Berlinale 2009
François Ozon
François Ozon über Homosexualität im Film
Interview: Ich zeige die Realität
Frankreichs Regiewunder François Ozon ist der Schöpfer von Filmerfolgen wie "8 Frauen". "Die Zeit die bleibt" appelliert an unsere innerste Ängste. In einfühlsamen Bildern erzählt Ozon die letzten Monate des homosexuellen Modefotografen Romain, der mit gerade mal dreißig Jahren unheilbar an einem Gehirntumor erkrankt. In Berlin sprachen wir mit dem 38-jährigen Franzosen über seine Beweggründe.
erschienen am 22. 04. 2006
Prokino Filmverleih
Valeria Bruni Tedeschi in "Valeria Bruni Tedeschi" ("Le Temps qui reste", 2005)
Ricore: Monsieur Ozon, warum beschäftigen Sie sich in Ihrem aktuellen Film mit einer Thematik, die man eigentlich so gut wie möglich verdrängen möchte? François

Ozon: Ich entstamme einer Generation, in der Schreckensgespenster wie Aids wüten. Ich musste bereits viele junge Freunde sterben sehen, und wollte mich mit diesem Film dem Tod stellen. Ich wollte nachvollziehen, wie ein Mensch sich im Angesicht der Sterblichkeit fühlt.

Ricore: Sie müssen oft an den Tod denken?

Ozon: Nicht ständig, aber als Künstler betrachte ich das Sterben als interessantes, tief gehendes Thema. Ereilt jemanden in jungen Jahren so eine Schreckensnachricht, macht er sich automatisch Gedanken über den Sinn des Lebens. Ich zeige diese Reise, die Romain, meinen Protagonisten, zu sich selbst bringt. Den Prozess, das Unausweichliche zu akzeptieren. Und nicht zuletzt die Chance, am Ende mit sich selbst im Reinen zu sein.

Ricore: Obwohl sich die emotionale Reise von Romain sehr diffizil entwickelt, passiert vordergründig nicht viel. Warum haben Sie sich gegen aufregende Erlebnisse und Adrenalinkicks entschieden?

Ozon: Weil es in meinen Augen ein Klischee ist. Man malt sich diesen Ansporn als gesunder Mensch vielleicht aus, aber letztlich kommt es meistens ganz anders. Ich habe mit einigen Todkranken gesprochen. Die wollten im ersten Moment auch eine riesige Weltreise machen, alle möglichen Drogen ausprobieren und Sex noch einmal in vollen Zügen und mit jedem auskosten. Doch am Ende zählt in erster Linie die Suche nach Spiritualität...
Prokino Filmverleih
Christian Sengewald in "Die Zeit die bleibt"
Ricore: ...die Sie in Ihrem Film mit zarten, klassischen Musikklängen unterlegen, akustisch unterstützen.

Ozon: Ich wollte mit diesem Film keinen typischen Helden zeigen, der das Beste aus seiner Situation macht. Im Gegenteil hat Romain enorme Schwierigkeiten, seine Gefühle zu zeigen. Sie sehen bei mir keine amerikanische Story, in der sich die Familie weinend in den Armen liegt und sich aussöhnt. Ich zeige die Realität.

Ricore: Sie setzen bekanntlich gerne Frauen ins Zentrum Ihrer Geschichten. Warum haben Sie sich dieses Mal für einen schwulen Mann entschieden?

Ozon: Ich war einfach nicht mit der Art und Weise zufrieden, wie ich das heterosexuelle Pärchen in meinem letzten Film "Fünf mal zwei" dargestellt habe. Deshalb wollte ich mich dieses Mal wieder stärker auf einen Mann konzentrieren. Seine Homosexualität fungiert als dramatisches Element. Schwule zeugen eigentlich keine Kinder und hinterlassen nach ihrem Tod deshalb keine Spuren. In meinen Augen macht diese Tatsache das Schicksal meines Protagonisten noch viel stärker und interessanter.

Ricore: Homosexualität spielt in fast allen Ihren Filmen eine wesentliche Rolle. Wollen Sie mit diesem wiederkehrenden Merkmal etwas Bestimmtes ausdrücken?

Ozon: Ich verfolge keine Gesamtaussage, wenn Sie das meinen. Ich will durch meine Kunst lediglich Gefühle und Emotionen zeigen und sie mit meinen Zuschauern teilen. Aber sie haben Recht. Viele schwule Franzosen sehen in diesem Film etwa ein Statement für mehr Akzeptanz. Wenn jemand das so auslegt, habe ich natürlich nichts dagegen einzuwenden.
Ricore: Sie würden sich also nicht als politischer Fürsprecher bezeichnen, der für die Rechte von Schwulen kämpft?

Ozon: Zumindest nicht bewusst. Ich drehe meine Filme in erster Linie aus reinem Vergnügen. Wie etwa auch meinen Kurzfilm "Das Sommerkleid", der vor vielen Jahren plötzlich das Flagschiff der schwulen Bewegung in Frankreich und USA wurde. Sein Thema, die reine Lust ohne Schuldbewusstsein, traf damals wohl einen bestimmten Zeitgeist.

