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Nicole Kidman in "The Hours"
Mich? Du scherzt wohl!
Interview: Nicole Kidman zu 'The Hours'
Meryl Streep bezeichnete Nicole Kidman als talentierteste Schauspielerin Hollywoods. Hollywood drückt es anders aus: Kidman sei die Meryl Streep ihrer Generation. Das Resultat ist dasselbe - seit ihren privaten Niederlagen steigt die australische Schauspielen beruflich immer höher. Es darf ruhig über einen Zusammenhang spekuliert werden. Denn für ihre mit einem Golden Globe gekrönte und Oscar nominierte Rolle in Stephen Daldry's "The Hours" musste Kidman tief in die eigene schmerzende Psyche blicken - und beweist obendrein, dass sie nicht auf ihre Schönheit angewiesen ist. In der Rolle von Virginia Woolf ist sie (mit Nasenprothese) fast unkenntlich - und doch nicht zu übersehen.
erschienen am 23. 03. 2003
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Nicole Kidman und Miranda Richardson in: The Hours
Ricore Medien: Sieht man sich alte Bilder von Virginia Woolf an, kommt man nicht automatisch auf die Idee, dass Nicole Kidman äußerlich perfekt für die Rolle ist. Wem fielen Sie zuerst ein und wie reagierten Sie darauf?

Nicole Kidman: (lacht) Regisseur Stephen Daldry rief mich . Ich drehte gerade "The Others", und er sagte: 'Ich habe eine Rolle für die ich dich unbedingt will - Virginia Woolf'. Und ich meinte: "Mich? Du scherzt wohl!" Aber er redete auf mich an, erklärte mir, dass ich "Mrs.Dalloway" lesen soll -ich hatte es mal in der Schule gelesen.

Ricore: Wie würden Sie die Reise in die Psyche von Virginia Woolf beschreiben?

Kidman: Es war ein seltsames zeitliches Gefüge, weil ich an einem Kreuzweg in meinem Leben stand. Alles was ich über sie las, war so relevant und tiefsinnig. Auf einmal war es, als ob ihre Stimme zu meiner Seele sprechen würde - und wenn dir das als Schauspieler passiert, musst du die Rolle annehmen. Als wir zu drehen beginnen sollten, war gerade mein gesamtes Leben zerbrochen, und auf einmal sollte ich eine Suizidgefährdete Frau spielen, obwohl ich am liebsten gar nicht spielen wollte! Ich versuchte aus dem Film auszusteigen, aber das wurde mir verboten. Also beschloss ich sie aufzusaugen und war emotionell extrem offen. Ich verstand ihren inneren Kampf, sie ging mir wirklich unter die Haut, und irgendwann lernte ich das Frauenidol lieben. Für mich war's der berühmte Sprung von der Klippe ins kalte Wasser!
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Nicole Kidman in: The Hours
Ricore: Ins kalte Wasser mussten Sie dann ja auch wirklich gehen: der Film beginnt mit Woolfs Selbstmord in der Themse. Stephen Daldry erzählt, dass Sie keine Sekunde zögerten, ein Take nach dem anderen zu machen, wo Sie im kalten Fluss ertrinken. Sind Sie komplett furchtlos wenn Sie drehen?

Kidman: Stephen macht da mehr draus als es war: er hatte Angst, dass ich wirklich ertrinke, aber deshalb gab's ja die Rettungstaucher. Und ja, es war eisig, aber ich konnte mich ja zwischendurch immer wieder aufwärmen.

Ricore: Bei ersten Vorführungen in Los Angeles haben Sie viele Zuschauer nicht erkannt, weil Sie durch die Nasenprothese völlig verändert wirkten. Wie weit sind Sie bereit für eine Rolle zu gehen?

Kidman: Wir hatten endlose Diskussionen deswegen. Ich selbst habe meine eigene Art, mich in eine Rolle hineinzuversetzen. Ich finde die Person durch ein paar Schuhe und die Art wie sie geht. Dann wurde ich gefragt, was ich davon halten würde, mein Gesicht zu verändern. Diese Frage wird einem in Hollywood normalerweise nicht gestellt! (lacht) Die wollen meist nur, dass man jünger aussieht! Glamouröser! Nicht älter und hässlicher. Stephen war sicher, dass wir durch die äußere Veränderung ihre innere Stimme finden würden. Er hatte recht. Aber es war nicht nur die falsche Nase, es waren die Zigaretten, die Art wie ihr Kleid runterhing, das Taschentuch, alles setzte sich zusammen wie ein Puzzle. Die Veränderung war letztlich nicht so sehr technischer als instinktiver Natur.

Ricore: Sie ließen sich nicht von persönlicher Eitelkeit davon abhalten?

Kidman: Nein, ich liebte ihr Profil! Sie sah wie eine Patrizierin aus. Ich saß zwei Stunden täglich in der Maske, hörte Musik, dann trat ich aus dem Trailer und war Virginia. Es war unglaublich befreiend, weil ich mich selbst als Person ablegte und außer der Nase keinerlei Schminke hatte.
Die Frauen aus: "The Hours"
Ricore: Das große Thema des Films ist der Tod. Wirklicher Tod und Tod als Metapher für das Ende von Beziehungen. Wie gehen Sie mit dem Thema persönlich, beruflich, künstlerisch und politisch um, in einer Zeit, wo alle nur von Krieg reden?

