins rechte Licht rücken?

Salgado: Ja, wir haben versucht, diesem Aspekt gerecht zu werden. Wir zeigen, dass Sebastião kein Zyniker ist, der eine Situation für seinen Vorteil ausnutzt. Er gibt den Menschen mit seinen Bildern vielmehr eine Stimme. Die Kritik, die sie ansprechen, ist berechtigt. Aber wenn man sie zu ernst nimmt und sie vorbehaltlos akzeptiert, besteht die Gefahr, dass man die Augen vor der Wirklichkeit verschließt. Sie mag im Allgemeinen auf unsere Gesellschaft zutreffen, nicht jedoch auf meinen Vater.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 30. Oktober 2014
2024