Stardust
Simon Groß
"Viele Jugendliche hatten Waffen"
Interview: Nana Ekvtimishvili erinnert sich an Georgien
Nana Ekvtimishvili und Simon Groß haben sich während des Filmstudiums in Deutschland kennengelernt. Ihre Zukunft wollten sie jedoch in Ekvtimishvilis Heimatstadt Tiflis in Georgien finden. Mit "Die langen hellen Tage" kommt ihr erster gemeinsamer Film in die deutschen Kinos. Im Interview mit Filmreporter.de-Redakteurin Tatjana Niezel berichten die Filmemacher, wie schwierig es war, die richtigen Hauptdarstellerinnen zu finden, diskutieren die Rolle der Frau in der von Männern dominierten georgischen Gesellschaft und erzählen, wie sie mit einer Eisdiele ein wenig Glück in ihre Heimat gebracht haben.
erschienen am 20. 08. 2014
Indiz Film
Nana Ekvtimishvili ("Die langen hellen Tage")
Lange Suche nach Lika Babluani und Mariam Bokeria
Ricore Text: Wie haben Sie diese beiden unglaublich tollen Hauptdarstellerinnen, Lika Babluani und Mariam Bokeria, gefunden?

Nana Ekvtimishvili: Wir haben uns sehr lange Zeit für das Casting gelassen und über ein Jahr an verschiedenen Schulen gesucht. Es ist ein schwieriges Alter, sie mussten gleichzeitig erwachsen, aber auch noch kindlich sein. Mariam, die Natia spielt, haben wir auf der Straße gesehen und Lika an einer Schule.

Simon Groß: Danach folgte dann noch ein langer Prozess, bei dem wir sie in Improvisationen zusammengeführt haben. Insgesamt hatten wir ca. 100 Mädchen eingeladen und mit 20 oder 30 dann Probeaufnahmen gemacht.

Ricore: An welchem Punkt waren Sie sicher, die richtigen gefunden zu haben?

Groß: Das waren ja alles Laienschauspieler und es reicht nicht, dass man jemand optisch passt. Wichtig war vor allem, dass sie auch spielen können. Man muss sehen, wie sie wirken, wenn sie einen Satz vor der Kamera sprechen. Sie mussten von ihrem Charakter und ihren Erfahrungen etwas mitbringen, was sie auch in den Film einbringen konnten.

Ekvtimishvili: Manchmal wirken Menschen auch ganz anders, wenn sie spielen und dann merkt man plötzlich, ja, das ist es, Deswegen haben wir die Mädchen immer erst Szenen spielen lassen, bevor wir Entscheidungen trafen. Das war sehr viel Arbeit, denn wir haben das mit vielen Mädchen gemacht.

Ricore: Warum haben Sie entschieden, Lika Babluani und Mariam Bokeria nicht das fertige Drehbuch lesen zu lassen.

Groß: Wir haben ihnen über die Proben das Geschehen schrittweise näher gebracht, weil wir nicht wollten, dass sie schon vorher anfangen, darüber nachzudenken, wie sie irgendetwas spielen können. Sie haben so viel Talent mitgebracht, dass uns dieses Frische viel lieber war, als irgendein technischer Ansatz.

Ricore: Die Filmhandlung beruht auf ihren Erinnerungen. Gibt es eine konkrete Szene, die sie genau so erlebt haben?

Ekvtimishvili: Es gibt zu jeder einzelnen Szene eine Erinnerung.
BeMovie Medienproduktion
Die langen hellen Tage
Nana Ekvtimishvili: Es war sehr leicht an Waffen zu kommen
Ricore: Für uns ist es unvorstellbar, dass ein junger Mann seiner Freundin eine Pistole schenkt.

Ekvtimishvili: In den 1990er Jahren war es einfach so: Wer die Waffe hatte, war am stärksten. Es war sehr leicht an Waffen zu kommen, viele Jugendliche hatten Waffen.

Ricore: Hatten Sie auch eine?

