Universum Film
Markus Goller auf Festivalpremiere von "Simpel"
Der Roman hat mich gefesselt
Interview: Markus Goller zu "Simpel"
Markus Goller hat einen Namen als Regisseur und Cutter von Werbe-Clips, als er 2002 sein Regiedebüt mit der Trash-Komödie "Planet B - Mask Under Mask" gibt. Den Durchbruch beim breiten Publikum schafft er mit "Friendship!", in dem er zwei Ossis nach dem Mauerfall in die USA schickte sowie die Komödie "Frau Ella" mit Matthias Schweighöfer. Jetzt kommt "Simpel" nach einem Roman von Marie-Aude Murail in die Kinos. Frederick Lau und David Kross spielen ein Bruderpaar, das nach dem Tod der Mutter auf sich alleine gestellt ist. Auf der Suche nach dem Vater reisen sie aus ihrer idyllischen Heimat an der Nordseeküste nach Hamburg.
erschienen am 21. 11. 2017
Universum Film
Frederick Lau mit Filmbruder David Kross auf Festivalpremiere
Vom Roman gelöst
Ricore Text: Wie wurden Sie auf den Roman aufmerksam?

Markus Goller: Koproduzent Benjamin Seikel hat mir die Verfilmung angeboten. Der Roman hat mich gefesselt. Simpel verhält sich wie ein Kind, das niemals von der Welt geprägt wurde. Er geht in jede Situation, wie sie gerade ist, er versteckt sich nie hinter Masken. Wir haben dann lange am Drehbuch gebastelt. Simpel verändert das Leben vieler Menschen, die mit ihm in einer Pariser WG wohnen. Aus diesen Geschichten hätten wir eine Serie entwickeln können. Wir haben uns dann vom Roman gelöst und uns auf die Beziehung der Brüder konzentriert. Die Brüder müssen aus ihrer alten Welt ausbrechen und einander Loslassen. Die Behinderung Simpels steht dabei nie im Zentrum. Sondern die Liebe zueinander, ein Miteinander und Füreinander da sein.

Ricore Text: Was fasziniert Sie an der Konstellation, zwei Männer auf einen Selbstfindungstrip zu schicken?

Markus Goller: Ich keine Ahnung habe, warum mich diese Konstellation so fasziniert, dass ich nach dem Ende des Drehs einen weiteren Film mit dieser Konstellation gedreht habe. In "25 km/h" schicke ich Lars Eidinger und Bjarne Mädel als Brüder auf eine Reise. Vielleicht versteckt sich dahinter meine Sehnsucht nach einem Bruder. Ich habe nur eine große Schwester, sie wohnt in München.

Ricore Text: Ein Dreh in Paris haben Sie ausgeschlossen?

Markus Goller: Natürlich hätte ich gerne in Paris gedreht. Ein französischer Film ist aus Deutschland heraus nur schwer zu finanzieren. Es wäre vor allem schwer gewesen, einen französischen Partner zu finden. Dort wurde der Roman bereits für das Fernsehen adaptiert.

Ricore Text: Warum haben Sie die Handlung nach Niedersachsen und Hamburg verlegt?

Markus Goller: Das ist der Förderung geschuldet. Aber die Wahl passte. Die beiden wachsen auf dem platten Land in Niedersachsen paradiesisch auf. Mich fesselte zudem das Bild, wie Simpel alleine durchs Watt läuft und alle Gefahren ignoriert. Es sagt alles über seine Situation aus und passte zu meiner Vorstellung vom Ton des Films. Mir schwebte eine märchenhaft überhöhte, warme Welt vor. Ich bin nicht der Typ für ein Sozialdrama. Ich suche immer das Licht. Mir macht es mehr Spaß, jemand im Watt tanzen zu lassen als ihn auf eine Müllhalde zu verfrachten.
Universum Film
Regisseur Markus Goller mit seinen Hauptdarstellern David Kross, Emilia Schüle, Frederick Lau
Markus Goller: der Förderung geschuldet
Ricore Text: Eine Konzeption, die Sie bereits in "Frau Ella" erfolgreich umsetzten.

Markus Goller: "Frau Ella" schwebte mir ruppiger vor, andererseits sollten viele Menschen den Film sehen. Durch das Interesse von Matthias Schweighöfer fiel mir die Entscheidung leicht. Für einen großen Verleih musste es ein kommerziellerer Film sein. "Simpel" ist thematisch anspruchsvoller, der Ton ernster. Der Film musste authentischer sein. Ich hatte nicht Matthias als Hauptdarsteller, obwohl er den Roman auch adaptieren wollte. Dafür habe ich mit David Kross und Frederick Lau zwei andere geile Schauspieler.

Ricore Text: Wie haben Sie sich Simpel gemeinsam genähert?

Markus Goller: Wir haben in einem Wohnheim für Menschen mit einer autistischen Erkrankung einen Nachmittag verbracht. Sie sagen nichts, nehmen keinen Kontakt auf. Aber du spürst die Energie, die in ihnen schlummert. Letztlich haben wir beschlossen, dass wir kein spezifisches Krankheitsbild schildern und David seinen eigenen Simpel findet. Im Vorfeld des Drehs liefen David und Frederick als Simpel und Ben durch Berlin. Die Reaktionen der Passanten sind ins Buch eingeflossen.

Ricore Text: Durch diese Entscheidung tritt der Behinderung in den Hintergrund, der Zuschauer sieht den Menschen Simpel?

Markus Goller: Ich wollte mich gar nicht der Gefahr aussetzen, dass sich Kritiker an der Darstellung des Krankheitsbildes aufhängen. Weil die Behinderung nicht im Zentrum des Films steht. Simpel funktioniert in seinem sozialen Umfeld anders als wir es erwarten. Er braucht jemand, der sich permanent um ihn kümmert. Sein Bruder hat sich dies zur Lebensaufgabe gemacht, jetzt muss er loslassen. Das ist für beide ein schmerzhafter Prozess. Er lernt dies durch die Begegnung mit der Studentin Aria. Sie hat alles, aber ist alleine. Diese Begegnung der Drei ist ein Synonym für unsere Gesellschaft.

Ricore Text: Die Menschen mit Behinderungen ausgrenzt.

Markus Goller: Das trifft nicht nur Menschen mit Behinderungen. Wir haben uns abgeschottet, jeder macht so sein Ding. Wir sind kaum noch füreinander da. Wir haben keine Zeit, uns um Kranke, Alte oder Behinderte zu kümmern. Andererseits sind die Pflegeberufe mies bezahlt und gesellschaftlich unterbewertet. Pfleger werden belächelt. Dabei werden diese Berufe immer wichtiger. Wir brauchen ein Umdenken in unserem Wertekanon und eine Reform des Bildungssystems. Wenn ich mir überlege, was auf uns in den kommenden Jahrzehnten zukommt, müssen wir weiter denken und den Stillstand aufbrechen.

Ricore Text: Danke für das Gespräch.
erschienen am 21. November 2017
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2024