Universum Film
Sir Anthony Hopkins in "Mit Herz und Hand"
Sir Anthony: Momente des Zweifelns
Interview: Mein Job ist nichts als Quatsch
Seit fünfzig Jahren wagt sich Anthony Hopkins an vornehmlich düstere wie obskure Gestalten. Er spielte Adolf Hitler, Richard Nixon und nicht zuletzt den Serienkiller Hannibal Lecter, der den Briten endgültig in Hollywoods Oberliga adelte. Nun tritt Sir Anthony einen Schritt zurück und spielt in dem Ensemble-Film "Bobby" den ehemaligen Türsteher eines Nobelhotel, der sich seine neu gewonnene Freizeit mit Schachspielen vertreibt. Kein Zufall: Auch privat entdeckt der 68-Jährige den Müßiggang für sich.
erschienen am 8. 09. 2006
Verleih
Den Geschmack an kleinen Rollen in ausgesuchten Filmen gefunden
Ricore: Herr Hopkins, in "Bobby" spielen Sie nur eine sehr kleine, eher unscheinbare Rolle. Ihr Auftritt ist gut, aber nicht gerade das, was man von einem Weltstar erwartet...

Anthony Hopkins: ich fühle mich zu kleinen, beschaulichen Geschichten hingezogen, bei denen ich nachträglich das Gefühl habe, dass es die Zeit wert war. Die Rolle muss nicht groß sein, nur interessant. Ich möchte nicht zu viel Eile haben, aber trotzdem möglichst kompakt am Stück beschäftigt sein. Eigentlich habe ich aus diesem Grund auch keine Lust mehr, in großen Blockbustern mitzuspielen. Man hängt tagelang am Filmset herum, und die einzelnen Einstellungen sind so komplex und aufwendig, dass gar nichts zu passieren scheint. Ich frage mich als normaler Kinozuschauer, warum Einstellungen heutzutage so überladen sein müssen. Ich persönlich bleibe dann lieber zu Hause und sehe mir getragene Filme wie "Fargo" an. Oder ich drehe eben einen Film wie "Bobby", in dem meine Rolle überwiegend daraus besteht, mit Harry Belafonte Schach in einer Hotellobby zu spielen. Ich komme ans Set, drehe meine Szene ab und gehe. Dafür braucht es weder Wartezeit noch ein großes Budget.

Ricore: Keine Sehnsucht nach großer Entourage und all den anderen Bequemlichkeiten, die man Ihnen als Teil Ihres Vertrages automatisch zur Verfügung stellt?

Hopkins: Darauf habe ich keine Lust mehr. Ich werde inzwischen schon vorsichtig, wenn man mich während Filmdrehs zum abendlichen Dinner überreden möchte. Da erzählt man mir, man hätte das beste Fischrestaurant Europas aufgetan, und am Ende des Abends schmeckt der Fisch genauso ordinär wie überall. (lacht) Wenn es nicht Freunde von mir sind, habe ich auf dieses gemeinsame Rumhängen keinen Bock mehr. Ich will meine Arbeit erledigen und dann in Ruhe gelassen werden. Das Ganze Drumherum kann mir gestohlen bleiben.

Ricore: Hat Schauspielerei heute für Sie noch denselben Stellenwert wie früher?

Hopkins: Ich bin mit Sicherheit nicht mehr so versessen darauf wie früher. Ich werde älter und muss meine verbleibende Zeit nutzen. Theater wäre mir viel zu aufwändig. Ich bewundere Menschen, die sich darauf einlassen, aber ich würde mich zwischen all den Proben wie im Gefängnis fühlen. Ich mag meinen Job immer noch, Kraft meiner Erfahrung finde ich ihn inzwischen sogar recht einfach, aber ich gönne mir inzwischen regelmäßige Auszeiten.
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Sir Anthony Hopkins
Ricore: Sie - der Workaholic - entdecken plötzlich den Müßiggang des Lebens?

Hopkins: Ich lebe ein enorm kreatives Leben. Ich male gerne mit Acrylfarben, und für meine bescheidenen Kenntnisse gelingt mir das sogar sehr gut. Ich verschlinge Bücher oder pflege meine innige Liebe zu meinem Klavier. (lacht) Inzwischen komponiere ich sogar selbst.

Ricore: Was genau?

Hopkins: Es klingt sehr symphonisch. Dave Stewart von Eurythmics hat mich dazu ermutigt. Er meint, ich hätte Talent. Also bewege ich meinen Allerwertesten mehrmals wöchentlich ins Tonstudio und improvisiere vor mich hin. Da brauche ich dann Hilfe, weil ich mich mit all den Computern und Synthesizern dann doch nicht so gut auskenne, aber für mein Alter mache ich mich ganz gut. Am Ende muss sich Dave immer die neuesten Ergebnisse anhören. Er ist also so etwas wie mein Mentor.

