Andreas Eckenfels/Ricore Medien
Julian Benedikt
Lücken schaffen, sich selbst erkennen
Interview: Benedikt macht sein Ding
An seinem 43. Geburtstag empfängt mich Dokumentarfilmer Julian Benedikt in seinem Münchner Büro. Heute zu arbeiten, sei kein Problem, da ihm die Arbeit Spaß mache. Trotzdem wirkt er erschöpft. Der Grund sind die abgeschlossene Postproduktion an seinem Jazzfilm "Play Your Own Thing". Er setzt sich auf ein schwarzes Ledersofa. Die fast vierjährige Arbeit habe sich gelohnt, zeigt sich Benedikt begeistert.
erschienen am 15. 11. 2006
Benedikt Pictures
Arve Henriksen versucht es mit zwei Trompeten
Nach dem Interview geht es für den Filmemacher erstmal zum Geburtstagsessen mit den Kollegen und in der nächsten Woche in den verdienten Urlaub. Jetzt, wo er sein Projekt endlich fertig hat, hätte Benedikt auch Zeit, Saxophon zu spielen oder zu Malen. Aber am liebsten entspannt er sich beim Fußball. Denn, wie er erzählt, gibt es viele Parallelen zwischen Fußball und Jazz.

Ricore: Sie kommen aus einer Künstlerfamilie. Inwieweit hat dies ihr weiteres Leben beeinflusst?

Julian Benedikt: Ich habe viel Musik von zu Hause mitbekommen, bin in einer musikalischen Familie aufgewachsen. Meine Eltern sind Bildhauer, meine Großmutter und mein Großvater waren Musiker. Die Musik hat immer eine große Rolle gespielt. Mit meiner jetzigen Arbeit habe ich den Spaß an der Musik und überhaupt den Kontakt zu ihr gehalten.

Ricore: Was hat ihr Interesse für den Jazz geweckt?

Benedikt: Das kam durch Chico Hamilton. Ich habe in einer Münchner Diskothek ein Stück von ihm gehört und mir die erste Platte gekauft. Irgendwann habe ich eine Konzertanzeige gelesen "Chico Hamilton Quartett". Dort bin ich hingegangen und habe ihn kennen gelernt. Ich habe ihn durch München geführt und er hat mich nach New York eingeladen. Dort hatte ich auch Saxophon-Unterricht. Ich habe aber sehr früh festgestellt, wenn ich annährend das gleiche musikalische Niveau wie die Amerikaner erreichen will, dann muss ich ab sofort acht bis zehn Stunden täglich üben. Es war irgendwann klar, dass ich meine Ausdrucksform woanders finden muss.
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Der junge Thomasz Stanko
Ricore: Was fasziniert Sie an der Jazzmusik?

Benedikt: Erst einmal muss ich sagen: Ich bin nicht der Jazz-Freak, der wirklich nur Jazz hört. Ich höre alle möglichen Musikrichtungen. Aber es ist ein spannendes Thema und umfasst eben nicht nur eine Musikrichtung. Ich will ja auch über meine Filme dem Zuschauer oder Zuhörer näher bringen, dass in dieser Musik eine wahnsinnige Bandbreite steckt und letztendlich unsere europäische Kultur da auch irgendwo von Anfang an mit dabei gewesen ist.

Ricore: Wie haben Sie die Auswahl der Musiker getroffen, die Sie in "Play Your Own Thing" interviewt haben?

Benedikt: Das ist zum einen eine sehr persönliche Auswahl. Ich habe mich natürlich beraten lassen und recherchiert. Befreundete Musiker haben mir auch gesagt, 'hör dir den mal an'. Ich benutze auch Drehbuch und Konzept und versuche, bestimmte Leute zu kriegen. Aber es hat viel mit einer intuitiven und zugleich sehr spontanen Vorgehensweise zu tun, wenn ich Leute entdecke und mich ihre Geschichte fasziniert.

Ricore: Welcher Künstler hat Sie besonders beeindruckt?

Benedikt: Coco Schumann ist einfach eine großartige Persönlichkeit. Es geht ja nicht nur um die Musik, sondern auch um die Geschichten und wie die Musik zu einem gekommen ist. Ich habe Tomasz Stanko vorher nicht besonders gekannt. Ich habe ihn erst über die Arbeit an dem Film schätzen und lieben gelernt. Ich hatte Begegnungen mit Musikern, die quasi ihr letztes Interview gegeben haben. Das sind Glücksmomente, das man einfach spürt, da muss ich jetzt hinfahren und mich mit Niels Henning Ørsted Pedersen unterhalten. Wir wollten eigentlich nur 15 Minuten reden. Er war eigentlich total verschnupft und eigentlich konnte man nicht viel mit ihm machen. Aber wir hatten so eine innige und persönliche Begegnung. Ich glaube wir haben einfach einen sehr wichtigen Moment dokumentieren können.

Ricore: Die Jazz-Welle begann nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris. Hätten Sie gerne in diesen Intellektuellenvierteln Anfang der 1950er Jahre gelebt?

Benedikt: Auf jeden Fall! Das war auch die Initialzündung für meinen Film, als ich gesehen habe, was für Welten da aufeinander getroffen sind. Das kommt auch meinen Talenten und Vorlieben sehr nahe. Ich male ja auch sehr gerne. Film, Musik, Malerei, Bildhauerei. Was da für ein Austausch stattgefunden hat. Und dann die Strukturen der Clubs, wo eine Atmosphäre herrschte, in der alles möglich war. Das hat wirklich einen großen Reiz auf mich ausgeübt.
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Joachim Kühn in seinem Element
Ricore: Wäre so eine Aufbruchsstimmung heute immer noch möglich?

