X-Verleih
Bettina Oberli
Erfüllung eines Lebenstraumes
Interview: Hollywood streckt Fühler aus
Ihr zweiter Langspielfilm war in der Schweiz ein Riesenerfolg. Bettina Oberli startete mit "Die Herbstzeitlosen" im Jahr 2006 durch. Nun erobert sie mit ihrem charmanten Portrait eines kleinen, Schweizer Dorfes das deutsche Kinopublikum. Aber auch amerikanische Produzenten haben Blut geleckt. Oberli bestätigt in unserem Gespräch Anfragen für ein Remake. Allerdings findet die Schweizerin dies nicht außergewöhnlich. Ihr Film behandle ein typisches Thema für Hollywood.
erschienen am 8. 05. 2007
X-Verleih
Die Herbstzeitlosen
Ricore: Ihre Oma gilt als Muse für diesen Film? Stimmt das?

Bettina Oberli: Ja, ich habe eine Oma, die in einem kleinen Dorf im Emmental in der Schweiz lebt. Sie selbst hat einen Tante Emma Laden, eine Schneiderei, einen Frisörladen und eine Tankstelle.

Ricore: Alles in einem?

Oberli: Ja, alles in einem. Sie ist 86 Jahre alt, sehr energievoll und eine starke Frau. Sie selbst ist Witwe und hat viele Nachbarinnen und Freundinnen, die ebenfalls verwitwet sind. Ich habe gemerkt, sobald ihre Männer gestorben sind, haben diese Frauen manchmal Sachen gemacht, die sie vorher nicht gemacht haben. Man hat gemerkt, dass plötzlich kleine Freiheiten aufblitzen. Das hat mich interessiert.

Ricore: Sind Sie selbst mit diesen Traditionen aufgewachsen?

Oberli: Ja natürlich, ich komme auch aus einem kleinen Dorf. Ich glaube, dass diese soziale Kontrolle damit zusammen hängt. Jeder weiß, wer was macht, jeder kennt sich und jeder kann den anderen in gewisser Weise kontrollieren. So werden Traditionen erhalten, weil niemand wagt, etwas Neues auszuprobieren. Mein Film ist eine humorvolle Kritik daran, dass gerade in diesen Dörfern die Tendenz besteht, die Sachen so zu bewahren wie sie sind. Ich habe nichts gegen Traditionen, ich finde, man soll sie bewahren. Aber gerade heutzutage und gerade in der Schweiz, wo wir uns so absondern, muss es eine Öffnung geben, denn sonst kann man nicht Schritt halten.

Ricore: Welchen Stellenwert haben für Sie bäuerliche Traditionen, die Sie auch im Film ansprechen?

Oberli: Ich denke, Traditionen wurden gemacht oder erfunden, um eine Gesellschaft stabil zu halten. Traditionen sind etwas schönes, aber es muss ein Gegengewicht geben, damit wir in einem gesunden Gleichgewicht leben. Es ist nämlich nicht realistisch, sich nur an Traditionen festzuhalten. Diese entwickeln sich, es gibt eine Dynamik, und man muss neue Entwürfe aufnehmen können.

Ricore: Zwei weiteren großen Themen sind Kirche und Politik. Beide versuchen die Tradition des Dorfes zu bewahren und nichts Neues an sich heranzulassen. Welchen Stellenwert haben diese beiden Bereiche in ihrem persönlichen Leben?

Oberli: Meine Haltung dazu ist neutral. Ich bin in einem protestantischen Dorf aufgewachsen, aber die Kirche war in meinem Fall nicht sehr prägend. Die Gegend ist jedoch sehr protestantisch geprägt. Sie hat das Moralverständnis beeinflusst, mit Gut und Böse, mit Belohnen und Bestrafen. Diese Gesellschaft ist auch sehr lustfeindlich. Nicht nur im erotischen Sinne, sondern im Genuss. Im Gegenteil zur katholischen Kirche, wo man am Kirchenschmuck sieht, dass mehr Sinnlichkeit herrscht. Protestantische Kirche sind trocken und spröde.

Ricore: Und die Politik?

Oberli: Kirche und Politik hängen zusammen. Die Kirche bildet die Basis von der Gesellschaft. Die Politik baut darauf auf, speziell diese Partei, die Land und Leute Partie im Film baut auf diesem Moralverständnis auf.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Bettina Oberli
Ricore: Haben Sie eine bewusste Parallele zur realen politischen Situation gezogen?

Oberli: Auf jeden Fall. Beispielsweise die Bauernfrühstücke gibt es tatsächlich. Dort wird ganz dreist versucht, alten Leuten ihre Stimmen abzuluchsen, was auch funktioniert. Gerade die Volkspartei bedient sehr stark die Ängste des Volkes und arbeitet gegen Ausländer und mit Terror. Ich finde das sehr schrecklich, denn es ist eine Politik der Angstmache. Sie schreiben sich zwar immer den Volkswillen und die Demokratie ganz groß auf die Fahne, aber sie sind total gegenteilig.

Ricore: Hatten Sie keine Angst, dass Sie Jemanden auf die Füße treten?