Ricore: Was war das größte Risiko, das Sie für das Erreichen Ihrer Ziele eingegangen sind?

Hopkins: Dass ich meine Stunts fast immer selbst gemacht habe. Lachen Sie nicht, es ist die Wahrheit!

Ricore: Sie haben meist exzentrische Rollen gewählt, angefangen bei Adolf Hitler und Präsident Nixon über Pablo Picasso bis hin zum Psychopathen Hannibal Lecter. Wie bereiten Sie sich auf solche extremen Persönlichkeiten vor?

Hopkins: Inzwischen halte ich es gerne so simpel wie möglich. Soll heißen: Ich lerne meinen Text und erscheine pünktlich am Drehort.

Ricore: Sonst nichts?

Hopkins: Wie gesagt, ich mag es lieber simpel. Man muss ja nun auch weiß Gott nicht hochintelligent sein, um als Schauspieler zu arbeiten. Die Arbeit ist simpel und im Grunde genommen reiner Quatsch.
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Sir Anthony Hopkins "Mit Herz und Hand"
Ricore: Desillusionieren Sie mit diesen Worten auch Ihre jungen Schauspielschüler, die Sie ab und zu an der UCLA in Los Angeles unterrichten?

Hopkins: Ich bringen ihnen bei, dass sie ihr Schauspiel reduzieren müssen. Dass sie es wie Marlon Brando machen sollen, um nicht zu übertreiben. Man muss dem Schauspiel die Intensität nehmen. All die Vorbereitung führt zu nichts, es lenkt nur vom eigentlichen ab. Man braucht Talent, und ohne das geht gar nichts.

Ricore: Wie ist die Reaktion der Schüler?

Hopkins: Manche haben Tränen in den Augen, aber oft, weil es für sie wie eine Offenbarung ist. Deswegen sage ich ihnen auch von Anfang an eiskalt ins Gesicht, dass die Welt nicht schlechter wäre, wenn es sie nicht gäbe. Man braucht uns Schauspieler nicht, und wenn man das immer im Hinterkopf behält, schützt uns das vor Eitelkeit. Es kann dir in deinem Leben alles bedeuten, aber auf lange Sicht gesehen verliert es an Kraft. Und wenn man mit jungen Jahren zu sehr nach Hollywood und dem Oscar strebt, behindert das, ein reiches und erfülltes Leben zu führen.

Ricore: Hat Sie Schauspielerei jemals auf ein besonderes Glücksniveau gehievt?

Hopkins: Ich habe mit der Schauspielerei im September 1955 begonnen und bin seitdem konstant am arbeiten. Da fällt es mir schwer, einige wenige Glücksmomente herauszupicken. Aber wissen Sie was? Ich hatte ein wundervolles Leben. Ich werde für mein Hobby bezahlt und diesen Luxus versuche ich noch genauso zu schätzen wie früher. Je mehr Zeit vergeht, je mehr ich zurückblicke, desto bestimmter kann ich sagen: Ich mag Momente des Schlingerns und Zweifelns gehabt haben, aber letztlich hatte ich so verdammt viel Glück. (überlegt) Wohl wahr: Ich hatte ein so großes, wahnsinniges Leben. Und jeder Moment, den ich noch genießen darf, ist fantastisch. Ich kann das gar nicht näher beschreiben, in diesem Fall fehlen sogar mir die Worte.
MGM
Bobby
Ricore: Es wirkt nicht so, als ob Sie das Älterwerden stören würde...

Hopkins: Nein, gar nicht.

Ricore: Also genießen Sie es?

Hopkins: Kann man so sagen, ja. Ich achte auf meine Kondition, und für meine Alter bin ich noch Top in Form.

Ricore: Sterblichkeit betrübt Sie nicht?

Hopkins: Der Tod, ja der Tod macht das Leben erst richtig spannend. Niemand von uns weiß, worauf alles am Ende hinausläuft, und genau darin liegt doch der Reiz! Vielleicht gibt es so etwas wie ein Leben nach dem Tod, und falls nicht, genieße ich mein Leben vorsorglich schon mal in vollen Zügen.

Ricore: Gibt es etwas Entscheidendes, das Sie erst im Alter über das Leben gelernt haben?

Hopkins: Ja, Gelassenheit. Ich wünschte, ich wäre schon in jungen Jahren mit mir selbst so im Einklang gestanden. Wenn man noch nicht die Erfahrung hat, steigert man sich immer in alles hinein und die kleinste Angelegenheit scheint von unglaublicher Wichtigkeit. Wenn man dann im Alter zurückblickt, fragt man sich, warum man immer soviel Aufsehen um alles gemacht hat. Nichts ist wirklich wichtig, außer das Leben zu genießen.

Ricore: Also sind all Ihre Kindheitswünsche in Erfüllung gegangen?

Hopkins: Absolut, sehen Sie mich an! (lacht) Noch Fragen?
erschienen am 8. September 2006
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