X Verleih
Helge Schneider in: Mein Führer, die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler
Über Hitler lachen dürfen!
Interview: Kein Tabu!
Vor Bekanntgabe hätte niemand damit gerechnet, dass Helge Schneider Adolf Hitler spielen würde. Unter dem Titel "Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler" inzeniert Dani Levy eine ironische Komödie über Hitler und seine Nazischergen. Seitdem brodelt die Kontroverse: Ist das Thema nicht zu ernst? Wo liegen die Grenzen des guten Geschmacks? Wir trafen Deutschlands Blödelbaron (51) im Berliner Hotel Regent zum Gespräch.
erschienen am 12. 01. 2007
X Verleih
Der Führer, als infantile Badenixe
Ricore: Helge, was dachten Sie, als Ihnen die Rolle angeboten wurde?

Helge Schneider: Ich nahm das Angebot sofort sehr ernst und habe mir das Drehbuch schicken lassen. Das einzige Problem: Es gab ganz schön viel Text auswendig zu lernen. Also habe ich an einem Vorsprechen teilgenommen, mir den Bart aufgeklebt, einen Scheitel gemacht und losgeredet. Das lief ganz gut. Später war ich mir dann selbst nicht mehr so sicher. Aber weil ich schon zugesagt hatte, habe ich es schließlich auch dabei belassen.

Ricore: Warum haben Sie gezögert?

Schneider: Zum einen weil ich gerne auf der Bühne stehe und deshalb wenig Zeit habe. Zum anderen, weil ich mir dachte, dass ein Film mit mir als Hitler in der Hauptrolle auch ganz schön grottenschlecht werden könnte. Ich bin es nämlich gewohnt, in der Regel selbst die Regie zu führen. Eine Freundin hat zu mir gesagt: "Helge, du hast das doch gar nicht nötig!" Ich dachte mir: "Stimmt!" Und das war für mich der beste Grund: Es zu machen, weil ich es eigentlich nicht nötig habe.

Ricore: Wie war der Moment, als Sie sich zum ersten Mal in voller Montur gesehen haben?

Schneider: Ich dachte mir nur: Oh, fast! Echter wird's nicht, aber es ist gut genug.

Ricore: Wie groß war der Respekt vor der Person Hitler?

Schneider: Vor so jemandem habe ich überhaupt keinen Respekt. Deswegen hatte ich auch gar keine Bedenken. Ich war mir irgendwann auch recht sicher, dass ich ihn gut spielen kann, weil diese Rolle in gewisser Weise das Resultat meines Lebens ist: Ich habe nämlich ein annähernd gutes photographisches Gedächtnis, das mich dazu befähigt hat, Gang, Bewegung, Haltung und Sprache von diesem Menschen zu imitieren. Ich wurde in der Vergangenheit so häufig mit Reden oder Bildern von ihm konfrontiert, dass ich die Rolle quasi bereits verinnerlicht hatte. Ich bin an die Rolle genauso herangegangen wie ein Kind, das sich ausdenkt, dass es jetzt gerne Räuber Hotzenplotz wäre. Ich will damit sagen: Ich bin kein Schauspieler. Ich hatte nicht das Bedürfnis, durch diesen Film als Schauspieler berühmt zu werden. Ich hatte die Freiheit, einfach vor mich hinzuspielen. Ich kenne den Druck als Künstler auf der Bühne, aber da ich diese Rolle mehr aus Vergnügen gespielt habe, fiel das alles vollkommen von mir ab.
X Verleih
Für Helge ist die Schauspielerei nur ein Hobby
Ricore: Hitler wurde in den vergangenen Jahrzehnten bereits mehrfach gespielt. Inwieweit haben Sie Chaplin und Co. als Inspiration genutzt?

Schneider: Das Vorbilddenken habe ich hinsichtlich Schauspielerei überhaupt nicht. Ich bin Musiker - Mein Vorbild ist Sonny Rollins, nicht ein Charlie Chaplin oder Bruno Ganz, auch wenn die beiden unbestritten gute Arbeit leisten.

Ricore: Was soll dieser Film bezwecken?

Schneider: Er soll die Zuschauer zum Nachdenken anregen, egal ob er ihnen gefällt oder nicht.

Ricore: Warum dann im Stil einer Komödie?

