Ricore Text
Ulrich Noethen am Set von Bummm!
Ulrich Noethen am Set von Bummm!
Interview: Angst vor dem Sams?
Auffallend an Ulrich Noethens Filmographie ist die Vielfalt der Figuren, die er verkörpert. Die Bandbreite reicht vom mordenden Kommissar in Dominik Grafs "Der Skorpion" bis hin zum Vater des niedlichen Sams. Noethens Karriere begann jedoch beim Theater. Er spielte in Freiburg, Köln und Berlin. Hier lernte er auch Katja Riemann kennen, mit der er mehrfach zusammenarbeitete. So auch bei Alain Gsponers Familiendrama "Das wahre Leben". Wir sprachen mit Noethen am Set.
erschienen am 16. 01. 2006
Ricore Text
Letzte Vorbereitungen vor dem Dreh
Ricore: Herr Noethen, können Sie uns etwas über Ihre Rolle in "Das wahre Leben" verraten?

Noethen: Ich spiele einen Familienvater oder besser gesagt, jemanden, der Broterwerb betreibt. Es handelt sich um einen richtiggehenden Workaholic, der zum mittleren bis höheren Management einer großen Firma gehört. Nun sitzt er plötzlich wegen einer feindlichen Übernahme auf der Straße. Er kommt nach Hause und lernt im Laufe des Films seine Familie kennen. Natürlich kennt er seine Angehörigen, aber er wird mit Dingen konfrontiert, von denen er keine Ahnung hatte. Er stellt zum Beispiel fest, dass sein älterer Sohn, der seinen Dienst bei der Bundeswehr leistet, schwul ist. Dann lernt er die Kunstgalerie seiner Frau kennen. Er finanziert sie zwar, weiß aber nicht, ob seine Frau nur ein Hobby betreibt, oder richtige Ambitionen hat. Mit der Zeit versteht er also, dass es zur Welt, in der er bisher gelebt hat, eine Parallelwelt gegeben hat, eben die seiner Familie.

Ricore: Kann man diese Situation mit Ihrer persönlichen vergleichen? Gerade als Schauspieler ist man ja auch viel unterwegs.

Noethen: Nein. Das Leben, das ich führe, ist zwar auf seine Art auch entfremdet aber bei weitem nicht so, wie das des Protagonisten dieses Films. Klar: Ich bin auch längere Zeit von zu Hause weg, dafür sind aber die Zeiträume, die ich daheim verbringe, umso intensiver.

Ricore: Sie spielen also einen Workaholic. Würden Sie sich selbst auch als arbeitssüchtig bezeichnen?

Noethen: Nein, das würde ich nicht. Wenn ich mal längere Zeit zu Hause rumhänge und nichts zu tun habe, dann werde ich schon kribbelig, gar keine Frage. Das merkt meine Frau daran, dass ich anfange, Quatsch zu machen. Ich versuche das zu kompensieren, indem ich daheim nicht auf der Couch herum liege, sondern meine häuslichen Pflichten übernehme. Ich kann zum Beispiel ganz gut kochen und nicht nur irgendwelche ausgefeilten Supermenus, sondern das ganz alltägliche Essen, das man Tag für Tag dem Schulkind auf den Tisch stellt.

Ricore: Der Regisseur des Films ist sehr jung. Kannten Sie Alain Gsponer?

Noethen: Ich kannte Alain nicht. Ich habe das Drehbuch gelesen und fand schon die ersten Fassungen sehr gut. Ich finde, dass Alain Gsponer und sein Autorenteam einen sehr genauen Blick auf familiäre und gesellschaftliche Verhältnisse werfen. Erstaunlich bei so jungen Leuten. So pointierte und genaue Dialoge zu schreiben und dann noch über eine ältere Generation: Das ist schon etwas ganz besonderes.
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Ulrich Noethen und Katja Riemann aus "Das wahre Leben"
Ricore: Läuft die Zusammenarbeit mit Herrn Gsponer gut?

