W-film Filmproduktion & Filmverleih
Stefan Haupt ("Zwingli - Der Reformator", 2019)
Mensch im Fokus
Interview: Stefan Haupt zu "Zwingli - Der Reformator"
Der Regisseur Stefan Haupt wird 2002 mit dem Dokumentarfilm "Elisabeth Kübler-Ross" über die Schweizer Landesgrenzen bekannt. Im semidokumentarischen Spielfilm "Der Kreis" erinnert der Schweizer Filmschaffende 2014 an die legendäre gleichnamige Zeitschrift von Zürcher Homosexuellen, schon damals arbeitet er mit Anatole Taubman zusammen. Den Schauspieler besetzt er auch für das Biopic "Zwingli - Der Reformator", in dem Maximilian Simonischek den Züricher Reformator gibt. Er folgt seinem Weg von der ersten Predigt in deutscher Sprache im Großmünster über die Heirat mit seiner Frau Anna Reinhard und die Dispute mit seinen Gegnern bis zur Nachricht von seinem Tod auf dem Schlachtfeld 1531.
erschienen am 15. 12. 2019
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Maximilian Simonischek ("Zwingli - Der Reformator", 2019)
Gewalt nicht verschweigen


Ricore Text: Warum stellen Sie eher den Menschen und nicht den Kirchenrevolutionär ins Zentrum?

Stefan Haupt: Ich finde, wir zeigen beide. Um die Stationen seines Lebens und die politische und gesellschaftliche Relevanz seines Wirkens abzubilden, hätten wir eigentlich eine ganze Serie benötigt. Sie im Denken seiner Frau Anna zu spiegeln und nachvollziehbar zu machen, drängte sich auf. Bevor sie Zwingli kennenlernte, litt sie unter der Angst vor dem Fegefeuer, in dem ihr verstorbener Mann schmoren könnte. Zwingli eröffnete ihr eine andere Art von Religiosität und Leben.

Ricore Text: Wie groß war die Gefahr, sie zu einer emanzipierten Frau nach heutigen Vorstellungen zu machen?

Stefan Haupt: Eine Beziehung auf Augenhöhe hätte für mich nicht gestimmt, unsere heutigen Denkmuster dürfen wir nicht eins zu eins auf jene Zeit anwenden. Das schließt auch das Verhältnis zur Gewalt ein. Zwingli war nie aktiver Pazifist, er strebte auch keine Revolution der Kirche an. Er wollte Reformen und suchte seinen Platz zwischen den Konservativen und den revolutionäreren Kräften, um nicht zermalmt zu werden.

Ricore Text: Zeigen die mittelalterlichen Strafen wie das Ertränken in der Limmat oder das Verbrennen nicht auch die andere Einstellung zur Gewalt dar?

Stefan Haupt: Doch. Das Ertränken war eine sehr langsame Todesart. Das Opfer hat ein paar Minuten noch die Möglichkeit, den Kopf über Wasser zu halten. Dann ertrinkt es. Und auch die Verbrennungen haben wir genau recherchiert. Die Menschen wurden mit Dattelsirup beschmiert, der gut brannte.

Ricore Text: Muss ein Film dies zeigen, um zu demonstrieren, wovor die Menschen Angst hatten?

Stefan Haupt: Ich wollte diese Formen von Gewalt nicht verschweigen, aber gleichzeitig den Zuschauer nicht schockieren. Entscheidend ist, wie sie in unser Bewusstsein eindringt. Mit Bildern vom Krieg oder der Vierteilung Zwinglis hätte ich sicher schockiert, aber keine nachhaltige Wirkung erzielt. Das Bild der Frauen, die auf ihre Männer warten, und dann auf die Botenberichte reagieren, sagt genug. Die Bilder, die wir uns vorstellen, sind häufig schlimmer als die, die ich hätte inszenieren können.
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Maximilian Simonischek ("Zwingli - Der Reformator", 2019)
Zwingli kannte Luthers Arbeit
Ricore Text: Hat Luthers Übersetzung der Bibel Zwingli beeinflusst?