Schneider: Ich bin Protestler. Ich sehe es gar nicht ein, dass man über so eine Figur angeblich nicht lachen darf. Wenn man so etwas nicht spielen darf, hat das eine gewisse Doppelmoral, gegen die ich ankämpfen will. Aber mir ist das Wort "Komödie" eigentlich zu behaftet. Wenn Dani Levy damit seinen Film umschreibt, ist das natürlich in Ordnung, Ich würde den Film nicht unbedingt als Komödie beschreiben, das würde ja fast schon voraussetzen, dass man ständig lachen muss. Aber so sind wir Menschen eben: Für jeden bedeutet Kunst was anderes.

Ricore: Erwarten Sie auch, dass der Film im Ausland Erfolg hat?

Schneider: Ich habe überhaupt keine Erwartungen, weil ich nur eine Rolle gespielt habe. Aber die Produktionsfirma hat sicher internationale Pläne. Mir reicht es schon, dass ich heute zum ersten Mal ein Interview auf Englisch gegeben habe. Das war aber sehr verbesserungsfähig. Auf alle Fälle wird es den Menschen im Ausland leichter fallen, über so ein Thema zu schmunzeln. Wir sind da hierzulande offenbar noch zu vorbelastet.
X Verleih
Ulrich Mühe peppt als jüdischer Schauspieler den impotenten Führer auf
Ricore: Sie wollen also sagen: Deutschland hat eventuell ein Problem damit, über Hitler zu lachen?

Schneider: Wir Deutschen sind in den letzten Jahrzehnten mit einem Schuldgefühl aufgewachsen. Ich als Kosmopolit sehe das nicht so eng und bin der festen Meinung, dass man auch über ein so ernstes Thema lachen kann. Ich verstehe aber beide Seiten durchaus: Ich kann nachvollziehen, wenn Leute ein Schuldgefühl haben, aber ich kann auch verstehen, wenn einige behaupten, nichts damit zu tun zu haben und die Schuld loswerden möchten. Was ich aber noch mehr verstehe, ist Freiheit. Und das bedeutet für mich, einen Film drehen zu dürfen, der die Thematik mit einem Augenzwinkern behandelt. Natürlich darf man über Hitler lachen! Wir lachen doch bereits seit Jahrzehnten über ihn.

Ricore: Aber ist eine Parodie nicht gleichzusetzen mit Verharmlosung?

Schneider: Nein, im Gegenteil. Der Film macht sich auch über niemanden lustig. Ich ziehe mich höchstens selbst durch den Kakao. Aber ich weiß, was Sie meinen. In dem Moment, wo man sich über etwas lustig macht, wird es amüsant, schmackhaft, man identifiziert sich vielleicht sogar damit. Man findet es gut. Man hat mit Hitler bei uns fast schon Mitleid. Man will ihn wie einen Teddybär in den Arm nehmen, weil es ihm so unglaublich dreckig geht. Aber genau darauf zielt unser Film ab, damit spielen wir. Verharmlosen tut man etwas, in dem man nicht darüber redet. Wenn man etwas durch Gesetze kaltstellt und den Menschen verbietet, darüber nachzudenken oder gar darüber zu lachen. Wo kämen wir denn dahin? Lachen ist immer gut.

Ricore: Sie sind 1955 geboren. Wie locker ging man in Ihrer Jugend mit dem Thema Hitler um?

Schneider: Ich bin auch mit einer Art Schuldgefühl aufgewachsen, auch wenn wir erst sehr spät über das informiert wurden, was damals wirklich geschah. Sogar in der Schule wurde die Nazizeit anfangs weitestgehend totgeschwiegen. Es war die Zeit, als alle graue Anzüge trugen, die Beatles bekannt wurden und Mick Jagger eine Obszönität war. Das erste, was mich in diesen Jahren mit der Nazizeit in Berührung gebracht hat, war ein Spruch, der über unserer Schultreppe angebracht war: "Heil Henkel!" Offenbar ein Graffiti, das auf die Frisur unseres Schuldirektors anspielen sollte. Er hieß nämlich Henkel und hatte einen ähnlichen Haarschnitt. Der Schüler, der sich den Scherz erlaubte hatte, flog später von der Schule. Ich im Übrigen ja auch, aber das hatte andere Gründe.

Ricore: Wurde bei Ihnen zuhause nicht öfter über die Nazi-Jahre gesprochen?