Noethen: Es ist immer eine Frage des Vertrauens. Schon bei der Lektüre des Drehbuchs gewinnt man Vertrauen. Wenn man sich dann trifft, unterhält und merkt, dass man in die gleiche Richtung will, dann wächst das Vertrauen weiter. Außerdem ziehen in Alains Team wirklich alle an einem Strang. Dadurch verlaufen die Dreharbeiten vollkommen reibungslos. Das Ganze ist einfach sehr gut vorbereitet. Die Arbeit ist zwar anstrengend, weil der Drehplan voll gestopft ist, aber sie bereitet großes Vergnügen.

Ricore: Ihre Partnerin im Film ist Katja Riemann, mit der Sie bereits mehrmals zusammen gespielt haben. Wie sieht die Zusammenarbeit mit ihr aus?

Noethen: Katja und ich kennen uns schon seit einiger Zeit. Wir waren beide in Berlin am Schillertheater engagiert. Dann hat jeder seine eigene Karriere gemacht. Katja noch viel mehr als ich. Sie stand in den letzten Jahren im Rampenlicht und musste unter einer regelrechten Pressekampagne leiden. Wir haben zum Beispiel in "Bibi Blocksberg" zusammen gearbeitet. Der Respekt und die Zuneigung zwischen Katja und mir sind mit der Zeit ständig gewachsen. Man muss zwar aufpassen, dass man sich nicht nur gegenseitig Komplimente macht, aber in diesem Fall trifft es einfach so zu. Und auch wenn wir beide sehr unterschiedliche Typen sind, ist die gegenseitige Hochachtung vor dem, was der Andere als Schauspieler geleistet hat, sehr groß.

Ricore: In Ihrer Filmographie fällt auf, dass Sie in vielen Kinderfilmen gespielt haben. Gibt es dafür einen Grund? Liegen Ihnen Kinderfilme besonders?

Noethen: Na ja, der Kinderfilm wird ja nach wie vor, selbst wenn man dafür den Bundesfilmpreis erhält, unter feuilletonistischen Gesichtspunkten eher mit einem Achselzucken wahrgenommen. Für mich ist es ganz wichtig, keine Berührungsängste zu irgendeinem Genre zu haben. Ich möchte aber auch nicht in eine Schublade gesteckt werden, nach dem Motto: Das ist der mit dem Kinderfilm. Zu einem gewissen Zeitpunkt waren Kinderfilme für mich genau das Richtige. Da kam zuerst das Angebot für "Das Sams". Das war einfach eine tolle Rolle, die ich mit Begeisterung gespielt habe. Danach haben sich andere Kinderfilme ergeben und ich hab sie alle sehr gerne gemacht. Im Kinderfilm ist einfach eine andere Art zu spielen möglich. Sehen Sie, die Schauspielerei hat unglaublich viele Facetten. Leider sind viele meiner Kollegen zu ihrem Bedauern auf eine ganz schmale Bandbreite festgelegt. Ich habe stets versucht, mich dagegen zu wehren, so vereinnahmt zu werden. Zum Glück ist die Bandbreite meiner Rollen recht groß.

Ricore: Wird man in der Filmwelt sehr schnell in eine Schublade gesteckt?

Noethen: Ja, natürlich. Man wird vor allem gerne am letzten Film gemessen. Nach dem Motto: Da habe ich ihn gesehen. So ist der also. Wenn ich in einem Kinderfilm gut war, ist die Versuchung groß, dass die Leute sagen: Dafür ist er ja wie gespuckt! Wenn man dann etwas anderes macht, sind alle ganz überrascht. Etwa wenn man an der Seite von Iris Berben in "Die Patriarchin" spielt und die Leute eine ganz andere Seite von einem sehen. Eine Zeit lang hat mir dieses Schubladendenken Kummer bereitet. Heute sehe ich das mit Gelassenheit, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass immer wieder neue und interessante Angebote kommen.

Ricore: Herr Noethen, vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 16. Januar 2006
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Das wahre Leben (Kinofilm)
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