Oberli: Nein, ich hatte keine Angst. Ich bin sicher ein paar Leuten auf die Füße getreten. Aber das finde ich nicht schlimm. Sie treten uns auch dauernd auf die Füße, warum sollen wir das nicht auch machen können?

Ricore: In Ihrem Film geht es auch um Heimat und Heimatgefühle. Wie sehen Sie den Begriff "Heimat" für sich persönlich?

Oberli: Ich denke, man kann nicht ganz weg von seinen Wurzeln, auch wenn man das heute immer wieder versucht. Heimat ist für mich das wo ich herkomme. Heimat ist aber auch ein wandelbarer Begriff. Ich denke, es hat etwas mit einer inneren Befindlichkeit zu tun. Ich selbst habe jetzt zwei kleine Kinder. Und das ist für mich mein Heimatgefühl.

Ricore: Welchen Traum würden Sie sich im hohen Alter erfüllen wollen?

Oberli: Ich hoffe, ich brauche das nicht mehr im hohen Alter zu machen, sondern kann es bereits vorher tun. Ich möchte weiter meinen Beruf ausüben können, das ist mein großer Traum. Meine Familie bedeutet mir auch sehr viel. Ich träume nicht von einer Yacht oder einer Reise. Mein Leben lebe ich sehr im Moment.

Ricore: Wie sehen Sie das Älterwerden?

Oberli: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn man gut altert, auch körperlich, ist es sicherlich ein Glück alt zu werden. Ich kenne Leute die sagen, es ist schrecklich alt zu werden. Man kriegt Schmerzen, Gicht, die Haare fallen aus, die Zähne, man hat jeden Tag ein Gebrechen mehr. Aber ich glaube es kommt darauf an, wie jung man im Geist geblieben ist. Und wie man dort seine Frische bewahren kann. Meine Schauspielerinnen sind auch im wahren Leben frisch und jung geblieben. Was mir oft auffällt, ich wohne in einer Gegend in der Schweiz, wo sehr viele alte Menschen und sehr viele Kinder leben. Oft denke ich, so möchte ich nicht werden. Es gibt bestimmte Leute, die schauen immer böse. Sie wirken sehr verbittert, sind immer unter Druck und es braucht nur ganz wenig, sei es ein spielendes Kind oder jemand, der sie in der Tram nicht vorlässt, dann werden sie ganz wütend. Solche Leute müssen ein furchtbares Leben gehabt haben, was ich mir in der Schweiz eher schwer vorstelle, da die Lebensumstände seit Generationen sehr gut sind. So möchte ich nicht werden, so unzufrieden und bitter.
X Verleih
Mutige alte Damen.
Ricore: Ihr Film wurde unerwartet zu einem großen Erfolg...

Oberli: Der Ja, sehr unerwartet. Viele haben gesagt, so etwas wollen nur alte Leute sehen. Im Gegenteil, ganz viele junge Leute sind ins Kino gegangen und haben sehr viel für sich selbst herausgeholt. Wir hatten eine tolle Premiere in Cannes beim Festival. Der Erfolg ist deshalb so unerwartet, da es ein sehr kleiner Film ist, mit wenig Budget und wenig Drehtagen. Unsere Mittel waren minimal, trotzdem war er in der Schweiz der erfolgreichste Film 2006. Er läuft immer noch unglaublich gut.

Ricore: Ich habe gehört, es gibt bereits Interesse vom Ausland?

Oberli: Ja, nach den Erfolgen war das Interesse vom Ausland natürlich da. Auch deshalb, da es ein universelles Thema ist. Klar hat der Film eine eigene Identität in diesem Dorf, die Leute sind skurril und verschroben, das ist natürlich etwas Exotisches. Aber die Aussage und die Themen sind sehr universell und gehen alle etwas an. Vor allem in den Industrienationen. Daher könnte der Film auch in Deutschland spielen. Ich bin froh, dass der Film hier nicht synchronisiert wurde, da sonst sehr viel von dem Charme verloren gehen würde. Wir haben sehr genau mit dieser Sprache gearbeitet und ich hätte es sehr schade gefunden, denn der Dialekt ist authentisch und wir haben sehr viel Arbeit investiert.

Ricore: Wollten Sie provozieren?

Oberli: Ja, vielleicht. Es ist eine Komödie mit tragischen Elementen und ich denke gute Komödien entstehen dann, wenn man etwas über eine Gesellschaft erzählen will, das aufregt und nervt. Dann hat man eine Haltung dazu und man kann eine Komödie daraus machen. Ich finde schon, dass oft mit alten Leuten schrecklich umgegangen wird, aber auch, dass alte Leute manchmal schrecklich sind. Es gibt beides.

Ricore: Was hat Sie in Ihrem Fall aufgeregt?

Oberli: Das Bigotte, das Ängstliche, das kenne ich noch sehr gut aus meiner Kindheit. Diese soziale Kontrolle finde ich schrecklich, weil man nicht machen kann, ohne dass jemand davon erfährt. Es wird auch sehr verurteilt.

