Buena Vista
Edward Norton in 25 Stunden
Spike Lee über seine Hassliebe zu New York
Interview: 'Moralische und ethische Grundsätze'
Spike Lee gehört zu Amerikas gesellschaftspolitisch engagierteren Regisseuren. Seine Filme sind aber gleichwohl packend, voller Obsessionen und eben stets hintergründig. Er ist einer der winigen wirklich bedeutenden schwarzen Filmemacher in den USA - und ist sich dem auch bewusst. Mit "25 Stunden" kommt Lees neues Meisterwerk in unsere Kinos. Das Drama stellt neben dem überragenden Edward Norton als Gentleman-Gangster Monty insbesondere New Yorks Befindlichkeit nach dem 11. September in den Mittelpunkt.
erschienen am 13. 05. 2003
Buena Vista International
Philip Seymour Hoffman und Spike Lee in 25 Stunden
Ricore Medien: Mr. Lee, was ist so interessant daran, einen Film über einen Drogendealer zu drehen, der Angst davor hat, ins Gefängnis zu kommen?

Spike Lee: Es ist doch ein packendes Thema! Der Mann hat noch genau 24 Stunden, bevor er für sieben Jahre hinter Gitter muss. Es geht darum, wie Freunde und Familie mit dieser Situation umgehen. Für mich geht es dabei um moralische und ethische Grundsätze. Das ist interessant! Dabei lassen sich meine Filme nicht auf eine Grundaussage reduzieren. Sie sind wesentlich komplexer und facettenreicher.

Ricore: Die Auswirkungen des 11. September sind in Ihrem Film omnipräsent. Fast wirkt es so, als ob dieser Aspekt im Film mehr wäre als die Rahmenhandlung.

Lee: Nein, da bin ich nicht Ihrer Meinung. Aber hier haben wir ein schönes Beispiel für die fantastischen Interpretationsmöglichkeiten der Kunst. Auch ein Bild sagt bei jedem Betrachter etwas Unterschiedliches aus. Bleibt die Frage, welcher Aspekt des Kunstwerkes den jeweiligen Betrachter am meisten berührt. Darauf habe ich als Künstler keinen Einfluss.

Ricore: In Amerika und Deutschland kommen Filme, die innerhalb eines Tages spielen, immer mehr in Mode. Woraus resultiert dieser Trend?

Lee: Von einem Trend würde ich noch nicht sprechen. Aber natürlich ist das Thema wie geschaffen für einen konfliktreichen Stoff: Ist die Zeit knapp, gewinnt jedes noch so kleine Detail des täglichen Lebens an Bedeutung. Und mit jeder weiteren Minute des Films wird die Zeit immer knapper, die Klimax der Story entwickelt sich mehr und mehr...
Regisseur Spike Lee am Set von 25 Stunden
Ricore: ...und gipfelt bei Ihnen in welcher Szene?

Lee: Als ein Freund den anderen darum bittet, etwas sehr Schwieriges für ihn zu tun. Ich habe schon von Fällen gelesen, in denen ein Freund den anderen auf dessen Bitte hin getötet hat, um ihn von seinen Leiden zu erlösen. Für mich ist das ein enormer Freundschaftsbeweis. Wären Sie dazu in der Lage? Könnten Sie so etwas tun?

Ricore: Eine schwierige Frage.

Lee: Sehen Sie! Genau dieser Aspekt macht Barry Peppers Rolle so interessant. Frank kennt Monty seit dem dritten Lebensjahr, er liebt ihn, hat seine Jugend mit ihm verbracht. Und er weiß, dass Monty mit seinem hübschen Gesicht im Gefängnis untergehen würde. Also hilft er ihm, es zu entstellen - obwohl ihm das natürlich sehr schwer fällt.

Ricore: Wie haben Sie es geschafft, die schmale Brücke zwischen Montys hartem und doch sensiblem Charakter zu bauen?

Lee: Mit Hilfe von Edward Norton. Es gehört einiges dazu, so eine Rolle gut zu spielen. Glauben Sie mir.
Ricore: Angeblich sollte ursprünglich Tobey Maguire den Part von Edward Norton übernehmen. Gerücht oder Tatsache?

Lee: Tatsache. Tobeys Produktionsfirma hatte die Filmrechte für den Roman "25 Stunden", natürlich mit dem festen Entschluss, ihn für die Hauptrolle zu besetzen. Doch dann bekam er die Spider-Man-Rolle, und alles wurde anders (lacht). Der Film musste trotzdem gemacht werden, also wurde ich gefragt.

Ricore: Sie selber leben in New York, und auch "25 Stunden" spielt am Big Apple. In den letzten Jahren aber entwickelte sich New York mehr und mehr zu einem erzkonservativen Pflaster...

Lee: ...wegen Bürgermeister Giuliani...

Ricore: ...und den Ereignissen des 11. September. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie an New York denken?

Lee: Ich empfinde Liebe und Hass. Man muss nur lange genug in New York gelebt haben, um mich zu verstehen.
Anna Paquin in 25 Stunden
Ricore: Könnten Sie sich vorstellen, irgendwo anders zu wohnen?

Lee: Ja, aber das möchte ich nicht (lacht). Aber warten wir ab. Vielleicht zwingt mich meine Frau ja dazu. Wegen ihr bin ich schon von Brooklyn nach Manhattan umgezogen.

Ricore: Wie haben Sie die richtige Musik für "25 Stunden" gefunden?

Lee: Der Jazz-Musiker Terence Blanchard ist seit 1991 verantwortlich für die Musik in meinen Filmen, also habe ich ihn auch dieses Mal wieder gefragt.

Ricore: Manchmal allerdings versteht man durch die Musik den eigentlichen Text der Schauspieler nicht richtig...

Lee: Tut mir Leid, dass es Ihnen so ging. Aber ich halte den menschlichen Geist für eine perfekt funktionierende Maschine. Wir sind in der Lage gleichzeitig zu telefonieren, zu schreiben und auch noch fern zu sehen. Also muss ich voraussetzen, dass man Musik und Dialog zur selben Zeit realisieren kann. Oder etwa nicht?
erschienen am 13. Mai 2003
Zum Thema
Geboren in Atlanta, Georgia, USA.
25 Stunden (Kinofilm)
24 Stunden können sehr lang sein - aber auch sehr schnell vorübergehen. Vor allem, wenn das Ende der eigenen Freiheit naht. Monty hat noch genau einen Tag, bevor er eine mehrjährige Haftstrafe antreten muss. Spike Lee ist einer der ersten Regisseure, der New York und seine Menschen so zeigt, wie sie sind. "25 Stunden" ist von wunderbar jazzigen Tönen unterlegt. neben der Handlung und den Konflikten des Protagonisten vermittelt es auch einen guten Eindruck über die Befindlichkeiten des Big..
2024