Andrea Niederfriniger/Ricore Medien
Richard Trank
Unter Druck arbeitet es sich besser
Interview: Simon Wiesenthals Vermächtnis
Richard Trank lernte Simon Wiesenthal in New York kennen. Für einige Tage sprang er als Chauffeur ein. In den einsamen Momenten im Auto kamen sich der Regisseur und der berühmte Naziverfolger näher. Voller Ehrfurcht berichtet er über das Vertrauen, das Wiesenthal in ihn und die Jugend von heute steckte und wir er seine Arbeit unterstützte. Auch erzählt er über die Motivation des Juden Wiesenthal, nicht nach Israel zurückzukehren, sondern in Österreich zu bleiben, wo er es nicht immer leicht hatte. In der ansonsten hektischen Atmosphäre der Berlinale 2007 hat das Gespräch über "Ich habe euch nicht vergessen - Simon Wiesenthals Leben und Vermächtnis" eine seltsam ruhige und ausgeglichene Stimmung.
erschienen am 11. 11. 2007
Polyband
Ich habe euch nicht vergessen - Simon Wiesenthals Leben und Vermächtnis
Ricore: Was bedeutet es für Sie, diesen Film in Deutschland auf der Berlinale zu präsentieren?

Richard Trank: Es ist nicht der erste Film, den ich auf der Berlinale zeige. Aber als ich Mittwochnacht ankam, sah ich das Poster mit Simon Wiesenthal und das hat mich sehr bewegt. Ich fragte mich, was er wohl empfunden hätte und ich glaube, er wäre sehr stolz gewesen. Wir begannen mit den Filmvorbereitungen bereits 2005 und wollten ursprünglich zu Sundance fertig werden, das hat aber nicht geklappt. Jetzt präsentieren wir den Film hier in Berlin und das ist genau der richtige Ort dafür. Wir sind sehr stolz, hier sein zu dürfen.

Ricore: Inwieweit hat Simon Wiesenthals Sie zu diesem Film inspiriert?

Trank: Ich arbeitete zuerst als Autor fürs Radio. Das Simon Wiesenthal Center mochte meine Arbeit und lud mich ein, etwas mit ihnen zu machen. So lernte ich Simon Wiesenthal 1981 kennen. Er zeigte immer großes Interesse an meiner Arbeit. Was mich an ihm beeindruckte, war seine Hartnäckigkeit. Er gab niemals auf. Filmemachen ist nicht einfach, selbst wenn man, wie ich, eine Institution hinter sich hat. So können wir einen Film alle zwei Jahre machen. Trotzdem ist es hart, wenn man sich an ein Thema wagt, das nicht sehr Erfolg versprechend ist. Aber Simon Wiesenthal ließ sich nicht abschrecken. Das hat mich sehr inspiriert.

Ricore: Woher nahm er seine Stärke?

Trank: Er war vor dem Krieg Architekt. Er war sehr zielorientiert. Dadurch, dass er während des Krieges viele Freunde und Verwandte verlor, konnte er nicht mehr in sein altes Leben zurück. Nach seiner Befreiung aus dem KZ musste er etwas Neues machen. Als er von den Amerikanern befreit wurde, gab es für jedes Lager einen Verwalter, der Ausgangspässe ausstellte. Dieser Mann verweigerte Simon Wiesenthal jedoch einen Pass. Wiesenthal wollte sich beschweren und stieß durch Zufall auf eine amerikanische Behörde, deren Aufgabe es war, Kriegsverbrecher ausfindig zu machen. Da Simon Wiesenthal ein photographisches Gedächtnis hatte, bot er seine Dienste an und so begann er diese Aufgabe. Sein besonderes Talent entwickelte er während der Gefangenschaft. Um sich abzulenken, machte er eine Liste in seinem Kopf von Leuten, die Kriegsverbrechen begangen hatten. Er schwor sich, falls er überleben sollte, würde er dieses Talent einsetzen. Nicht aus Rachemotiven, sondern um Gerechtigkeit zu üben.
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Regisseur Richard Trank
Ricore: Wie war ihre persönliche Beziehung zu Simon Wiesenthal?

Trank: Als er in Los Angeles ankam, hatte man vergessen, einen Fahrer für ihn zu bestellen, und so fragte man mich. In den zwei Tagen fuhr ich ihn überall hin und lernte ihn so näher kennen. Er erzählte mir Geschichten und Witze. Er war wie ein Onkel für mich. Andererseits war er aber auch sehr tiefgründig. Ich traf ihn später wieder in New York und Wien. Ich erinnere mich sehr genau an ihn. Ich besuchte ihn am Ende im Krankenhaus und mir fiel auf, dass er nicht wollte, dass man sah, wie krank er wirklich war.

Ricore: Warum lebte er nicht in Israel?

Trank: Wäre es nach seiner Frau gegangen, dann hätten sie in Israel gelebt. Es gefiel ihm dort auch sehr gut. Würde er heute leben, hätte er auch von dort aus arbeiten können, mit Hilfe des Internets. Aber vor 40, 50 Jahren war dies noch nicht möglich. Es war sogar schwer, jemanden per Telefon zu erreichen. Der einzige Platz wo er seine Tätigkeit ausüben konnte, war in Österreich. Man fragte ihn warum gerade Österreich, denn dieses Land war eines der letzten, das sich mit der Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzte. Aber es waren österreichische Verbrecher, die lange unbelangt blieben. Simon Wiesenthal fühlte sich unwohl in Wien, aber er musste dort arbeiten. Sein Englisch war auch nicht so gut und deshalb ging er auch nicht nach New York. Einmal sprach er auf jiddisch mit einem Rabbi und diesem fiel auf, wie laut Wiesenthal sprach und er fragte ihn wieso. Wiesenthal antwortete, dass er wolle, dass man ihn höre. Er wollte, dass die Leute um ihn herum Notiz nahmen, dass es in Ordnung sei, sich auf jiddisch in Wien zu unterhalten. So war er.

