Prokino Filmverleih
Ferzan Özpetek am Set von "Das Geheimnis von Neapel"
Starken Bezug zur Unterwelt
Interview: Ferzan Özpetek zu "Das Geheimnis von Neapel"
Ferzan Ozpetek zeiht als Korrespondent türkischer Zeitungen nach Rom, wo er Filmgeschichte, Kunstgeschichte, Kostümwesen und Regie studiert. 1997 dreht er seinen ersten, viel beachteten Spielfilm "Hamam - Das türkische Bad", 2008 erhält er für das Drama "Un giorno perfetto" eine Einladung in den Wettbewerb der 65. Filmfestspiele von Venedig. In seiner Wahlheimat Italien fesselt er jetzt mehr als eine Million Zuschauer mit dem Mystery-Drama "Das Geheimnis von Neapel".
erschienen am 24. 09. 2018
Prokino Filmverleih
Das Geheimnis von Neapel (Napoli velata, 2017)
Hommage an verborgene Schönheit Neapels
Im Zentrum steht eine Gerichtsmedizinerin, die sich bei einem abendlichen Gala-Diner Hals über Kopf in einen Fremden verliebt, den sie am kommenden Morgen auf dem Seziertisch wieder sieht. Er wurde brutal ermordet. Wenige Tage später meint sie, ihn in der U-Bahn zu sehen. Sie beginnt eine Affäre mit diesem Fremden, die sie zwingt, sich ihren eigenen Abgründen und einem gut gehüteten Familiengeheimnis zu stellen.

Ricore Text: Der Film ist eine Hommage an die verborgene Schönheit von Neapel. Stand die Liebe zur Stadt am Vesuv am Anfang des Projekts?

Ferzan Özpetek: Sie stand zumindest Pate. Vor zwölf Jahren verabschiedete sich in Istanbul eine Zufallsbekannte von mir mit den Worten, sie müsse am kommenden Morgen eine Leiche sezieren. Ich dachte sofort, was würde passieren, wenn ich auf dem Tisch läge. Die Idee erschien mir so absurd, dass ich sie schnell vergaß. Sie tauchte wieder auf, als ich vor sechs Jahren "La Traviata" inszenierte. Dabei hat sich mir eine neue Welt eröffnet, die ich mit den Zuschauern teilen wollte, die mit Neapel nur Gomorrha und Verfall assoziieren.
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Ferzan Özpetek am Set von "Das Geheimnis von Neapel"
Ferzan Özpetek: Geheimnisse eines Stadtviertels


Ricore Text: Sie kannten die herrlichen Paläste der Stadt vorher nicht?


Ferzan Özpetek: Obwohl ich seit 20 Jahren in Neapel lebe, waren sie mir unbekannt. Erst unser Koch und sein Partner zeigten mir das herrschaftliche Studio, das zur Wohnung der beiden Tanten wurde. Sie enthüllten mir auch die Geheimnisse ihres geschichtsträchtigen Viertels, das lange als sehr gefährlich galt. Weil es einer Stelle einen sehr steilen Berg hochgeht, den Pferde nicht bewältigen können, soll Karl der Große hier vom Pferd gestiegen sein. Außerdem haben sie mich in die 200 qm großen Palast eines Prinzen eingeladen, den einige Caravaggios zieren. Roberto Rossellini drehte hier für "Reise in Italien", Vittorio de Sica "Das Gold von Neapel" mit Silvana Mangano und Sophia Loren. Beides große Meisterwerke. Seitdem erhielt niemand mehr die Drehgenehmigung. Bei mir wurde es die Wohnung der anderen Tante.

Ricore Text: Haben Sie die Filme des Neorealismus nach Italien gezogen?


Ferzan Özpetek: Ich habe mich bei meinen Entscheidungen von der Kunst leiten lassen. Bis zu meinem 17. Lebensjahr bin ich in der Türkei in einer weltoffenen Familie aufgewachsen, in der die Frauen das Sagen hatten. Sie hätten lieber gesehen, wenn ich in die USA gegangen wäre. Aber mich hat Italien einfach verzaubert. Es war eine instinktive Entscheidung, der ich nie untreu wurde. Nachdem Sony in den USA erfolgreich meinen Film "Das Fenster gegenüber" herausgebracht hatte, wurden mir dort fünf Projekte angeboten, die ich zum Entsetzen meiner Freunde ablehnte. Für mich sind andere Dinge entscheidend als das Geld. Nur in Italien kann ich nach meinen Vorstellungen leben.

Ricore Text: Und sind als Muslim tief in die christliche Überlieferung eingetaucht?


Ferzan Özpetek: Ich glaube an den Gott der Sterne, an die Natur. Die großen Religionen haben sich vom Menschen und seiner Spiritualität entfernt, diese Entwicklung ist gefährlich.

Ricore Text: Sie sind Agnostiker?


Ferzan Özpetek: Ich schließe mich Marguerite Yourcenar an, die ihren Glauben in einer ganz spezifischen Zeit fand. 50 Jahre war der Mensch alleine mit der Natur, als Christus noch nicht geboren und die antiken Götter bereits tot waren. Mich interessiert dieser Mensch, der nie im Namen Gottes tötet.
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Das Geheimnis von Neapel (Napoli velata, 2017)
Familie und Freunde
Ricore Text: Kommt Ihnen die Verehrung der Italiener für die Familie und die Vorliebe für Familiengeschichten entgegen?

Ferzan Özpetek: Die Familie ist mir sehr wichtig, nicht nur meine Blutsverwandten, auch enge Freunde gehören dazu. Die opulenten kulinarischen Treffen der Familie im Film sind vor eine Reminiszenz an meine Kindheit, die unser ganzes Leben prägt. Unser Haus stand jedem offen, es war stets voller Diskussionen und Bücher.

Ricore Text: Sie stürzen den Zuschauer in ein Labyrinth von Geheimnissen, zum Ende machen sie ein weiteres auf. Warum haben Sie es nicht aufgelöst?


Ferzan Özpetek: Ich hatte drei Enden gedreht, gemeinsam mit dem Verleih habe ich mich für diese Variante entschieden, die ich favorisiert hatte. Ich habe mir gewünscht, dass die Leute aus dem Film kommen und diskutieren. Das ist aufgegangen.

Ricore Text: Bietet die Verbindung der reichen Vergangenheit des alten Kontinents mit der Gegenwart nicht auch die Chance für das europäische Kino, sich von Hollywood abzusetzen?


Ferzan Özpetek: Bei der Entwicklung des Konzepts habe ich daran nicht gedacht, ich wollte einfach nur diese Geschichte aus einer wunderbaren Stadt erzählen, die durch ihre Lage am Fuße des Vesuvs einen starken Bezug zur Unterwelt hat.

Ricore Text: Und eines der reichsten Archäologischen Museen der Welt, das Sie in die Handlung einbeziehen?


Ferzan Özpetek: An der römischen Kultur faszinieren mich Theaterstücke wie "La Filiata", das man im Film sieht, und die wohl auf archaischen Riten beruhen. Diese stark geschminkten Männer schreien unter Geburtsschmerzen. Dann kommt eine Figur hinzu, die den Schleier zieht und ihre wahre Identität enthüllt. Mit diesem Mythos wollte ich spielen. Der Zuschauer sieht genauer hin, wenn etwas hinter einem Schleier verborgen ist. Er konzentriert sich, erkennt letztlich mehr und blickt auf das Wesentliche.
erschienen am 24. September 2018
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2024