Stefan Haupt: Luther übersetzte das Neue Testament zuerst, aber die erste vollständige Übersetzung der Bibel kam 1529 in Zürich heraus. Zwingli kannte Luthers Arbeit, aber die Übersetzung seiner Gruppe entstand eigenständig. Sein Freund Leo Jud kannte sich zum Beispiel wesentlich besser als Luther und Zwingli in den alten Sprachen aus, in denen das Wort Gottes das erste Mal festgehalten worden war.

Ricore Text: Wer Zürich kennt, wird viele Orte des Films erkennen. Wieviel konnten Sie in der Stadt drehen?

Stefan Haupt: Mein Wunsch war, dass wir die Szenen im Großmünster dort drehen - obwohl es nicht einfach war, die Drehgenehmigungen zu erhalten. Der Vorplatz gehört dem Kanton, die Kirche der Stadt und die Kirchgemeinde hat das Nutzungsrecht. Dazu kamen Auflagen vom Amt für Denkmalpflege. Wir wollten ja die Hälfte der Bänke demontieren, unter denen die Heizleitungen verlaufen. Für die Nachbildung der Stadt als digitales 3-D-Modell stützten wir uns auf einen detaillierten Plan von 1576. Nicht zuletzt bot uns das alte Kloster in Stein am Rhein eine Vielzahl an Räumen wie das Bürgermeisterzimmer, den Ort der Disputation, Zwinglis Wohnung sowie den Fischmarkt mit dem Blick auf den Fluss.

Ricore Text: Wie reagierten die Zuschauer auf den Film?

Stefan Haupt: Wir hatten großen Zuspruch, über 250.000 Zuschauer, das ist für die Schweiz enorm - und in Zürich läuft der Film seit Januar immer noch im Kino. Beileibe nicht nur in kirchlichen Kreisen kam der Film sehr gut an. Im urbanen, säkularisierten Umfeld stieß der Film oft auf Skepsis, die sich aber in Interesse für Zwinglis soziales Engagement und seine Bildungsoffensive wandelte. Und viele Schweizer Katholiken dankten mir, da sie nun endlich einmal überhaupt erfahren konnten, wofür und auch wogegen sich Zwingli eingesetzt hat.

Ricore Text: Brauchen wir im Moment nicht gerade eine Vergewisserung, weil wir durch die Zuwanderung und Flüchtlinge mit Menschen konfrontiert sind, die ihre Religion stärker leben als wir?

Stefan Haupt: Als ich mich als 8-jähriger das erste Mal verliebte, sagten mir meine Eltern, du wirst sie nie heiraten können, sie ist katholisch. Die Angst im damals noch protestantischen Zürich vor den italienischen Gastarbeitern wurde mit deren katholischen Glauben begründet. Heute wunderte sich meine Tochter, dass die Frauen im Mittelalter Hauben trugen - so wie heute Muslima Kopftücher. In Zürich leben heute mehr Katholiken als Protestanten, aber die die Zahl der Atheisten wächst konstant. In diesem Kontext finde ich es hochspannend sich bewusst zu machen, woher wir eigentlich kommen.

Ricore Text: Danke für das Gespräch.
erschienen am 15. Dezember 2019
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Der Schweizer Regisseur Stefan Haupt wird 2002 mit dem Dokumentarfilm "Elisabeth Kübler-Ross" über Landesgrenzen bekannt. Im semidokumentarischen Spielfilm "Der Kreis" erinnert er 2014 an die legendäre Zeitschrift der Zürcher Homosexuellen, schon damals arbeitet er mit Anatole Taubman zusammen. Der Schauspieler ist auch im Biopic "Zwingli - Der Reformator" zu sehen, in dem Maximilian Simonischek den Züricher Reformator gibt.
Die Bevölkerung des beschaulichen Zürich an der Limmat ist in Aufruhr. Der seit Jahresbeginn 1519 amtierende Leutprediger Ueli Zwingli (Maximilian Simonischek) schlägt ganz neue Töne an. Regisseur Stefan Haupt ("Der Kreis") hält sich eng sich an den Fakten und Ereignissen. Er porträtiert Zwingli als eher schüchternen Geistlichen.
2024