Ricore Text
Bruno Ganz
Premiere zweier Filmhasen
Interview: Behütete Inspiration
Sie sind beide Schweizer und schon seit Jahrzehnten im Filmgeschäft. Dennoch ist "Vitus" das erste gemeinsame Projekt von Regisseur Fredi M. Murer und dem berühmten Theater- und Filmschauspieler Bruno Ganz. Zuletzt erregte dieser als Hitler in "Der Untergang" großes Aufsehen. Im Interview sprechen die beiden sympathischen älteren Herren über Traumberufe, Wunderkinder und Finanzierungsschwierigkeiten.
erschienen am 23. 03. 2006
Ricore: Eine Szene in "Vitus" handelt von um Berufswünschen. Was stand auf Ihrer Top-10-Liste oben?

Fredi M. Murer: Mein Vater wollte aus mir einen Juristen machen. Ich hatte zwar keine Wunschliste, wusste aber sehr früh, dass ich nicht Jurist werden wollte, sondern eine künstlerische Richtung einschlagen möchte. Ich machte dann Kunstturnen, weil ich der Meinung war, das hätte was mit Kunst zu tun. Ich wurde fast Schweizer Meister. Später ging ich zur Kunstakademie, um Künstler zu werden, ohne genau zu wissen, was das beinhaltet.

Bruno Ganz: Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, aber soweit ich weiß, wollte ich mit fünfzehn Gérard Philippe werden, aber den gab es ja schon.

Ricore: Es gab also keinen Verdacht auf das Wunderkind-Syndrom?

Ganz: Nein, nein.

Ricore: Wie würden Sie sich selbst als Kind charakterisieren?

Ganz: Ich habe gehört, ich sei ein lebhaftes Kerlchen gewesen.

Ricore: Wenn Sie einen Wunsch für ein weiteres Talent frei hätten, was würden Sie wählen.

Ganz: Das musische. Es ist besonders phantastisch, auf hohem Niveau Klavier spielen zu können.

Ricore: Sie spielen also kein Instrument?

Ganz: Nein, ich habe es mal mit der Klarinette versucht, dies dann aber wieder aufgegeben.
Vitus
Ricore: Sie verkörpern in "Vitus" einen Schreiner. Haben Sie privat auch etwas als Ausgleich zum "Schöngeistigen"?

Ganz: Bei mir ist es das Kochen. Mein Vater war zwar nicht Schreiner, aber er war dennoch oft im Keller. Ich kenne die Situation eines Menschen, der sich in seine Werkstatt zurückzieht, also aus nächster Nähe.

Ricore: Haben Sie diese Erfahrung in die Rolle eingebracht?

Ganz: Nachdem man das Drehbuch liest, erinnert man sich natürlich an bekannte Personen. Ich habe den Film "Der Erfinder" gemacht und mich dabei auch an meinen Vater erinnert, aber nicht daran orientiert. Die Kinofiguren sind meist freie Erfindungen.

Ricore: In einem Interview sagten Sie, dass Sie Herrn Murer erst überzeugen mussten, den Film umzusetzen?

Ganz: Es ist der normale Vorgang, dass man beim Film erst einmal jemanden überzeugen muss.

Murer: "Vitus" war zuerst als Sieben-Millionen Projekt einer europäischen Großproduktion geplant, die allerdings nicht zustande kam. Die ausländischen Wirtschaftsfördergelder müssen zu 50 Prozent wieder ins Land zurückfließen. Das heißt, dass ich auch in Wien und Deutschland hätte drehen müssen. Es war aber mein Wunsch einen Film zu machen, der eine geographische Heimat hat. Ich wollte in Zürich drehen. Alles andere hätte meinen Film zerstört. Deshalb habe ich einen Drei-Millionen-Low-Budget-Film daraus gemacht und Bruno Ganz gefragt, ob er trotzdem noch mitmachen möchte.

Ganz: Mir hat imponiert, dass man nicht aufgibt und lauter Kompromisse eingeht, sondern das Drehbuch den finanziellen Mitteln entsprechend umschreibt. Natürlich hat das Konsequenzen auf den Stoff, trotz allem ist es eine tolle Geschichte. Ich empfinde dies als eine angemessene Verhaltensweise, die nur niemand verfolgt und er hat es getan. Dafür bewundere ich ihn, denn es ist nicht einfach.

Ricore: Sprach Sie die Figur des sanften Anarcho nach der Rolle als Diktator besonders an?

Ganz: Nein, programmatisch geplant war das jedenfalls nicht. Aber ich hätte mit Sicherheit keinen deutschen Offizier mehr gespielt. Ich habe genug von diesen Sachen, aber deshalb habe ich kein striktes Gegenprogramm gesucht. Es ging einfach darum, dass es ein Schweizer Film ist und ich Fredi M. Murer und seine Arbeiten schon sehr lange kenne. Wir haben nie zusammen gearbeitet und dies war eine Gelegenheit. Das war ein wichtiger Grund.

Murer: Umgekehrt war es auch ein alter Wunsch von mir, mit Bruno Ganz zusammenzuarbeiten. Ich habe bei "Vitus" schon sehr früh an Bruno als Großvater gedacht. Ich habe ihn dann informiert und ihm eine Version des Drehbuchs zugeschickt. Die Rolle ist ihm sozusagen auf den Leib geschrieben. Gleichzeitig gibt es Vorbilder. Einerseits meinen Vater, der Schreiner und ein Mensch war, der in Bildern redet - ein Gebrauchsphilosoph. Die Geschichte mit dem Hut und dem Bach ist eins zu eins von meinem Vater inspiriert. Ich habe erst später als Erwachsener diese Parabel begriffen. Manchmal muss man einen Baum fällen, um an die Früchte heranzukommen, ist ein Satz von ihm. Die andere Figur, die in den Stoff einfloss, ist mein Lieblingsautor Robert Walser. Bruno hat dann mit den Geschichten, die ich ihm erzählt habe eine eigene Figur kreiert.

Ricore: Wie haben Sie die Rolle des Großvaters, der am meisten Kind geblieben ist, entwickelt?

Ganz: Ich bin ja nicht nur Hitler, ich bin auch selbst ein ziemliches Kind geblieben. Daraus ziehe ich die Hauptkraft. Ich wollte ein Freund sein, dadurch musste ich den Beziehungsberechtigten modifizieren. Als ich den Hut in der Garderobe gefunden habe und aufsetzte, wusste ich, was ich will. In dem Moment habe ich diese Kinofigur erfunden. Ich habe mich dann nicht mehr so sehr um Psychologie oder Realismus geschert, sondern einfach jemanden gespielt, der mit beiden Füßen in der Werkstatt steht. Es war also eine Erfindung über den Hut mit genügend realem Gehalt.

Ricore: Hätten Sie selbst gern ein talentiertes Enkelkind?

Ganz: Interessant wäre das schon.

Ricore: Herr Ganz, Herr Murer, vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 23. März 2006
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