Ekvtimishvili: Wir hatten eine zu Hause. Als mein Vater aus dem Abchasien-Krieg zurückkehrte, hat er eine Kalaschnikow mitgebracht und da hat auch keiner nachgefragt, dass er die zurückbringt. Meine Mutter wollte das nicht. Ich glaube viele Leute hatten damals mit Waffen zu tun.

Ricore: Die Frauen im Film sind den Männern ganz klar untergeordnet. Hat sich die Rolle der Frau in Georgien inzwischen geändert?

Ekvtimishvili: Es hat sich viel getan, aber Georgien ist immer noch eine von Männern bestimmte Welt. Wenn Sie heute nach Georgien reisen, würde Ihnen auf den ersten Blick nichts auffallen, die Frauen arbeiten ganz normal und machen, was sie wollen. Trotzdem ist es eine Männergesellschaft, es wird sehr viel für die Männer gemacht.

Groß: Natürlich fühlt es sich viel europäischer an, als einige arabische Länder.

Ricore: Bei der Hochzeit tanzt Eka einen Tanz, der eigentlich von Männern aufgeführt wird. Das wissen die deutschen Zuschauer ja nicht.

Ekvtimishvili: Es spielt keine Rolle, ob der Zuschauer das weiß oder nicht. Durch den Tanz drückt Eka das aus, was sie mit Worten und Taten nicht sagen konnte. Ihren Protest, die Liebe zu ihrer Freundin, ihre Ratlosigkeit. Viele Gefühle, die sich in ihr angestaut hatten und für die sie keinen Weg gefunden hatte, weil es niemanden interessierte. Auch ihre Freundin verstand sie nicht.

Ricore: Aber verstehen die Menschen auf der Feier denn, was Eka mit dem Tanz sagen will?

Ekvtimishvili: Sie applaudieren ihr, weil sie den Tanz sehr gut aufführt, ihrer Geschicklichkeit, aber sie verstehen nicht ansatzweise, was in ihr vorgeht.

Groß: Außer vielleicht Natia...
Indiz Film
Simon Groß ("Die langen hellen Tage")
Simon Groß: den Schauspielern folgen...
Ricore: Sie haben diese Szene und auch andere in einer Einstellung gedreht, warum?

Groß: Wir wollten lieber den Schauspielern folgen und nicht so technische werden, sondern ihnen lieber die Möglichkeit geben, eine Szene zu Ende zu spielen. So konnte Lika den Tanz fertig tanzen und wir haben nicht alle zehn Sekunden gesagt Schnitt und jetzt drehen wir noch eine Nahaufnahme, aber dafür musst du die Hände in genau der Position weiterbewegen. Damit hätten wir nie eine solche Spannung aufbauen können.

Ricore: Sie schreiben nicht nur Drehbücher sondern auch Romane. Wie unterscheidet sich ihre Herangehensweise?

Ekvtimishvili: Bei einem Drehbuch schreibe ich letztendlich alles nur für die Leinwand. Welche Worte man verwendet, spielt keine Rolle, denn es ist keine vollendete Kunstform. Natürlich schreibe ich so, dass durch das Geschriebene bereits die Bilder entstehen. Bei einem Roman bin ich viel freier. Das ist für die Leser, der Text trifft den Leser direkt.

Ricore: Sie betreiben in Georgien auch sehr erfolgreich eine Eisdielenkette. Wie kam das?

Groß: Als wir vor ein paar Jahren dorthin auswanderten, fehlte es uns im Sommer sehr, dass es dort keine Eisdielen gab. So entstand die Idee, das mit der Familie aufzubauen.

Ricore: Wie viele Sorten gibt es bei Ihnen und welche sind am beliebtesten?

Ekvtimishvili: Je nach Saison haben wir 25 und 30 Sorten und die Georgier mögen sehr gerne Maulbeereis, das gibt es aber nur im Mai, weil wir alles aus frischen Früchten herstellen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch!
erschienen am 20. August 2014
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2024