Prokino Filmverleih
Bruno Podalydès weiß: "Nur Fliegen ist schöner" (Comme un avion, 2015)
Als Kind wollte ich Luftpostbriefzusteller werden
Interview: Bruno Podalydès geht Paddeln
Bruno Podalydès und sein Bruder Denis waren ein unverwechselbares Paar des französischen Films. In den Regiearbeiten von Bruno wie den Krimis "Das Geheimnis des gelben Zimmers" und "Das Parfüm der Dame in Schwarz" sowie den poetischen Filmen "Paris, je t'aime" stand Denis vor der Kamera. In seiner ersten Soloarbeit "Nur Fliegen ist schöner" schrieb sich Bruno Podalydès jetzt selbst die Hauptrolle von Mitfünfziger Michel auf den Leib. Der entdeckt auf einer Paddeltour die Schönheiten des Lebens.
erschienen am 19. 05. 2016
Prokino Filmverleih
Bruno Podalydès meint: "Nur Fliegen ist schöner" (Comme un avion, 2015)
Den uralten Traum leben, autark zu sein
Ricore Text: Haben Sie je vom Fliegen geträumt?

Bruno Podalydès: Als Kind wollte ich gerne Luftpostbriefzusteller werden. In diesem Film ist es eine Art Metapher. Träume sind oft sehr intim. Michel hat keine Lust mehr zu fliegen, als andere es in die Hand genommen haben die Verwirklichung seines Wunsches voranzutreiben und ihm einen Flug schenken. Er ersetzt es durch das Kajakfahren.

Ricore: Er wählt das Kajak, weil er darin ebenso alleine entscheiden kann, wohin die Reise geht?

Podalydès: Genau. Er sucht nie die Einsamkeit. Er will er selbst sein und den uralten Traum leben, autark zu werden und niemanden etwas schuldig zu sein. Das kommt ja insbesondere hoch, wenn man gefrustet ist. Aber wenn man schon von anderen abhängig ist, sollte man sich mit Leuten umgeben, die man mag. Deshalb habe ich mir meine Filmfamilie aufgebaut, in der mein Bruder unverzichtbar ist. Wir haben bisher die Drehbücher gemeinsam geschrieben. Er stand vor und ich hinter der Kamera. Mögen meine Filme auch noch so persönlich sein, ich bin mir stets bewusst, wie viel ich meinem Team verdanke.

Ricore: Warum haben Sie nicht wieder mit Ihrem Bruder gedreht?

Podalydès: Denis ist zugleich mein bester Freund. Ich habe einen Film ohne ihn gedreht, um mal zu sehen, wie das geht und nicht in gewisse Automatismen zu verfallen. Aber ich bin sehr froh, beim nächsten Film wieder gemeinsam mit ihm zu arbeiten.

Ricore: Warum haben Sie selbst die Hautrolle übernommen?

Podalydès: Als ich mich für das Kajak entschied war klar, dass ich selbst die Hauptrolle spiele. Das sagte mir mein Instinkt. Ich hatte vorher einen Film mit meinem Bruder gedreht, in dem er mit seinem Baby zu sehen ist. Ein Vater hat ja ein anderes Verhältnis zu seinem Kind als jeder andere. Hier war es ähnlich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendwer an meiner Stelle Kajak fährt. Das Paddel ins Wasser zu bringen löst bei mir eine solch immense Freude aus, die niemand anders spielen kann. Vor allem nicht Denis, der das Paddeln hasst.

Ricore: Sie paddeln auf einem idyllischen Fluss. Was sprach gegen das moderne Rafting?

Podalydès: Michel braucht keine äußeren Gegner oder Hindernisse. Mein Vorbild war David Lynch "The Straight Story - Eine wahre Geschichte". In dem Film gibt der gleichmäßig langsam rollende Rasenmäher den Rhythmus vor.
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Nur Fliegen ist schöner (Comme un avion, 2015)
Bruno Podalydès: alle zehn Jahre eine Krise
Ricore: Ist der ruhige Ort nicht auch ideal, um Bilanz zu ziehen?

Podalydès: Wir durchleben nach meiner Beobachtung alle zehn Jahre eine persönliche Krise, in der wir uns völlig in Frage stellen-. Daher interessiert mich das Thema Midlife Crsisis und Neuanfang kaum. Der Film verfolgt eine andere Absicht. Michael will sich von nichts trennen und niemanden verlassen. Er versucht, ein bisschen zu schweben, um sein Älterwerden und sich selbst freudig so zu akzeptieren.

Ricore: Ist das Leben denn ein langer, ruhiger Fluss?

Podalydès: Eher nicht. Ich geh ins Kino, um die kleinen, schönen Dinge des Lebens wiederzufinden und zu feiern. Wäsche, die in der Sonne trocknet. Kirschbäume, Absinth, eine Siesta. Keinen Luxus. Aber Lebensfreude pur.

Ricore: Schwingt da nicht auch ein bisschen Wehmut mit, dass dieses Frankreich verschwindet?

Podalydès: Dieses Frankreich feiert eine Renaissance. Viele kleine Restaurants eröffnen an den Ufern von Flüssen. In Paris werden Straßen für den Autoverkehr gesperrt. Das Savoir Vivre wird von vielen Menschen wieder geschätzt.

Ricore: Hat nicht auch der Seitensprung Michels etwas sehr Französisches?

Podalydès: Bei Michels amourösen Abenteuern steht das sinnliche Vergnügen im Zentrum, er riskiert nie das Glück seiner Ehe. Das ist auch seinen Partnerinnen klar. Damit ist die moralische Seite geklärt. deshalb sind seine Eskapaden selbst in bürgerlichen Regionen wie Versailles akzeptiert worden.

Ricore: Danke für das Gespräch
erschienen am 19. Mai 2016
2024