Benedikt: Was die damals geebnet haben, das können wir durchaus fortsetzen. Das wollte ich auch mit meinem Film zeigen: Trotz aller Kopiermöglichkeiten und scheinbaren Einfachheiten, die wir heutzutage haben, ist dies immer noch möglich. Auch dieses Eigene zu finden und den eigenen Ausdruck zu finden, dass ist immer noch ein großes Thema. Es ist zwar in vielerlei Hinsicht einfacher geworden. Jeder kann mit seinem iMac, seine Sachen samplen oder seine Filme schneiden. Aber wie man in dem Film ja auch gesehen hat: Talent und Technik reichen nicht aus. Es gehören schon noch einige andere Komponenten hinzu und das ist auch das was mich interessiert.

Ricore: Welche?

Benedikt: Nehmen wir zum Beispiel Charlie Parker. Er wird im Film immer wieder als Idol und Vorbild genannt. Aber es geht gar nicht darum, dass man so spielt oder so ist wie jemand anderes. Man muss Lücken schaffen, um sich selber zu erkennen. Man muss gerade auch seine Unperfektion und seine Unfähigkeiten kennen lernen. Damit soll man arbeiten und nicht versuchen auf Teufel komm raus zu sein, wie jemand anderes. Das ist für mich auch vielmehr das Thema des Films und nicht unbedingt der europäisches Jazz. Der europäische Jazz ist ein Teilaspekt der dieses Thema eben sehr stark aufgegriffen hat.

Ricore: Wie sind Sie bei der Materialsuche für "Play Your Own Thing" in den verschiedenen Ländern vorgegangen?

Benedikt: Man muss sich das schon wie ein Goldgräber vorstellen, der bestimmte Adern hat. Dann schürft man und irgendwann findet man tolles Archivmaterial von Ben Webster oder Bud Powell. Es gibt natürlich auch Hilfen. Alleine der Kontakt mit Sepp Bergmeister, der die ganzen Fotos gemacht hat, war für mich extrem hilfreich. Ich habe auch über Bücher und andere Filme recherchiert. Im Archiv von Kopenhagen, da wusste ich, dass es da viel gutes Material ist.
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Julian Benedikt macht sein eigenes "Ding"
Ricore: Spielen Sie nur Saxophon oder auch andere Instrumente?

Benedikt: Nein, ich spiele hauptsächlich Saxophon, aber zurzeit nur noch sehr spartanisch.

Ricore: Spielen Sie dann eher zur Entspannung?

Benedikt: Ja, wobei zur Entspannung, da schaue ich lieber Fußball, was jetzt viele Leute wieder verwundert, aber es gibt so viele Parallelen zwischen Jazz und Fußball. Da kann ich am Besten entspannen!

Ricore: Parallelen zwischen Jazz und Fußball?

Benedikt: Ja, da gibt es einige. Du kannst die besten Beckhams, Figos oder Podolskis auf den Platz haben, aber es gibt noch eine andere Komponente, die ein Team oder eine Mannschaft genial macht. Man spricht zum Beispiel oft auch von den Persönlichkeiten im Fußball. Aber das ist ja genau das, was auch im Jazz entscheidend ist: Wann ich was bringe, wann ich wen präsentiere, wann ich wen in den Vordergrund bringe, wann ich wen zurück nehme, wann ich eine Pause mache. Das kann man jetzt noch endlos weiter theoretisieren. Ich finde es auch sehr spannend worum es auch letztendlich geht, dass es wirklich auch mit deiner Persönlichkeit zu tun hat. Es genügt manchmal eben nur ein Millimeterchen und der Ball geht drüber und so ist auch beim Jazz. Wenn du zu sehr du selber bist, dann ist das Ziel weit entfernt. Und das sieht man beim Fußball jedes Wochenende.

Ricore: Was wird ihr nächstes Projekt sein?

Benedikt: Was jetzt Dokumentarfilme angeht, habe ich noch einige Projekte, die noch in der Vorbereitungsphase sind. Es kann sein, dass wir aus diesem "Jazz in Europa"-Thema noch einen Dreiteiler machen, wo wir bestimmte Dinge wie Jazz in der DDR oder bestimmte Teile noch mal im näheren Detail behandeln. Das kann durchaus sein, dass das jetzt folgt.

Ricore: Denken Sie, dass Sie inzwischen ihr eigenes "Ding", ihr Handwerk als Dokumentarfilmer, gefunden haben?

Benedikt: Für mich persönlich auf jeden Fall. Weil es mir auch wirklich Spaß macht, mich auf meine Weise auszudrücken. Ein Kollege in Berlin hat geschrieben, der "Anti-Ken-Burns", weil Burns diese Jazz-Reihe gemacht hat. Ich habe es nie so gesehen, aber es ist klar, dass ich nie Themen auf seine Weise verarbeiten würde. Ich versuche andere Mittel einzusetzen. Ich glaube schon dass ich sehr viel von meiner Person mit einfließen lasse. Da steckt genug von mir drin, beispielsweise auch über die Leute, wie sie reden, wie sie rüber kommen. Aber ich würde sagen, ich habe das Gefühl mit dieser Art von Film wirklich eine Form gefunden zu haben, die mir sehr liegt und die mir großen Spaß macht.
erschienen am 15. November 2006
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2024