Concorde Filmverleih
Isabelle Huppert
Isabelle Hupperts spröder Charme
Interview: Vollblutschauspielerin mit Köpfchen
Isabelle Huppert blickt auf eine 35jährige Karriere im Filmgeschäft zurück. In dieser Zeit bewies sie viel Mut, nahm Rollen wie "Die Klavierspielerin" an. Immer wieder arbeitet sie mit Claude Chabrol zusammen, so auch für "Geheime Staatsaffären". Die französische Filmdiva ist zierlich und wirkt mit ihren Sommersprossen trotz ihrer 53 Jahre sehr jugendlich. Im Interview merkt man schnell, dass die vielseitige Schauspielerin sehr genau weiß, was sie will. Zweifellos gehören die Fragen der Journalisten nicht unbedingt dazu. Dennoch sprach sie bei ihrem Aufenthalt auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2006 bereitwillig mit Ricore Text.
erschienen am 23. 07. 2006
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Isabelle Huppert in Geheime Staatsaffären
Ricore: Claude Chabrol sagte vorhin, dass er während der Drehs eine familiäre Atmosphäre schätzt. Gehören Sie zur Familie?

Isabelle Huppert: Ja, er ist für mich so etwas wie mein Onkel und ich seine Nichte. Diese Beschreibung unseres Verhältnisses trifft es ganz gut.

Ricore: Er sagte auch scherzhaft, dass er Ihnen eine Rolle anbieten würde, für die Sie mehr essen müssten.

Huppert: Das würde ich nicht machen. Ich täte alles für ihn, außer mehr zu essen. Ich würde generell keine Rolle annehmen, für die von mir verlangt würde, mehr zu essen.

Ricore: Wie ist die Stimmung am Set mit Claude Chabrol?

Huppert: Sehr gut. Er ist immer ausgeglichen. Er wird nicht nervös und hat alles unter Kontrolle. Claude ist im sehr positiven Sinne mächtig und kann es sich deshalb auch leisten, lustig und entspannt zu sein. Außerdem gibt er allen am Set das Gefühl, sehr kreativ zu sein - auch den Technikern.

Ricore: Wie würden Sie Ihre Art zu spielen definieren?

Huppert: Es ist ein "non-method-acting". Ich lasse mich von einer Figur führen und versuche, sie nicht zu bestimmen. Ich beobachte, wie sie sich im wirklichen Leben entwickeln würde. Das beinhaltet, dass sie dich manchmal an düstere und manchmal an heitere Orte führt. Ich denke, dass sollte man von einem Charakter erwarten oder besser gesagt, sollte das dein Charakter von dir erwarten können. Diese Vorgehensweise finde ich interessanter als vorgefasste Vorstellungen zu haben, wie eine Figur sein sollte oder sich entscheiden zu müssen, ob diese gut oder schlecht ist. Sie ist einfach mal besser und mal schlechter.
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Isabelle Huppert
Ricore: Bevorzugen Sie zeitgenössische Charaktere?

Huppert: Nein, man sollte jeden Charakter so objektiv beziehungsweise als Schauspielerin so subjektiv wie möglich gestalten. Dabei ist es egal, ob er zeitgenössisch ist oder wie in "Gabrielle" in der Vergangenheit spielt.

Ricore: Was denken Sie, hat Ihr Charakter in "Geheime Staatsaffären" von Ihnen erwartet?

Huppert: Zu Beginn ist meine Figur auf der "guten" Seite der Welt, sie ist eine mächtige Person. Aber natürlich muss sie dafür einen hohen Preis zahlen, vor allem in ihrem Privatleben. Chabrol mag es, Leute zu zeigen, die selbstbewusst und sich ihrer Sache sehr sicher sind. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Film im Krankenhaus endet, wo alle Figuren innerlich oder äußerlich gebrochen sind. Chabrol ist für mich in diesem Film ein kleiner Moralist. Es wird kein politisches, sondern ein moralisches Statement vermittelt. Manchmal ist das Leben für Überraschungen gut und zwingt einen, über sich selbst und das, was man tut, nachzudenken.

Ricore: Können Sie sich mit dem Streben nach Macht identifizieren?

