Walt Disney
Regisseur Lee Unkrich
In Mexiko der Blockbuster 2017
Interview: Regisseur Lee Unkrich zu "Coco"
In Mexiko wurde der Animationsfilm "Coco 3D" innerhalb von drei Wochen zum erfolgreichsten Film aller Zeiten, in den USA spielte der neueste Film von Pixar - ungeachtet der Vorwürfe gegen Studioleiter John Lasseter wegen Übergriffigkeiten gegenüber weiblichen Mitarbeitern, die ihn zu einer sechsmonatigen Auszeit veranlassten - am Thanksgiving-Wochenende Millionen an der Kinokasse ein. Regisseur Lee Unkrich stellte die Geschichte eines mexikanischen Jungen, der ein großer Marriacchi werden möchte, obwohl seine Familie die Musik hasst, Mitte November 2017 in Berlin vor.
erschienen am 8. 12. 2017
Pixar/Walt Disney Studios Motion Pictures
Coco 3D (2016)
Leben nach dem Tod?
Ricore Text: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Lee Unkrich: Ich stehe der Idee offen gegenüber. "Coco" maßt sich nicht an, dieses Geheimnis zu ergründen. Der Film führt in eine Zwischenwelt, deren Bewohner nicht wissen, was sie nach dem Tag erwartet, an dem sie vergessen werden und sie ins Reich der Toten wechseln.

Ricore Text: Wobei es doch toll gewesen sein muss, einerseits die mexikanischen Traditionen zu feiern, andererseits bei der Gestaltung dieser Zwischenwelt seiner Phantasie freien Lauf lassen zu können?

Lee Unkrich: Kalifornien ist von der mexikanischen Kultur geprägt. Trotzdem haben wir in Mexiko recherchiert, Berater engagiert und Schlüsselpositionen bei der Produktion mit Mexikanern besetzt. Für die Brücke zwischen dem Friedhof und der Totenwelt haben wir uns von den poetischen Traditionen des Festes inspirieren lassen: Die Mexikaner bauen symbolische Brücken aus orangefarbenen Blumen. Bei der Gestaltung des Lands der Toten folgten wir der dortigen Architektur und Kultur. Der Einfluss von Frida Kahlo und Diego Rivera ist hoffentlich unverkennbar.

Ricore Text: Mussten Sie sich auch gegen Ihre Eltern durchsetzen, um ihre künstlerischen Neigungen auszuleben?

Lee Unkrich: Mein Vater ist Künstler, meine Mutter ging solange ich mich erinnern kann ihren kreativen Hobbies nach. Sie haben meine künstlerischen Ambitionen gefördert. Als Kind wollte ich Schauspieler werden, dann Regisseur. Andererseits hat Pixar viele tolle Mitarbeiter, deren Familien nicht mit ihrer Entscheidung einverstanden waren. Ihre Eltern hatten Angst, dass sie als Künstler nicht erfolgreich sind. Eltern wissen, dass man Geld verdienen muss, um eine Familie zu ernähren. Aber was bedeutet Erfolg? Einige Leute sind glücklich, wenn sie ihre Kreativität ausleben können. Sie denken nicht an das große Geld, sie wollen nur ihre eigenen Sachen auf die Beine stellen. So standen viele unserer Mitarbeiter im Zwiespalt, ihre Familien nicht zu enttäuschten und ihren Wunsch nicht aufzugeben.

Ricore Text: Als Miguels Widersacher porträtieren Sie einen populären Sänger, der alle Entscheidungen der Karriere unterordnet. Was bedeutet Ihnen Ruhm?

Lee Unkrich: In diesem Nebenstrang blicken wir auf die Auswirkungen seines Strebens nach Ruhm auf das eigene Leben und auf die Familie Miguels. Für de la Cruz ersetzt die Bewunderung des Publikums die Familie, dafür opfert er alles andere. Das ist schon eine merkwürdige Idee, die ich nicht verstehe.
Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
Lee Unkrich am Set von "Toy Story 3": der Regisseur gibt Istruktionen
Lee Unkrich: Kinder verstehen viel mehr als wir denken
Ricore Text: Mit dieser Erfahrung und dem Wunsch, Musiker zu werden, können sich auch viele Kinder identifizieren?

Lee Unkrich: Viele Kinder kennen die Erfahrung, dass sie ihre Wünsche gegen Widerstände in der Umgebung durchsetzen müssen. Dass ihre Eltern nicht anerkennen, welche Talente in ihnen schlummern und sie sich deshalb unverstanden fühlen. Wir wollten die Konstellation aber nie so anlegen, dass die Familie einfach ignorant ist und Miguel nicht versteht. Sie gehen sehr liebevoll miteinander um und stehen für einander ein. Nur bei seiner Liebe zur Musik endet die Toleranz.

Ricore Text: Wie schaffen Sie die Balance, Ihre Filme mit philosophischen Fragen für Erwachsene zu öffnen und die Kinder nicht zu verlieren?

Lee Unkrich: Kinder verstehen viel mehr als wir denken. Sie hatten nie Probleme mit "Coco". Wir achten bei Pixar darauf, dass Kinder folgen können und sie nichts nachhaltig erschreckt. Aber letztendlich entscheiden die Eltern, ob sie in den Film gehen und wie sie mit den Kindern über den Inhalt reden. Und die veränderten Fragestellungen sind wohl nicht ganz zufällig. Wir wählen die Themen, die uns interessieren. Und die verändern sich mit dem Leben. Ich war 26 als ich bei Pixars Produktion von "Toy Story" anfing. Jetzt bin ich 50, habe Kinder und einige Tragödien erlebt. Ich habe über mein eigenes Leben und meine Sterblichkeit nachgedacht. Solche Erfahrungen spiegeln sich in unseren Filmen wieder, für die unser eigenes Leben die wichtigste Inspirationsquelle ist.

Ricore Text: Bei Pixar heißt es immer, die Filme seien nicht fertig, sie müssen ins Kino. Haben Sie sich damit mittlerweile abgefunden?

Lee Unkrich: Ich sehe bei jeder Vorführung Details, die ich gerne ändern würde. Aber so ist das Leben, niemand und nichts ist perfekt.

Ricore Text: Danke für das Gespräch.
erschienen am 8. Dezember 2017
Zum Thema
Lee Unkrich wird am 8. August 1967 in Cleveland, Ohio geboren. Um seinen Traum vom Filmemachen zu verwirklichen, zieht er nach seinem High-School-Abschluss nach Los Angeles, wo er auf die Filmschule besucht. Seit 1994 arbeitet er bei Pixar. Für das Animationsstudio inszeniert er als Koregisseur "Toy Story 2", "Die Monster AG" und "Findet Nemo". Beim dritten Teil von "Toy Story" führt er erstmals alleine Regie. 2009 werden Unkrich und seine Pixar-Kollegen John Lasseter, Andrew Stanton, Brad..
Coco 3D (Kinofilm)
Toy Story" führt Lee Unkrich die Zuschauer nach Mexiko, wo der Tod ausgelassen gefeiert wird.
2024