Warner Bros.
Regisseur Clint Eastwood
Clint Eastwood über vermeintliche Kriegshelden
Interview: Sinnlosigkeit zum Thema machen
Als Schwesterprojekt zu "Flags of Our Fathers" erzählt auch "Letters from Iwo Jima" von der Schlacht um die gleichnamige Pazifikinsel im Februar 1945. Im Gegensatz zu dem amerikanischen Blickwinkel des ersten Teil schildert der 76-Jährige Regisseur Clint Eastwood dieses Mal die Sicht der japanischen Verteidiger. In Berlin legt Clint Eastwood seine Beweggründe offen.
erschienen am 25. 02. 2007
Warner Bros.
Letters From Iwo Jima
Ricore: Mr. Eastwood, warum erzählen Sie ein und dieselbe Schlacht aus dem Blickwinkel zweier sich gegenüberstehender Länder?

Clint Eastwood: Das war Zufall. Ich hatte für "Flags of Our Fathers" Recherche betrieben im Zuge dessen das Buch von James Bradley gelesen, dessen Vater in der Schlacht gewesen war. Ich wusste vorher bereits einiges über die Schlacht, kannte aber die genauen Umstände nicht. Ich bin also tiefer in die Materie eingetaucht und so zur japanischen Sicht gelangt. So kam eines zum anderen. Ich empfand es als Herausforderung, einen anderen, zweiten Film in einer anderen Sprache in einer anderen Kultur zu drehen.

Ricore: Nun sind Sie allerdings Amerikaner. Wie schwer fiel es Ihnen, die japanische Sicht der Dinge zu erzählen?

Eastwood: Als Schauspieler musste ich ja schon in der Vergangenheit immer wieder versuchen, mich in die Psyche anderer hineinzuversetzen, egal, wo sie herkamen. Der Film begann mit dieser Neugier. Bei "Flags of Our Fathers" begann ich, mich für die Verteidiger zu interessieren. Wer sind sie? Wie fühlen sie? Plötzlich habe ich von einem japanischen General gelesen, der zeitlebens viel an Freunde oder Familie geschrieben hat. Seine Briefe aus Iwo Jima haben mich gepackt. Also habe ich versucht, einen Zugang zu finden.

Ricore: Seit wann interessieren Sie sich für die japanische Kultur?

Eastwood: Es passierte in den 50er Jahren, ich lebte in LA und ging aufs College. Da wurden in einem Kino nur japanische Filme gezeigt und ich lernte sie nach und nach alle kennen. Ich wurde zum Fan.

Ricore: Wie haben Sie das Casting der japanischen Schauspieler strukturiert?

Eastwood: Wir hatten ja in Japan jemanden, der für das Casting zuständig war. Ich habe die Aufzeichnungen bekommen und so meine Entscheidung getroffen.

Ricore: Wie aber konnten Sie einen ganzen Film mit Schauspielern drehen, deren Muttersprache Sie gar nicht sprechen?

Eastwood: Ich glaube nicht, dass Sprache das Problem ist. Man kann Gefühle mitempfinden, egal ob man japanisch versteht. Wir hatten auch wunderbare Dolmetscher. Filme sind Filme - und unterschiedliche Kulturen kein Problem. Ich musste immer nur versuchen, die Geschichte zu erzählen. Ich erzähle sie in meinem Stil, aus meiner Sicht. Ich wollte aus menschlicher Sicht erzählen, und das hat mich interessiert. Es geht um Jungs, die im Krieg sind. Die amerikanischen Soldaten waren im Schnitt neunzehn Jahre alt. Neunzehn! Wie geht man in dem Alter damit um? Und wozu das Ganze? Ich wollte zeigen, dass Angst und Trauer auf beiden Seiten dieselbe war, unabhängig von der Nationalität. Krieg hat überall dieselbe Wirkung auf die Zivilisation.
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Regisseur Clint Eastwood in japanischer Uniform
Ricore: Die USA entwickelte sich in den letzten Jahren verstärkt zur aktiven Kriegsmacht. Hat das Ihren Film beeinflusst?