Schneider: Nein. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit mit meinem Vater über die Thematik geredet und Dinge erfahren, die mir so noch nicht bewusst waren. Zum Beispiel habe ich ihn gefragt, ob er Hitler mal persönlich begegnet wäre. Das war so. Mein Vater ist 1921 geboren und hat ihn Mitte der dreißiger Jahre in Duisburg getroffen. Er war ein kleinwüchsiger Schüler und wurde von seinen Kameraden in die erste Reihe gestellt. Hitler fuhr mit seinem Auto an ihm vorbei. Er sprach im Zusammenhang mit ihm aber immer von "dem Blödmann", über den er eigentlich gar nicht reden wollte.
X Verleih
Dani Levy setzt seinen Führer in Szene
Ricore: Was halten Sie von dem Wort "Vergangenheitsbewältigung"?

Schneider: Das ist schon ein gewaltiges Wort. Für mich gibt es gute und schlechte Vergangenheit, aber beides ist geschehen. Vergangenheitsbewältigung heißt für mich, dass das Schlechte ausgeblendet und das Gute behalten wird. Ich finde das nicht gut, in meinem Wortschatz gibt es dieses Wort nicht. Meine Vergangenheit ist mein Leben. Und die Nazi-Zeit habe ich schon gar nicht zu bewältigen. Ich bin 1955 geboren, was also soll ich noch damit zu tun haben? Ich will natürlich wissen, was vor sich ging und wie es dazu kommen konnte, aber zu bewältigen gibt es da rein gar nichts.

Ricore: Was macht Regisseur Levy anders als Regisseur Schneider?

Schneider: Viel, weil wir zwei sehr unterschiedliche Menschen sind. Ich bin eine Person, die sich tausend Jahre lang überlegt, ob sie überhaupt einen Film macht. Bis jetzt war meine Erfahrung immer, dass dem Filmemachen ein Bettelprozess vorausgeht, bei dem man mühselig seine Kröten zusammenbekommen und Eingeständnisse machen muss. Deswegen entscheide ich mich dann doch oft dagegen. Aber ich habe mir vom Dreh zwei Gummimasken von Hitler aufgehoben, mit denen gelegentlich mein kleiner Sohn Henry zuhause spielt. Da denke ich mir manchmal, dass ich noch einmal einen Film mit dieser Maske drehen müsste. Nicht als Hitler - aber eben mit seinem Aussehen. Einen Film über einen Menschen, der Heilpädagoge im Kindergarten ist, aber das Pech hat, genauso auszusehen wie der Führer. Das wäre eher mein Stil.

Ricore: Der Maskenbildner sagte, das Schwierigste an den Dreharbeiten wäre gewesen, Sie zum Schneiden Ihrer Haare zu überreden. War die Frisur rückblickend wirklich so traumatisierend?

Schneider: Gar nicht. Für den Herrn aus der Maske mag es sehr schwierig gewesen sein, mich darauf anzusprechen. Er hat vier Wochen vor mir herumgedruckst, ohne dass ich genau gewusst hätte, was er nun von mir will. Natürlich wollte ich meine Haare behalten, aber als sie letztlich abgeschnitten wurden, war das auch kein Problem. Bis auf die ersten Auftritte: Da habe ich mir anfangs noch eine Langhaarperücke aufgesetzt, aber sie nach dem ersten Song gleich wieder abgeschüttelt. Ich fand das einfach zu doof.

Ricore: Wie fügt sich diese Rolle in Ihr Gesamtwerk?

Schneider: Als Hobby.
erschienen am 12. Januar 2007
Zum Thema
Im Dezember 1944 liegt Nazi-Deutschland am Boden. Ausgerechnet der Jude Adolf Grünbaum (Ulrich Mühe) soll den depressiven Adolf Hitler (Helge Schneider) als Schauspiellehrer zur Seite stehen, um bei der Neujahrsansprache noch einmal das deutsche Volk zu mobilisieren. Doch Goebbels (Sylvester Groth) und Heinrich Himmler (Ulrich Noethen) haben einen anderen Plan mit Grünwald. "Alles auf Zucker!"-Regisseur Dani Levy macht seine ganz persönliche Abrechnung mit Schreckgespenst Hitler. Dabei stutzt..
Die selbst ernannte "Singende Herrentorte" wurde bekannt durch seine Bühnenauftritte, in denen er hintergründigen Unsinn und Klamauk mit Jazzmusik verbindet. Der 1955 in Mühlheim an der Ruhr geborene Schneider lernt schon im Alter von fünf Jahren das Klavierspiel. Seine Schullaufbahn brach er ohne Abschluss ab. Besonders Drogenprobleme macht er dafür rückwirkend verantwortlich. Er beginnt eine Lehre als Bauzeichner. Ein Pianostudium am Duisburger Konservatorium bricht er 1972 ebenfalls ab, da..
2024