Huppert: Nein, ich identifiziere mich nicht im strengen Sinne mit meiner Figur, aber das Schöne am Spielen ist, dass man seine eigenen Einstellungen überdenken und vielleicht in die Figur einbringen kann. Aber der Film sollte durchaus als eine Metapher für alle Arten von Macht, Besessenheit oder Ehrgeiz genommen werden.

Ricore: Zahlt man nicht auch für zu viel Arbeit einen zu hohen Preis?

Huppert: Ja, sicherlich. Ich habe anfangs gar nicht darüber nachgedacht, aber es war wohl zu viel, was meine Figur auf ihren Schultern tragen musste, denn sie erträgt es am Ende eben nicht mehr. Aber da sie eine Frau ist, erkennt sie, wann es sich zu kämpfen lohnt und wann nicht mehr. Sie zieht ihre eigenen Schlüsse.
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Claude Chabrol am Set mit Isabelle Huppert
Ricore: Macht könnte man auch mit Berühmtheit gleichsetzen?!

Huppert: Ja, sicherlich. Man kann diesen Film, wie viele andere von Chabrol auch, als eine Metapher für Medien und die Macht des Kinos verstehen. Warum nicht! Alles was etwas Schillerndes an sich hat, ist auch gefährlich.

Ricore: Fällt es Ihnen leicht, sich von Ihrem Ruhm nicht einschränken oder blenden zu lassen?

Huppert: Wenn man einen gewissen Sinn für die Realität hat, lässt man sich nicht so schnell von Erfolg blenden. Aber wenn man erfolgreich ist, wird man auch manchmal mehr eingeschränkt als man sich wünscht. Dennoch ist es sehr schön, berühmt zu sein. Die Vorteile überwiegen definitiv, dennoch man muss eine gewisse Distanz zu seinem eigenen Erfolg wahren.

Ricore: Halten Sie es für gefährlich, sich zu sehr mit seiner eigenen Arbeit zu identifizieren?

Huppert: Ich weiß nicht, ob es wirklich gefährlich ist. Wahrscheinlich nur dann, wenn man selbst das glaubt, was die Leute von einem denken. Denn es ist gerade in unserem Beruf üblich, dass sich die Leute ein Bild von dir machen, welches meist mit deiner wirklichen Persönlichkeit nichts zu tun hat. Auf der anderen Seite ist es auch wichtig zu wissen, was das Publikum von dir hält, andernfalls könnte das zu Missverständnissen führen. Es ist also notwendig, sich damit auseinander zu setzen, warum die Leute ein bestimmtes Bild von dir haben. Das kann jedoch manchmal ziemlich schwierig sein.

Ricore: Wie distanzieren Sie sich nach einem Film- oder Theaterprojekt wieder von ihrer Figur?

Huppert: Das war nie ein Thema für mich. Für mich ist es sehr klar, was Spiel und Realität ist. Es fällt mir manchmal schwerer, mich von einem Bühnenstück zu distanzieren. Denn Theater ist etwas Immaterielles, es bleibt nicht. Daher ist es schwieriger loszulassen, während der Film für die Zukunft existiert. Da ist es definitiv kein Problem, die Figur hinter sich zu lassen.
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Ricore: Wie fühlt es sich für Sie an, zu spielen? Ist es manchmal beängstigend?

Huppert: Nein, es macht mir einfach nur Spaß. Es ist etwas sehr Natürliches für mich, deshalb denke ich nicht so viel darüber nach. Sicherlich beschäftige ich mich auch mit meinen düsteren Seiten, aber das ist eher erleichternd. Für das Publikum ist es definitiv schwieriger, sich damit zu auseinander zu setzen, als es für mich zu spielen ist. Aber im Endeffekt ist es für die Zuschauer auch eine Erleichterung, denn sie projizieren ihre eigenen Emotionen in die der Figur.

Ricore: Finden Sie es schwierig, sich mit Ihren dunklen Seiten zu beschäftigen?

Huppert: Nein, denn ich kenne diese Seiten an mir.

Ricore: Ist Spielen für Sie etwas Instinktives oder etwas Intellektuelles?

Huppert: Beides. Ich möchte auch sichtbar machen, was der Charakter denkt, nicht nur fühlt. Für mich gehört zum Spielen daher Gefühl und Intellekt unmittelbar zusammen.

Ricore: Frau Huppert, vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 23. Juli 2006
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