Ricore: Wie stark wirkt sich dies auf ihr jetziges Leben und ihre Filme aus?

Oberli: Mir ist egal, was die Leute denken. Ich war schon immer sehr exponiert. Mein Vater war Arzt, wir haben zuerst in Samoa gelebt und sind dann in die Schweiz gezogen. Wir waren schon immer ein wenig die Ausländer. Man kann sich schützen lernen gegen das. Und das Dorf war mir mit der Zeit auch egal. Ich war beispielweise die einzige, die Geige gespielt hat. Das gab es dort nicht. Zu Beginn habe ich mich geschämt. Ich wurde immer ausgelacht, wenn ich mit dem Geigenkoffer zum Unterricht gefahren bin. Aber irgendwann war es mir egal und vielleicht habe ich von dieser Erfahrung etwas mitnehmen können.

Ricore: Sind Sie in Samoa geboren?

Oberli: Nein. Mein Vater und meine Mutter habe in der Entwicklungshilfe gearbeitet. Ich bin mit sechs Jahren in die Schweiz zurückgekommen.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
"Die Herbstzeitlosen"-Regisseurin Bettina Oberli.
Ricore: Wie war Ihre Zusammenarbeit mit den Darstellerinnen?

Oberli: Es war sehr eigen. Sie sind einerseits starke Persönlichkeiten. Ich hatte sehr viel Respekt, da ich sie von früher kenne und mir nie träumte, eines Tages mit ihnen zu arbeiten. Andererseits waren sie sehr entspannt. Sie hatten eine Lockerheit, die ich bisher nicht kannte. Sie müssen keine Karriere mehr machen. Sie wissen jetzt was sie können und haben dadurch eine Entspanntheit am Dreh, das hat sich auf uns alle übertragen. Die Vorraussetzungen waren toll.

Ricore: Sie waren schon in Amerika...?

Oberli: Ich habe dort assistiert und Praktika gemacht, das musste ich von der Filmhochschule.

Ricore: Wie unterscheidet sich die Filmarbeit in Amerika und in der Schweiz?

Oberli: Ich war natürlich nicht in Hollywood. Ich war in New York, im Independent-Kreis. Dort ist der Prozess des Filmemachens mehr oder weniger derselbe. Worin es sich unterschiedet, ist in der Gedanke dahinter. In der Schweiz ist das Filmemachen noch nicht so üblich. In Amerika ist es viel akzeptierter. In der Schweiz ist man schnell mal ein Spinner oder Träumer

Ricore: Würden Sie wieder nach Amerika zurückgehen?

Oberli: Es kommt darauf an wohin es mich verschlägt. Ich würde sicher nicht Nein sagen, aber ich habe Ideen und Projekte in der Schweiz und etwas in Deutschland. Derzeit läuft sogar eine Anfrage auf ein Remake.

Ricore: Ein Remake von "Die Herbstzeitlosen"?

Oberli: Ja. Für ein amerikanisches und ein englisches Remake. Die Urheberrechte liegen aber bei mir und meiner Koautorin. Falls wir verkaufen würde ich zur Bedingung machen, dass ich Regie führe. Dann würde ich gerne gehen.

Ricore: Hollywood und ihre Remakes...

Oberli: Ja, mir kommt es manchmal so vor, als würde ihnen nichts mehr einfallen. Aber ich glaube, das europäische und asiatische Kino sind im Moment interessanter. Da tut sich etwas. Auch im deutschen Kino. Amerika schaut immer wo Geld zu machen ist. Das ist ganz klar. Ich habe auch von dem "Das Leben der Anderen"-Remake gehört. Ich weiß gar nicht, wie sie das machen wollen. Klar ist "Die Herbstzeitlosen ein klassischer Hollywoodstoff. Man nimmt vier große Hollywoodschauspielerinnen, und erzählt alles in größeren Dimensionen. Jemand träumt, hat ein Ziel und erfüllt sich das, das ist doch Hollywoodstoff, daher überrascht mich das auch nicht.

Ricore: Frau Oberli, ich danke Ihnen für das Gespräch.
erschienen am 8. Mai 2007
Zum Thema
Bettina Oberli kommt 1972 in Interlaken zur Welt. 1995 startet sie ihr Film- und Video-Studium an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich. Nach ihrem Abschluss geht die Regisseurin nach New York und Berlin. 2006 landet die zweifache Mutter mit ihrem zweiten Spielfilm "Die Herbstzeitlosen" einen Überraschungserfolg, der in der Schweiz zum erfolgreichsten Kinofilm des Jahres wird.
Ein kleines Schweizer Dörfchen im Emmental. Veränderungen sind nicht erwünscht. Das Leben plätschert ruhig vor sich hin. Erst als sich eine 80-jährige Witwe dazu entschließt, ihren Tante-Emma-Laden in ein Dessousgeschäft zu verwandeln, kommt Schwung in die Berge. Die Tragik-Komödie von Bettina Oberli arbeitet mit allen nur erdenklichen Klischees eines kleinen Dorfes. Dabei thematisiert sie die Problematik des Älterwerdens mit Humor.
2024