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Regisseur Fatih Akin ("Tschick")
Sein Draufgängertum kenne ich genau
Interview: Fatih Akin: Es war ein Trip
Fatih Akin gewinnt 2003 mit "Gegen die Wand" den Goldenen Bären, schon zuvor bringt der Hamburger Regisseur das Lebensgefühl von Deutschen mit ausländischen Wurzeln in Filmen wie "Kurz und schmerzlos" oder "Im Juli" auf die Leinwand. Nach dem Erfolg sucht er in türkisch-deutschen Filmen nach den eigenen Wurzeln. In "The Cut" thematisiert er die Verbrechen des Osmanischen Reichs an den Armeniern. Jetzt legt er die Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs Bestseller "Tschick" vor. Es begleitet den Außenseiter Mike und dessen Freund Tschick auf eine Odyssee durch Deutschlands Osten.
erschienen am 19. 09. 2016
Studiocanal
Fatih Akin mit Anand Batbileg und Tristan Göbel am Set von "Tschick"
Seine Unverfrorenheit kenne ich genau
Ricore Text: Wieviel Fatih Akin steckt in Tschick?

Fatih Akin: Seinen Leichtsinn, seine Unverfrorenheit und sein Draufgängertum kenne ich genau. Ich nuschele, hatte aber im Gegensatz zu ihm nie Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Das Türkische habe ich als Kind nicht richtig gelernt. Als Spätaussiedler hat er eine andere Geschichte und Sozialisierung als ich, der 1973 in Hamburg geboren wurde.

Ricore: Warum dann Tschick?

Akin: Ich kenne die Kids. Das wurde mir klar, als ich beim Lesen zu der Szene kam, in der die beiden in die Sterne guckten und über "Starship Troopers" redeten. Ich bin kein großer Paul Verhoeven-Fan, sah aber das Potential in dem Roman, an Lieblingsfilme meiner Kindheit wie "Stand by me" oder "Nordsee ist Mordsee" anzuknüpfen. Deshalb habe ich mich 2011 sofort um die Rechte bemüht. Wolfgang Herrndorf war damals bereits erkrankt. Weder er noch der Verlag wollten entscheiden, welcher Filmemacher den Zuschlag erhält.

Ricore: Zunächst sollte David Wnendt den Film realisieren?

Akin: Schrägerweise wurde mir auch "Feuchtgebiete" angeboten, für den dann David den Zuschlag bekam. Ich mag Charlotte Roche, aber das Buch war nicht meins. Für "Tschick" kam ich wieder ins Gespräch, als David in Terminschwierigkeiten geriet. Innerhalb von drei Tagen musste ich entscheiden, ob ich in sieben Wochen anfange zu drehen. Das ist wenig Zeit für die Vorbereitung. Ich hatte das Selbstvertrauen zuzusagen, weil ich mit "Im Juli" ein Roadmovie inszeniert und für "Solino" mit Kindern in einer mir fremden Sprache gedreht hatte.
Jean-François Martin/Ricore Text
Fatih Akin
Fatih Akin: nie eine Szene durchspielen lassen
Ricore: Wurde der Dreh selbst zum Abenteuer?

Akin: Es war ein Trip, der anstrengendste Dreh, den ich je hatte. Jede Nacht musste ich Locations und Schauspieler aussuchen oder Szenen bearbeiten. Die Kids durften nur drei Stunden am Tag drehen. Deshalb habe ich nie eine Szene durchspielen lassen.

Ricore: Wie haben Sie die beiden ausgesucht?

Akin: Sie mussten als Paar harmonieren. Anand Batbileg, der Sohn des mongolischen Botschafters in Berlin, stand früh als Tschick fest. Er hatte mich mit einem Video mit der Outing-Szene von seiner Ausstrahlung überzeugt. Mike haben wir lange gesucht. Wegen des Größenunterschieds habe ich gezögert, Tristan zu besetzen. Bis ich mir sagte, löse das über die Arbeit mit der Kamera und wähle den besten Schauspieler. Anand und Tristan sind dann schnell in ihre Rollen rein gewachsen.

Ricore: Was haben Sie Neues während des Drehs entdeckt?

Akin: Ich kannte vor dem Dreh weder Hellersdorf noch Halle oder den Harz. Meine Ausstatterin und der Location Scout haben mich in diese Kultur eingeführt. Ich habe auch viele ostdeutsche Schauspieler besetzt. Jetzt werden alle Schauspieler aus dem Westen sauer sein, aber sie sind meist disziplinierter und spielen, als hätten sie weniger Angst.
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Tristan Göbel und Anand Batbileg in "Tschick"
Das kann ein schräger Film werden...
Ricore: Aber sie kehren dann doch lieber nach Hamburg mit der Adaption von Wolfgang Strunks "Der goldene Handschuh" über den legendären Frauenserienmörder Fritz Honka zurück?

Akin: Dieses Heimspiel konnte ich mir nicht entgehen lassen. Honka wohnte in der Zeilstraße in Ottensen, wo mein Sohn zur Schule geht. Der Onkel meines Freundes Adam Bousdoukos, mit dem ich "Kurz & Schmerzlos" und "Soul Kitchen" gedreht habe, war einer seiner Nachbarn. Wenn der Geruch der Leichen durch das Haus wehte, beruhigte Honka die Nachbarn mit der Legende, die griechische Familie habe gekocht. Trotzdem habe ich wegen der Härte von Strunks Beschreibungen gezögert. Mich überzeugte, dass er das Menschliche in dem Monster herauskratzt und einen humorvollen Ton fand. Das kann ein schräger Film werden.

Ricore: Zunächst drehen Sie mit "Aus dem Nichts" mit Diane Kruger den Sie gerade vorbereiten, wieder ein Drama über deutsch-türkische Konflikte?

Akin: Das Thema lässt mich nicht los. Der Film wird auch die Härte von "Gegen die Wand" oder "Kurz und Schmerzlos" haben. Es würde mich aber langweilen, mich auf dieses Thema zu fokussieren. Ich lerne gerne, als Filmemacher wachse ich, wenn ich probiere und bereit bin zu scheitern. Ich bewundere Filmemacher wie Steven Soderbergh. Nach dem Gewinn der Goldenen Palme 1990 für "Sex, Lügen und Video" experimentiert er sich in die Pleite. Erst nach "Out Of Sight" und "Ocean's Eleven" fand er die Balance zwischen Kommerz und anspruchsvollen Filmen.

Ricore: Hollywood ist für Sie kein Thema?

Akin: Was reizt mich an Hollywood? Die Möglichkeit, mit den Schauspielern zu arbeiten. Das kann ich auch in Europa, das haben Lars von Trier oder Anton Corbijn bewiesen.

Ricore: Danke für das Gespräch.
erschienen am 19. September 2016
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