Ricore: Sind Sie persönlich mit der Akzeptanz von Homosexuellen in Frankreich zufrieden?

Ozon: Es wird immer besser. Schwule Eheschließungen werden inzwischen anerkannt, und wenn noch etwas Zeit vergeht, wird hoffentlich auf Adoption kein Problem mehr darstellen.

Ricore: Für Romains Liebhaber wählten Sie den deutschen Theaterjüngling Christian Sengewald. Warum genau wollten Sie ihn in Ihrem französischen Film besetzen?

Ozon: Christian spielte in dem Theaterstück eines Freundes, und als ich ihn sah, erschien er mir passend für die Rolle. Ich brauchte einen etwas seltsam anmutenden Typen, der in seiner Androgynität gut als Partner zu einem Modefotografen passt. Außerdem sollte er etwas naiv wirken, um einen guten Gegensatz zu dem doch recht egoistischen Romain zu bilden.

Ricore: Kritiker glauben in Romain Ihre filmische Personifikation zu erkennen...

Ozon: ...und darüber bin ich zugegebenermaßen etwas schockiert. Dieser Film ist nicht mein persönlichstes Werk! Viele denken das, nur weil die Machart so simpel ist. Dabei hatte selbst die Geschichte von "Swimming Pool" viele persönliche Facetten, aber bei einem Thriller fällt es weit weniger auf als bei einem nüchternen Drama. Letztlich offenbart jeder Film einen persönlichen Teil von mir.
Die Zeit die bleibt
Ricore: Sie gelten mit 38 Jahren bereits als Aushängeschild der französischen Arthouse-Regisseure. Wo sehen Sie Ihre Zukunft?

Ozon: In der Variation. Ich versuche meine Inszenierung der jeweiligen Story anzupassen. Filme sind meine Art der Kommunikation. Das Medium wird bleiben, aber in zwei Jahrzehnten werde ich hoffentlich wieder ein anderes Vokabular, eine andere Ausdrucksweise haben als heute.

Ricore: Mit Vorliebe inszenieren Sie in Ihren Filmen französische Leinwandgöttinnen wie Catherine Deneuve in "8 Frauen" oder aktuell Jeanne Moreau als Romains Großmutter. Warum ist es Ihnen so wichtig, dass Ihre Filme alten französischen Geist atmen?

Ozon: Wenn man gute Filme drehen will, ist es toll, Schauspielerinnen zu haben, die eine Geschichte mit sich bringen und nicht erklärt werden müssen. Das erleichtert dem Zuschauer die Identifikation. Bei Charlotte Rampling in "Swimming Pool" ist es mir bewusst aufgefallen. Eine Großaufnahme genügte, und alles war bereits gesagt. Aus diesem Grund steht meine Wahl meist zu Beginn des Drehbuchsschreibens bereits fest. Die Schauspielerin wird zu meiner Muse bzw. zur passiven, stummen Autorin.

Ricore: Was hat Ihnen die 78-jährige Jeanne Moreau bei diesem Film beigebracht?

Ozon: Sie hat mich zu einigen Szenen inspiriert. Etwa, wenn sie dutzende Vitaminschachteln auspackt, die sie jeden Tag einnimmt. Oder die Szene, in der sie nackt im Bett schläft. All das sind persönliche Macken von ihr, die mir so gut gefallen haben, dass ich sie mit ihrem Einverständnis in die Story gebracht habe.

Ricore: Bekommen Sie überhaupt noch Absagen?

Ozon: Bei amerikanischen Schauspielerinnen schon. Ich möchte meinen nächsten Film in englischer Sprache drehen und habe mich deshalb in Amerika umgesehen. Aber viele wollten einfach nicht. Ihre Gagenforderungen sind zu hoch, sie wollen teure Versicherungen und einen großen Wohnwagen. Mit dieser Arbeitsweise komme ich einfach nicht zurecht.
erschienen am 22. April 2006
Zum Thema
Der französische Regisseur und Drehbuchautor François Ozon sorgt mit "Besuch am Meer" 1997 erstmals für Aufmerksamkeit. Sein offener Umgang mit Sexualität und die Fokussierung auf weibliche Protagonistinnen werden zu seinem Stilmerkmal. Mit "8 Frauen" oder "Swimming Pool" wird er einem internationalen Publikum zum Begriff. Die Arbeiten Ozons bewegen sich in assoziativer Nähe zum Frühwerk von Pedro Almodóvar und den Werken des deutschen Filmpioniers Rainer Werner Fassbinder, wobei der Pariser..
"Die Zeit, die bleibt" ist François Ozons zweiter Teil seiner Trilogie über die Trauer. Den Anfang machte im Jahr 2000 "Unter dem Sand". Die Fortführung der Trilogie handelt von einem jungen Fotografen, der plötzlich mit dem eigenen, bevorstehenden Tod konfrontiert wird.
2024