Oskar Roehler: ...es ist wie ein Battlefield, oder eine offene Baustelle - der Film liefert sich einem aus, und es kommt darauf an, wie empfänglich man gerade in diesem Moment dafür ist.
Ricore: Der Film erzählt sehr viel über und von seelischer Demaskierung. Wie geht es Ihnen mit der Angst?
Roehler: Mir ging es beispielsweise so, dass ich Jahre meines Lebens in einem völlig anderen Licht gesehen habe, als mein Vater gestorben ist. Ich musste zu meinen Wurzeln zurückkehren, da wurde wieder ein Band geknüpft, der Tod lässt ja alles so banal erscheinen...
Ricore: ...wie die Liebe...
Roehler: In der Liebe steckt ja dagegen auch dieses 'Dem anderen Schutz geben' drin. Eine zeitlang dachte ich, Marie sei die stärkere. Aber auch sie ist schutzbedürftig. Und wenn du von dem anderen nicht verletzt wirst, machst du es selbst auch nicht, es ist oft dieses Geben und Nehmen.
Roehler: Ja, schon. Mir hat einmal ein Psychotherapeut gesagt, dass wir einfach diesen magischen Zusammenhalt der Urvölker verloren haben. Dieses archaische Zusammensein gibt es nicht mehr, das hat sich grundsätzlich verändert. Wir haben das sicher noch alle in uns, und man könnte es sich auch vergegenwärtigen, aber die meisten Leute haben die Schemata, die sie dafür bräuchten, nicht mehr parat. Du kannst nur zum Psychiater gehen.
Ricore: Und wieviel Robert steckt in Ihnen?
Roehler: Drücken wir es mal so aus: Nicht mehr so viel, wie früher einmal in mir gesteckt hat...
Ricore: Robert wirkt lange schwächer als Marie, er flieht mehr. Ist es nicht ein Klischee, dass Männer mehr flüchten als Frauen?
Roehler: Ich glaube, mittlerweile ist es nicht mehr so. Aber die beiden, Marie und Robert, sind natürlich auch in einem Rollenverhalten gefangen, das nicht unbedingt das allermodernste ist. Würde ich jetzt über die Disposition der beiden nachdenken, ist klar, dass beide Außenseiter sind, unabhängig vom Beruf und anderem. Und die bürgerliche Existenz, in die man sich oft flüchtet, ist ja auch nur ein 'Unter dem Deckel halten', ein Schutzschild, und innerlich brodelt es. Und je älter du wirst, desto schlimmer wird es. Es ist einfach so. Und du brauchst sehr viel Fantasie, um aus deinem Gefängnis auszubrechen. Aber es gibt noch immer so viele Tabus bei uns.
Roehler: ...ja, genau, und ich selbst könnte mit solchen Ressentiments gar nicht leben. Die Leute sind oft so stoisch, und ich verstehe nicht, dass sie all das nicht rauslassen wollen. Warum sollte man sich immer hinter so einer Fassade verstecken? Man sollte ganz durchlässig und sensibel sein dürfen, dadurch wird viel mehr freigesetzt. Es ist wohl die Angst, die in jedem von uns steckt...
Ricore: Wie geht es nach "Der alte Affe Angst" nun weiter?
Roehler: Ich habe zwei Projekte, auf die ich ganz stolz bin: Zum einen mache ich mit der Berliner X-Filme-Produktion "Agnes und seine Brüder", nichts Autobiographisches, das ist weit von mir weg. Es handelt von drei sehr unterschiedlichen Brüdern: einem voyeuristischen Bibliothekar, einem Politiker-Aufsteiger mit Frau und Kindern, und eben einem, der sich hat operieren lassen und nun eine Frau ist. Es ist wieder ein eigenes Drehbuch, und die Figur der Agnes habe ich einem Fassbinder-Film entlehnt, was mir eine Herzensangelegenheit ist, da es mein Lieblings-Fassbinder ist, "In einem Jahr mit 13 Monden". Zum anderen eben die Verfilmung von Michel Houellebecqs Bestseller "Elementarteilchen".