Ricore: Glauben Sie an Wunder?

Trank: Wissen Sie, ein Teil von mir tut dies. Oder zumindest glaube ich an Schicksal.

Ricore: Sind sie ein Realist?

Trank: Ich bin Realist, aber ich versuche auch, Optimist zu sein. Sie sprechen den Film an. Jeder scheint dieses Zitat zu mögen.
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Sir Ben Kingsley mit Regisseur Richard Trank
Ricore: Warum ist Simon Wiesenthal während des Kalten Krieges noch einer anderen Tätigkeit nachgegangen?

Trank: Das konnten wir nicht genau herausfinden. Zwischen 1955 und 1961 hatte er sein Büro geschlossen und arbeitete als Journalist. Ob es die Israelis oder die Amerikaner waren, die ihn dazu zwangen, vorübergehend aufzuhören, wissen wir nicht und er hätte es auch geleugnet.

Ricore: Glauben Sie, er arbeitete mit der ostdeutschen Regierung zusammen? Dort war die Entnazifizierung ein großes Thema.

Trank: Das glaube ich nicht. Er war gegen den Kommunismus. Der Mann, der ihm einst den Ausgangspass verweigerte, war Kommunist. Auch das Gerücht, Wiesenthal wäre einst ein Nazi-Kollaborateur gewesen, kam von Kommunisten.

Ricore: Wie lief Ihre Zusammenarbeit mit Nicole Kidman?

Trank: Sie war großartig. Wir hatten von Anfang an immer viel Glück mit den Erzählern, wie Orson Welles, Elizabeth Taylor, Morgan Freeman, Ben Kingsley, Whoopi Goldberg, Michael Douglas, Kevin Costner. Wir hatten Glück, dass alle diese Stars sich bereit erklärten, mitzumachen, denn wir können ihnen ja nicht bezahlen, was sie normalerweise bekommen. Wir trafen Nicole Kidman bei einer Veranstaltung in New York, sechs Wochen nach Simon Wiesenthals Tod und sie sagte uns, wie großartig sie ihn fand. Wir erzählten ihr, wir würden einen Film über ihn machen und waren gerade in den Vorbereitungen dafür. Sie bot sich sofort an zu helfen und sagte sie wäre geehrt, als Erzählerin mit dabei sein zu dürfen. Normalerweise dauert es einen Tag, die Tonspur aufzunehmen, aber Nicole Kidman gab uns drei Tage dafür. Es war wundervoll mit ihr zu arbeiten.
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Simon Wiesenthal-Zeichnung von Mauthausen
Ricore: Was ist Simon Wiesenthals Erbe für die heutige Zeit?

Trank: Dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht ungestraft bleiben und natürlich seine Forderung nach Gerechtigkeit und nicht Rache. Dies ist einer der Gründe warum wir heute ein Kriegsverbrechertribunal in Den Haag haben. Es geht um legale Strafverfolgung und nicht um Rache.

Ricore: Sie haben viele Preise für Ihre Filme gewonnen. Hat dies Ihre Arbeit verändert?

Trank: Natürlich ist es toll, Preise zu gewinnen, aber es erhöht auch den Druck, unter dem man arbeitet. Wenn man keinen bekommt, dann scheint der Film nicht mehr so wichtig zu sein. Aber ich möchte mich nicht beschweren. Es ist schön, Preise zu gewinnen. Trotz allem, wenn man einen Film macht, muss man sich ganz auf ihn konzentrieren.

Ricore: Wie hat sich die öffentliche Meinung über Simon Wiesenthal in den Jahren verändert?

Trank: Am größten war die Veränderung in Österreich. In den 1970er Jahren spuckten die Leute ihn an. Die Zeitungen schrieben, er solle das Land verlassen. Am 50. Jahrestag der Befreiung im Jahr 1995 gab es eine Demonstration, und wer war der Hauptredner? Simon Wiesenthal. Dort waren unglaublich viele junge Leute und das machte ihn glücklich. Er hätte Millionen verdienen können in den USA, doch er blieb in Österreich und wollte die Jugend informieren.

Ricore: Warum war der Begriff "Kriegsverbrecher" so wichtig für Wiesenthal?

Trank: Er wollte, dass die Leute begriffen, dass dies nicht einfach Soldaten waren, die ihre Pflicht taten, sondern Mörder und Verbrecher. Er wollte, dass diese so bezeichnet werden.

Ricore: Vielen Dank für das interessante Interview.
erschienen am 11. November 2007
Zum Thema
Simon Wiesenthal wurde als Nazijäger und Menschenrechtler weltweit bekannt. Was er wollte, war Gerechtigkeit - nicht Rache. Richard Trank und Rabbi Marvin Hier widmen sich in "Ich habe Euch nicht vergessen" seinen wichtigsten Lebensstationen. Die Reise beginnt in Wiesenthals Geburtsort in der Ukraine, geht über die Leiden während des Holocausts und endet schließlich mit seinem Tod. Trank ist eine spannende Dokumentation gelungen.
2024