Eastwood: Nein, das hatte auf meine Arbeit keinen Einfluss. Ich hätte diesen Film auch gedreht, wenn Amerika nicht in einen Krieg involviert wäre. Wenn man derzeit einen Kriegsfilm dreht, ist es schwer, keine Vergleiche mit dem anzustellen, was in der Welt in den letzten Jahren geschehen ist. Denn was die Sinnlosigkeit betrifft, sieht man natürlich Parallelen. Ich wollte universell herausarbeiten, wie überflüssig und dumm solche Gefechte sind, ich wollte die Sinnlosigkeit zum Thema machen. Aber dafür brauchte ich keine Inspiration aus der Jetzt-Zeit.

Ricore: Deswegen gibt es in Ihrem Film auch nicht den typischen Helden?

Eastwood: Ich war selbst im Krieg und weiß: Die Propagandamaschinerie vermittelt dir immer, dass dein Land das gute und das der Feinde das schlechte ist. Aber diese Perspektive ist völlig verzerrt: Ich will mit diesem Film zeigen, dass man einen Krieg nicht so schwarz/weiß betrachten darf. Es gibt gute und schlechte Menschen in allen Lagern - und was die Gefühle angeht, sitzen alle im selben Boot.

Ricore: Sollte man sich die beiden Filme also am besten hintereinander ansehen?

Eastwood: Die Vorstellung gefällt mir. Ein Freund schlug mir auch vor, die beiden Filme zusammenzuschneiden, aber das ist leichter gesagt als getan. Ich denke, man sollte sie einfach so lassen, wie sie sind.

Ricore: Nach welchen Kriterien wählen Sie eigentlich Ihr nächstes Regieprojekt?

Eastwood: Ich weiß nicht, ob es wirklich Kriterien, die mich dazu führen. Wenn ich etwas lese, fühle oder sehe, frage ich mich: interessiert mich das? Ist das wirklich eine Geschichte, die ich erzählen möchte? Wenn ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens einen Film drehe, muss es mehr als eine Tätigkeit sein. Ich muss Leidenschaft für das jeweilige Projekt entwickeln.

Ricore: Sie sind wieder für den Oscar nominiert. Wie hoch schätzen Sie Ihre Chancen?

Eastwood: Ich kann dazu eigentlich nichts sagen. Ich bin froh, dass der Film in Japan und USA ein guter Erfolg war. Ich finde es schön, dass dieser Film den Weg auf die Leinwand gefunden hat. Alles, was darüber hinaus geschieht, ist schön, aber nicht notwendig.
erschienen am 25. Februar 2007
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In der Schlacht um Iwo Jima verlieren 28.000 Soldaten ihr Leben. Fast alle japanischen Soldaten fallen bei den amerikanischen Angriffen auf die unbedeutende Insel. In beiden Nationen sitzt der Stachel des blutigen Gemetzels bis heute tief. Anhand von Briefen werden die Ereignisse auf japanischer Seite rekonstruiert. Clint Eastwood richtete bei "Flags of Our Fathers" seinen Blick auf die US-Truppen, in "Letters From Iwo Jima" nimmt er die Perspektive des einstigen Feindes ein.
Der Produzent, Komponist, Regisseur und Schauspieler hat sich mit seiner wortkargen Darstellung von Western- und Actionhelden unsterblich gemacht. Eines seiner Markenzeichen sind mit unbeweglicher Miene dargebrachte zynische Einzeiler. Filmkritiker werfen ihm vor, der Vertreter einer reaktionären und menschenverachtenden Ideologie zu sein. Eastwood bestreitet diese Interpretation seiner Darstellung. Er gewann bereits zweimal den Oscar für seine Regiearbeiten. Auch als Bürgermeister des..
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