Kidman: In meinem Business haben alle große Angst vor dem Tod als Hauptmotiv eines Films. Die hören Tod und denken sofort an Tod an den Kinokassen! Dabei ist das ein so wichtiges Thema für uns alle. Tod und Verlust eines Menschen sind Dinge, mit denen wir uns alle irgendwann auseinandersetzen müssen. Ich hatte eine Riesenangst vor dem Tod! Ich sah meine Mutter gegen den Brustkrebs kämpfen, ich sah ihre entsetzlichen Schmerzen und wie sie sie dann besiegte. Aber ich lernte, dass man selbst mit dem Tod Frieden schließen muss. Das Leben ist eine Reise, die irgendwann endet, und man muss sich darauf konzentrieren sein Leben so voll und gut zu leben wie möglich. Und es schaffen, dass man sich mehr an die Liebe erinnert als an die Schmerzen. Virginia Woolfs Kampf war, dass sie ihr Leben nach ihren Vorstellungen leben wollte und nicht konnte. Obwohl sie wusste, dass sie dadurch früher sterben würde. Sie wollte glücklich sein.

Ricore: Wie sehr glauben Sie wurde Virginia Woolfs Leben und ihre Literatur durch ihre sexuelle Neigung beeinflusst?

Kidman: Virginia sagt diesen Satz im Film zu Leonard auf dem Bahnhof: "Wie ist das geschehen? Ich lebe ein Leben, das ich zu leben nicht gewählt habe." Dieser Satz fand zu dem Zeitpunkt in mir großen Widerhall! (lacht) Ich glaube allerdings, dass Virginia's Sexualität nur einer der Faktoren war, die sie unglücklich machten. Sie war ganz allgemein in eine für sie falsche Ära hineingeboren. Die gesellschaftlichen Zwänge waren nur eine Komponente. Sie war ihrer Zeit voraus. Das zeigte sich auch in ihren Werken. Es machte mich traurig als ich verstand, dass ihr innerer Kampf einen Riesenteil ihres Lebens einnahm. Aber ich begriff auch, dass diese Seelenqual ihre Kreativität förderte. Hätte sie jemals "Mrs. Dalloway" oder "Orlando" geschrieben, wenn sie Prozac genommen hätte? Wenn Antidepressiva existiert hätten? Ich habe darauf keine Antwort. Sie brach viele Tabus - auf ihre Weise und soweit sie konnte.
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Nicole Kidman, Regisseur Stephen Daldry in: The Hours
Ricore: Im Film küsst Virginia plötzlich ihre Schwester - direkt auf den Mund. Im Buch kommt dieser Kuss nicht vor. Viele Zuschauer reagierten sehr verwundert nach dieser Szene. Sie ist lesbisch, ja. Aber warum küsst sie ihre Schwester so leidenschaftlich?

Kidman: Der Kuss wird missverstanden. Niemand wollte hier ein inzestuöses Verhältnis zwischen Virginia und ihrer Schwester andeuten. Für mich ist es ein verzweifelter Kuss. Ihre Schwester hat alles, was Virginia nicht hat, nie haben wird. Ein normales Leben. Kinder. Sie liebt ihre Schwester und beneidet sie gleichzeitig. Und weiß, dass so ein leben sie aber auch nicht glücklich machen würde . Virginia ist eine sehr komplexe Persönlichkeit. Eine rare Kreatur. Und ich sage Kreatur hier ganz liebenswürdig.

Ricore: Nach Jahren von Filmen und TV-Serien über männliche Homosexualität, sahen wir im vergangenen Jahr einige Filme, die sich mit weiblicher Homosexualität auseinandersetzen. Wird das nun, glauben Sie, zum Trend?

Kidman: Sie haben recht, das Thema wird von der Filmindustrie auf einmal sehr offen behandelt. Natürlich ist das sehr gut. Denn es ist immer die Kunst, die solche Tabus zuerst bricht. Erst dann werden sie auch von der Gesellschaft mit mehr Offenheit betrachtet. Und das ist in jedem Fall eine gute Entwicklung.

Ricore: Sind Sie glücklich?

Kidman: Meryl (Streep) hat im Film diese wundervollen Satz: 'da war dieser Moment des Glücks', und ich dachte: wau! Das ist der Beginn des Glücks. Bin ich glücklich? Ich bin auf jeden Fall weiser. Und ich habe großartige Momente des Glücks. Ich habe Momente tiefer Traurigkeit. Auf eine ganz seltsame Art bin ich jetzt erwachsen. Ich bin immer noch so emotionell wie ein Kind, muss aufpassen, weil ich so offen bin und alle gleich wissen, was in mir vorgeht. Ich versuche mein Leben mit Integrität und Würde zu leben, eine verantwortungsvolle Mutter für meine Kinder zu sein und aus meiner Arbeit Freude zu schöpfen.

Ricore: Meryl Streep ist ein großer Fan Ihres Talents...

Kidman: (unterbricht) Mir ist das soooo peinlich, denn mein ganzes Leben lang sah ich sie als Vorbild, als diese großartige Frau, die die Meßlatte für Schauspielerinnen meiner Generation so hoch gesetzt hat. Ihr ist es peinlich wenn ich ihr das sage, aber für mich ist sie die beste Schauspielerin aller Zeiten. Ich saß immer daheim im Schlafrock, Eiscreme essend, und sah mir an, wie sie all' diese Oscars gewann. Meinen Namen im selben Film zu finden ist eine Riesenehre für mich!
erschienen am 23. März 2003
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The Hours (Kinofilm)
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