Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Rabbi Abraham Cooper auf der Berlinale 2007
Er konnte auch über sich selbst lachen
Interview: Rabbi Abraham Cooper
Rabbi Abraham Cooper war ein enger Freund und treuer Wegbegleiter von Simon Wiesenthal. Er kannte den Nazijäger von einer Seite, die nur wenige zu Gesicht bekamen. Nach Wiesenthals Tod führte Cooper die Arbeit in den jüdischen Zentren fort. Mit uns sprach der Rabbi über seine persönliche Beziehung zu Simon Wiesenthal und gibt uns auf diese Weise Einblicke in private Momente des geliebten und oftmals verhassten Mannes. Weitere Einblicke liefert uns die Dokumentation "Ich habe euch nicht vergessen - Simon Wiesenthals Leben und Vermächtnis", zu der Cooper Stellung bezieht.
erschienen am 11. 11. 2007
polyband
Simon Wiesenthal mit seiner Frau Cyla
Ricore: Wie und wann haben Sie Simon Wiesenthal kennen gelernt?

Abraham Cooper: Ich kenne ihn seit 1977, als er sich bereit erklärte, seinen Namen für das Simon-Wiesenthal-Center zur Verfügung zu stellen, welches zuerst in den USA entstand und jetzt Filialen auf der ganzen Welt hat. Ich arbeitete mit ihm fast 30 Jahre. Dies war ein ganz besonders wichtiger Teil meines Lebens. "Ich habe euch nicht vergessen - Simon Wiesenthals Leben und Vermächtnis" war eine Möglichkeit, Danke zu sagen, auch um der Welt klar zu machen, welchen Preis er und seine Familie bezahlten, sein Leben diesem Zentrum zu widmen. Es ist auch ein Weg, um ihn jungen Leuten näher zu bringen, die nach Helden im wahren Leben suchen. Im Judentum gibt es keine Heiligen, jeder hat so seine Fehler. Aber wenn man sein Bestes tut, kann man damit vielleicht etwas verändern. Simon Wiesenthal hat etwas bewirkt, trotz der unsagbaren Schicksalsschläge, die er wegstecken musste. Dieser Film wird helfen zu erklären, wie er dies schaffte und welchen Preis er dafür bezahlen musste.

Ricore: Wie würden Sie Ihre persönliche Beziehung zu ihm beschreiben?

Cooper: Zuerst einmal würde ich sagen, wir waren wie Lehrer und Schüler. Ich wurde nach dem zweiten Weltkrieg in den USA geboren und hatte keine direkte Verbindung zu dem Holocaust. Doch mit einer lebenden Legende zu arbeiten war etwas Unglaubliches für mich. Es gab auch schwierige Momente, aber er war eine echte Inspiration. Seine Vision beeindruckte mich. Er war ein Jude, der es ablehnte, Hass zu empfinden. Er nahm all seinen Schmerz, sein Leid, seinen Hass und bündelte dies, um der Gerechtigkeit genüge zu tun. Er bewahrte sich so seine Menschlichkeit.

Ricore: Wie würden Sie ihn persönlich beschreiben?

Cooper: Auf einer eher persönlichen Ebene bewunderte ich seinen Sinn für Humor. Unglücklicherweise erzählte er seine Witze auf Jiddisch und so konnten wir diese nicht für den Film benutzen. Er konnte sich auch über sich selbst lustig machen. Aber er war sehr menschlich und nahm sich immer viel Zeit für junge Menschen. Oft kamen Leute auf ihn zu mit einem Stück Papier, auf dem sie den Namen von Verwandten schrieben und ihn baten, diese Personen zu recherchieren. Sie wollten wissen, was diese während des Krieges getan hatten. Wenn er mit jungen Juden zusammen kam, warnte er sie stets vor der Versuchung die Kollektivschuld vorauszusetzen. Aus diesem Grunde verfolgte er die wahren Verbrecher, um den unschuldigen Deutschen Frieden zu gewähren. Heute ist Deutschland wieder eine Demokratie. Auch in Japan gibt es Probleme mit der Vergangenheitsbewältigung von Gräueltaten aus den 1930er und 40er Jahren. Ich hielt dort eine Rede vor dem Parlament und sagte ihnen, sie hätten zwei Möglichkeiten. Die erste sei einen Blick auf die Deutschen und die Juden zu werfen, die zwar einen schweren Weg zu bewältigen haben, aber grundsätzlich in die richtige Richtung gehen. Der zweite ist alles unter den Teppich zu kehren und die Vergangenheitsbewältigung zukünftigen Generationen zu überlassen. Das Resultat davon wird vergleichbar der gegenwärtigen Situation zwischen der Türkei und Armenien sein.
polyband
Simon Wiesenthal (Archivbild)
Ricore: Wie kann man über die Kriegsverbrechen, die hier in Deutschland passierten, hinwegkommen?

Cooper: Es ist keine gute Idee, einfach darüber hinwegzukommen. Viele Menschen in Österreich kamen nach fünf Minuten darüber hinweg, indem sie sagten, sie wären Opfer und keine Täter. Wiesenthal war nicht daran interessiert, jungen Deutschen die Schuld aufzuerlegen, sondern persönliche Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Durch seine Ablehnung sich zu rächen, setzte er ein Beispiel. Er lehrte auch uns Juden keine allgemeinen Schuldzuweisungen vorzunehmen, sondern sich jeden einzeln anzusehen. Dies würde weder den Opfern, noch ihrer Zukunft dienlich sein. Sein Lebenswerk war ein moralischer Kompass.

Ricore: Sie führen Simon Wiesenthals Arbeit fort...

Cooper: Ja, wir hatten das große Glück, ihn bei seiner aktiven Zeit von 1977 an zu begleiten. Er zeigte uns, dass es nicht genug ist, die Nazis der Kriegsjahre zu verfolgen, sondern dass man auch neue und drohende Verbrechen verhindern muss. So sprachen wir neulich über die Probleme des Völkermordes in Ruanda. Simon Wiesenthal ist also nicht nur ein Vorbild für die Bewältigung des Antisemitismus, sondern für die weltweite humanitäre Bewegung. Dies geht über die jüdische Gemeinschaft hinaus. Ich fühle mich sehr geehrt, einen solchen Mann kennen gelernt zu haben.

Ricore: Im Film wird gesagt, dass wenn ein Jude nicht an Wunder glaubt, er kein Realist sei. Glauben Sie an Wunder?

Cooper: .Ja, ich glaube an Wunder. Es ist absolut notwendig, um vorwärts zu kommen. Ich habe jetzt Enkelkinder und wenn ich nicht an eine positive Zukunftsentwicklung glaubte, dann wäre ich ein sehr deprimierter Mann. Mit der Bedrohung des Terrorismus ist dieses Konzept auch für junge Menschen überall in der Welt hilfreich. Man muss hart daran arbeiten, seine Hoffnung zu bewahren. Dies ist notwendig um Veränderungen durchzuführen. Wir müssen an Wunder glauben, denn wir werden ein paar brauchen.
erschienen am 11. November 2007
Zum Thema
Simon Wiesenthal wurde als Nazijäger und Menschenrechtler weltweit bekannt. Was er wollte, war Gerechtigkeit - nicht Rache. Richard Trank und Rabbi Marvin Hier widmen sich in "Ich habe Euch nicht vergessen" seinen wichtigsten Lebensstationen. Die Reise beginnt in Wiesenthals Geburtsort in der Ukraine, geht über die Leiden während des Holocausts und endet schließlich mit seinem Tod. Trank ist eine spannende Dokumentation gelungen.
2024